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34C3: China  – Die maschinenlesbare Bevölkerung

02. Januar 2018
Bonuspunkte für staatstreues Verhalten, Abzüge für Regimekritik  – ab 2020 soll ein "Social Credit System" für alle Bürger Chinas verpflichtend werden. Die Internet-Konzerne des Landes mischen mit. Die eigene Bevölkerung mit einem Big-Data-Projekt zu kontrollieren ist eines der Vorzeigeprojekte der chinesischen Regierung. Bereits heute sind die ersten Systeme aktiv, ab 2020 sollen sie verbindlichen werden. Wie die "Social Credit Systems" funktionieren, erklärte China-Expertin Katika Kühnreich auf dem 34C3 in Leipzig.

Highscore für gute Bürger

Die digitale Totalüberwachung klingt wie eine bekannte düstere Zukunftsvision   – doch mit einem neuen Twist. "Das Buch 1984 handelte von Gewalt. Mit Gamification wird jedoch ein System geschaffen, bei dem sich die Bürger gut und geborgen fühlen", erklärte die Politikwissenschaftlerin. So habe die chinesische Regierung mit einem Punktewert für Bürger ein System ersonnen, mit dem einerseits das Verhalten der Bevölkerung umfassend überwacht werde. Statt jedoch andere Meinungen mit staatlichen Mitteln wie Inhaftierungen von Kritikern (siehe: https://www.heise.de/meldung/Chinesischer-Blogger-Wu-Gan-zu-acht-Jahren-Haft-verurteilt-3927936.html) zu bekämpfen, werde mit dem Social Credit System der Bevölkerung ein Anreiz gegeben, sich aus eigenem Antrieb möglichst systemkonform zu verhalten.

Kühnreich räumte in Leipzig mit einigen Missverständnissen auf. So gibt es derzeit nicht nur ein soziales Punktesystem, das alle Bürger bewertet   – stattdessen konkurrieren gleich acht Firmen, die jeweils ihre eigenen Systeme etablieren wollen. Die großen IT-Konerne des Landes wie der WeChat-Anbieter Tencent spielen dabei in der ersten Reihe. Das größte existierende System heißt Sesame Credit und ist ein Produkt der Ant Financial Services Group, eine Tochtergesellschaft des Handelskonzerns Alibaba.

Aufschlussreiche Datenspuren

Der Konzern kann unter anderem als Betreiber des Zahlungsdienstes Alipay (siehe: https://www.heise.de/meldung/Chinesische-Internetriesen-liefern-sich-Wettkampf-in-Deutschland-3767792.html) viele Aktivitäten seiner Kunden auswerten. Die große Digitalisierungswelle im Land kommt den Systemen dabei zu Gute. So werde im Alltag kaum noch Bargeld verwendet, erläuterte Kühnreich   – fast alle Geschäfte würden mit Smartphone-Apps getätigt, die dabei breite Datenspuren zur Auswertung hinterlassen.

Sesame Credit vereint solche Daten aus konzerneigenen Diensten mit Informationen aus amtlichen Quellen wie Schuldnerregistern und Gerichtsdatenbanken. Ergebnis der Auswertung ist ein ständig aktualisierter Punktewert für einzelne Teilnehmer. Derzeit ist die Teilnahme freiwillig   – dringt aber immer tiefer in die chinesische Gesellschaft vor. So greift unter anderem die beliebte Dating-App Baihe auf den Punktwert seiner Mitglieder zu. Wer sich also nicht systemkonform verhält oder gar auf das Punktesystem verzichtet, hat schlechtere Chancen, einen Partner zu finden.

Die "richtigen" Freunde

Besonders tückisch: Der eigene Punktewert bei Sesame Credit hängt auch von dem Punktewert der eigenen Freunde ab. So werden Menschen isoliert, die nicht dem Punkteschema entsprechen. Dennoch werde das System von der Bevölkerung überaus positiv gesehen   – die Dienste würden als sinnvolle Ergänzung der Online-Dienste verstanden.

"Doch wenn dieses System einmal verpflichtend geworden ist, wird es die Leben der Bürger bestimmen   – und die ihres Umfeldes", warnt Kühnreich. Schon bevor die Systeme verpflichtend werden, haben geringe Punktwerte bereits negative Folgen. So können Bürger, die Unterhaltszahlungen für ihre Kinder schuldig geblieben sind, keine Fahrten in Hochgeschwindigkeitszügen buchen.

Punktesysteme im Experimentierstadium

"Das ist geschickt gemacht, wenn man bei den Strafen mit solchen Gruppen anfängt, die niemand leiden kann", sagt Kühnreich. Wie die Umsetzung von Strafen ab 2020 aussehen soll, wenn das System verbindlich geworden ist, ist derzeit aber noch nicht abzusehen   – viele Details hat die chinesische Regierung noch nicht verkündet. Kühnreich rechnet aber damit, dass die Regierung genau die Entwicklungen auf dem privaten Markt für Social Credit Systeme beobachtet und die aus ihrer Sicht erfolgversprechendsten Aspekte in die Gesetzgebung integrieren wird.

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Quelle: CCC Kongress Leipzig 2017
https://media.ccc.de/v/34c3-8874-gamified_control#t=190
Publiziert auf Heise.de
https://www.heise.de/newsticker/meldung/34C3-China-Die-maschinenlesbare-Bevoelkerung-3928422.html