Nicht vom Regen in die Traufe
Nach zahlreichen «farbigen Revolutionen» und dem Blick ins Geschichtsbuch hat die Menschheit hinzugelernt: Immer wieder wurden und werden berechtigte Anliegen für machtpolitische Zwecke instrumentalisiert und missbraucht. Dass auch das Anliegen von Katalanen, die ihr Selbstbestimmungsrecht ernst- und wahrnehmen wollen, nicht im luftleeren Raum steht und auch andere, gar nicht so volksnahe Kräfte eine Rolle dabei spielen, zeigen zwei aktuelle Hintergrundanalysen. Die eine findet sich im «Strategic Newsletter» vom 1. November 2017. Die Verfasser dieser Analyse ordnen die Vorgänge in Spanien in die Versuche ein, die Nationalstaaten in Europa aufzulösen:
«Die verstärkten Rufe nach einem Aufbrechen der Nationalstaaten in Europa, wie sie gerade in Katalonien zu hören sind, haben noch einen anderen, weniger offensichtlichen Aspekt […]. Für den harten Kern der Europagläubigen», hier zitiert die Analyse Leopold Kohr, «‹müssen die grossen historischen Nationalstaaten Europas in kleinere Einheiten von etwa 5 –8 Millionen Einwohnern aufgebrochen werden, damit die europäische Bevölkerung einen empireartigen supranationalen EU-Superstaat akzeptiert›.» Das gelte für Regionen wie Katalonien, Flandern, Schottland, die Lombardei und viele andere.
Weiter ist zu lesen: «Entsprechende Pläne existieren seit Jahrzehnten und werden je nach den Umständen mehr oder weniger intensiv vorangetrieben. Schon 1957 verfasste […] Leopold Kohr einen Plan, die Nationalstaaten in ganz Europa […] in ein Mosaik von etwa 50 Kleinstaaten auf der Grundlage ethnischer und sprachlicher Unterschiede aufzuspalten, die dann allesamt einem einzigen europäischen föderalen Überstaat untergeordnet sein sollten.» Dies führe dazu, «‹dass er ihre Ausweitung zu Weltorganisationen oder ihre leichte Absorbierung in noch grössere Föderationen erleichtert.› […] Dieser Plan […] tauchte 2005 in einem Buch mit dem Titel ‹The Size of Nations› (‹Die Grösse der Nationen›) von Alberto Alesina und Enrico Spolaore wieder auf. […] ‹Die wirtschaftliche Integration›, argumentieren sie, ‹fördert die politische Desintegration› der Nationalstaaten.
Zwei der wichtigsten Hindernisse, die dem Ausscheiden einer ‹Nation› wie Katalonien, Korsika, Padania, Schottland oder Bayern aus ihrem jeweiligen Nationalstaat im Wege stehen, seien mit der Schaffung des Euro verschwunden, nämlich die Notwendigkeit einer eigenen Währung sowie eines eigenen Marktes für den Absatz ihrer Produkte. Daher löse sich mit der Schaffung des Euro […] die Legitimität nationaler Grenzen und der Existenz der Nationalstaaten selbst ‹in Luft auf›.»
Die andere Analyse stammt von Thierry Mayssan und wurde ebenfalls am 1. November 2017 veröffentlicht. Im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit verschiedenen Sezessionsbestrebungen im Nahen Osten, in Afrika und in Europa kommt er auch auf Katalonien zu sprechen.
Carles Puigdemont, so Meyssan, habe «nie versucht, seine angelsächsischen Verbündeten zu verbergen. Als Journalist schuf er eine monatliche Schrift, um seine Sponsoren über die Entwicklung seines Kampfes auf dem laufenden zu halten. Sie [erscheint] nicht auf Katalanisch oder Spanisch, sondern auf Englisch: Catalonia Today […]. In gleicher Art belebt er Vereine zur Förderung der Unabhängigkeit Kataloniens, aber nicht in Spanien, sondern im Ausland, die er von George Soros finanzieren lässt.»
All das sind keine Argumente gegen mehr Selbstbestimmung der Katalanen, gegen mehr Autonomierechte oder sogar gegen einen unabhängigen Staat Katalonien. Aber der Weg dorthin muss ein Rechtsweg sein, ohne Gewalt und mit Verhandlungen. Im notwendigen gleichwertigen Dialog ist jeder, der es gut mit den Katalanen und gut mit Europas Nationalstaaten meint, auch gut beraten, all das im Hinterkopf zu haben.
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