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von Alastair Crooke 15.05.2025  – übernommen von conflictsforum.substack.com
15. Mai 2025

Crooke: Der „Übergang“ zu einer neuen Weltordnung übersteigt das Vorstellungsvermögen der meisten Menschen im Westen.


Ex oriente lux

(Red.) Es scheint, dass die westlichen "Eliten" soziale Verantwortung mit Unfreiheit gleichsetzen - will sagen, ihre eigene Freiheit zu profitieren geht ihnen über alles, vor allem über diejenige ihrer Mitmenschen... Ein solches System steht auf tönernen Füssen und ist dem Untergang geweiht. (am)

Selbst die Notwendigkeit eines Übergangs   – um das klar zu sagen   – wird in den USA gerade erst anerkannt.

Für die europäischen Staats- und Regierungschefs und die Nutznießer der Finanzialisierung, die Trumps ‚Sturm‘, den er unklugerweise über die Welt gebracht habe, hochmütig beklagen, sind seine wirtschaftlichen Grundthesen jedoch lächerliche Fantasievorstellungen, die nichts mit der wirtschaftlichen „Realität“ zu tun haben.

Das ist völlig falsch.

Denn wie der griechische Ökonom Yanis Varoufakis aufzeigt, wurden die Realität der westlichen Situation und die Notwendigkeit eines Übergangs bereits 2005 von Paul Volcker, dem ehemaligen Vorsitzenden der US-Notenbank, klar dargelegt.

Die harte „Tatsache“ des liberalen globalistischen Wirtschaftsparadigmas war schon damals offensichtlich:

„Was das globalistische System zusammenhält, ist ein massiver und wachsender Kapitalfluss aus dem Ausland, der jeden Arbeitstag mehr als 2 Milliarden Dollar beträgt   – Tendenz steigend. Es gibt keine Anzeichen für eine Belastung. Als Nation nehmen wir bewusst keine Kredite auf und betteln auch nicht um Geld. Wir bieten nicht einmal attraktive Zinssätze an und müssen unseren Gläubigern auch keinen Schutz vor dem Risiko eines fallenden Dollars bieten.

Für uns ist das alles sehr angenehm. Wir füllen unsere Geschäfte und Garagen mit Waren aus dem Ausland, und der Wettbewerb hat unsere Binnenpreise stark gedrückt. Das hat sicherlich dazu beigetragen, dass die Zinsen trotz unserer schwindenden Ersparnisse und des rasanten Wachstums außergewöhnlich niedrig geblieben sind.

Und auch für unsere Handelspartner und die Kapitalgeber war es angenehm. Einige, wie China [und Europa, insbesondere Deutschland], sind stark von unseren expandierenden Binnenmärkten abhängig. Und zum größten Teil waren die Zentralbanken der Schwellenländer bereit, immer mehr Dollar zu halten, die schließlich das sind, was dieser Welt einer wirklich internationalen Währung am nächsten kommt.

Das Problem ist, dass dieses scheinbar komfortable Muster nicht unbegrenzt fortbestehen kann."

Genau. Und Trump ist dabei, das Welthandelssystem zu sprengen, um es neu zu ordnen. Die westlichen Liberalen, die heute mit den Zähnen knirschen und das Aufkommen der „Trump-Ökonomie“ beklagen, leugnen einfach, dass Trump zumindest die wichtigste amerikanische Realität erkannt hat   – nämlich, dass das Muster nicht unbegrenzt weitergehen kann und dass der schuldenfinanzierte Konsumismus längst überholt ist.

Man darf nicht vergessen, dass die meisten Akteure des westlichen Finanzsystems ihr ganzes Leben lang nichts anderes kannten als Volckers „komfortable Welt“. Kein Wunder, dass sie Schwierigkeiten haben, über ihren Tellerrand hinauszuschauen.

Das bedeutet natürlich nicht, dass Trumps Lösung des Problems funktionieren wird. Möglicherweise könnte Trumps besondere Form der strukturellen Neuausrichtung die Lage sogar noch verschlimmern.

Dennoch ist eine Umstrukturierung in irgendeiner Form eindeutig unvermeidlich. Andernfalls bleibt nur die Wahl zwischen einem langsamen oder einem schnellen und chaotischen Bankrott.

Das dollarbasierte globalistische System funktionierte anfangs gut   – zumindest aus Sicht der USA. Die USA exportierten ihre nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Überkapazitäten in der Fertigung in ein neu dollarisiertes Europa, das den Überschuss konsumierte. Und auch Europa profitierte von den Vorteilen seines makroökonomischen Umfelds (exportorientierte Modelle, garantiert durch den US-Markt).

Die aktuelle Krise begann jedoch, als sich das Paradigma umkehrte   – als die USA in eine Ära untragbarer struktureller Haushaltsdefizite eintraten und die Finanzialisierung die Wall Street dazu veranlasste, eine umgekehrte Pyramide aus derivativen „Vermögenswerten“ aufzubauen, die auf einem winzigen Kern aus realen Vermögenswerten ruhte.

Die bloße Tatsache der strukturellen Ungleichgewichtskrise ist schon schlimm genug. Aber die geostrategische Krise des Westens reicht viel tiefer als nur der strukturelle Widerspruch zwischen Kapitalzuflüssen ins Innere und einem „starken“ Dollar, der das Herzstück des US-Fertigungssektors auffrisst. Denn sie ist auch mit dem gleichzeitigen Zusammenbruch der Kernideologien verbunden, die den liberalen Globalismus stützen.

Es ist diese tiefe Verbundenheit des Westens mit der Ideologie (sowie mit dem „Komfort“, den das System Volkers bietet), die eine solche Welle der Wut und der offenen Verachtung gegenüber Trumps Plänen zur „Neugewichtung“ ausgelöst hat. Kaum ein westlicher Ökonom findet ein gutes Wort dafür   – und doch wird kein plausibler Alternativentwurf angeboten. Ihre Leidenschaft gegenüber Trump unterstreicht lediglich, dass auch die westliche Wirtschaftstheorie bankrott ist.

Das bedeutet, dass die tiefere geostrategische Krise des Westens sowohl im Zusammenbruch einer archetypischen Ideologie als auch in einer gelähmten Eliteordnung besteht.

Dreißig Jahre lang verkaufte die Wall Street eine Fantasie (Schulden spielen keine Rolle) ... und diese Illusion ist gerade zerbrochen.

Ja, einige verstehen, dass das westliche Wirtschaftsparadigma des schuldenfinanzierten, hyperfinanzialisierten Konsums ausgedient hat und dass Veränderungen unvermeidlich sind. Aber der Westen ist so stark in das „angloamerikanische“ Wirtschaftsmodell investiert, dass die Ökonomen größtenteils wie gelähmt in diesem Spinnennetz feststecken. Es gibt keine Alternative (TINA   – there is no alternative) lautet die Devise.

Die ideologische Grundlage des US-Wirtschaftsmodells liegt zum einen in Friedrich von Hayeks „Der Weg zur Knechtschaft“, in dem jede staatliche Einmischung in die Wirtschaft als Verstoß gegen die „Freiheit“ und gleichbedeutend mit Sozialismus verstanden wurde. Zweitens wurde nach der Verbindung von Hayek mit der Chicagoer Schule des Monetarismus in der Person von Milton Friedman, der die „amerikanische Ausgabe“ von „Der Weg zur Knechtschaft“ verfasste (die   – ironischerweise   – den Titel „Kapitalismus und Freiheit“ erhielt), der Archetyp geschaffen.

Der Ökonom Philip Pilkington schreibt, dass Hayeks Wahnvorstellung, Märkte seien gleichbedeutend mit „Freiheit“ und stünden daher im Einklang mit der tief verwurzelten libertären Strömung in den USA, „sich so weit verbreitet hat, dass alle Diskurse davon völlig durchdrungen sind“:

„In höflicher Gesellschaft und in der Öffentlichkeit kann man durchaus links oder rechts stehen, aber man wird immer in irgendeiner Form neoliberal sein, sonst wird man einfach nicht zum Diskurs zugelassen.

Jedes Land mag seine Besonderheiten haben … aber im Großen und Ganzen folgen sie einem ähnlichen Muster: Der schuldenfinanzierte Neoliberalismus ist in erster Linie eine Theorie, wie der Staat umgestaltet werden kann, um den Erfolg der Märkte   – und ihres wichtigsten Akteurs, der modernen Unternehmen   – zu garantieren.“

Hier ist also der entscheidende Punkt: Die Krise des liberalen Globalismus ist nicht nur eine Frage der Neugewichtung einer versagenden Struktur. Ein Ungleichgewicht ist ohnehin unvermeidlich, wenn alle Volkswirtschaften gleichzeitig und auf die gleiche Weise das exportorientierte „offene“ angelsächsische Modell verfolgen.

Nein, das größere Problem ist, dass der archetypische Mythos von Individuen (und Oligarchen), die angeblich dank der unsichtbaren Hand des Marktes ihre eigene Nutzenmaximierung verfolgen, so beschaffen ist, dass ihre gemeinsamen Anstrengungen, die angeblich insgesamt zum Wohle der Gemeinschaft als Ganzes (Adam Smith) führen, ebenfalls zusammengebrochen ist.

Tatsächlich ist die Ideologie, an der der Westen so hartnäckig festhält   – dass menschliche Motivation utilitaristisch (und nur utilitaristisch) sei   – eine Illusion. Wie Wissenschaftsphilosophen wie Hans Albert aufgezeigt haben, schließt die Theorie der Nutzenmaximierung eine Abbildung der realen Welt von vornherein aus und macht sie damit unüberprüfbar.

Paradoxerweise ist Trump dennoch natürlich der Chef aller utilitaristischen Maximalisten! Ist er also der Prophet einer Rückkehr zur Ära der draufgängerischen amerikanischen Tycoons des 19. Jahrhunderts oder ist er der Anhänger eines grundlegenderen Umdenkens?

Einfach ausgedrückt: Der Westen kann nicht zu einer alternativen Wirtschaftsstruktur (wie einem „geschlossenen“ Modell mit interner Zirkulation) übergehen, gerade weil er ideologisch so stark in die philosophischen Grundlagen der gegenwärtigen Struktur investiert ist   – diese Wurzeln in Frage zu stellen, käme einem Verrat an den europäischen Werten und den libertären Grundwerten Amerikas (die aus der Französischen Revolution stammen) gleich.

Die Realität ist, dass die westliche Vision ihrer angeblichen „athenischen Werte“ heute ebenso diskreditiert ist wie ihre Wirtschaftstheorie im Rest der Welt und auch unter einem bedeutenden Teil ihrer eigenen wütenden und unzufriedenen Bevölkerung!

Diese neue Ära markiert jedoch auch das Ende der „alten Politik“: Die Bezeichnungen „Rot gegen Blau“ oder „Rechts gegen Links“ verlieren an Bedeutung. Neue politische Identitäten und Gruppierungen bilden sich bereits, auch wenn ihre Konturen noch nicht klar definiert sind.



Die Übersetzung besorgte Andreas Mylaeus