M. K. Bhadrakumar: Der Iran wird Israel angreifen, der Ball liegt im Feld der USA und Israels
Der iranische Präsident Masoud Pezeshkian (vorne) hat sich in einer seltenen Demonstration der Einigkeit das Vertrauensvotum des Parlaments für die gesamte Liste der Kabinettskandidaten gesichert, Teheran, 21. August 2024
Es gibt ein Zen-Sprichwort: „Wenn du einen Berg besteigen willst, beginne an der Spitze.“ Der ganze aufgesetzte Enthusiasmus von US-Präsident Joe Biden und CIA-Direktor William Burns über ein Abkommen zwischen Israel und der Hamas über den Gaza-Krieg kann nicht über die düstere Realität hinwegtäuschen, dass dies ein Weg ins Nichts ist, solange der israelische Premierminister Netanjahu nicht grünes Licht gibt.
Aber was hat Netanjahu getan? Am Vorabend der Ankunft des US-Außenministers Antony Blinken in Tel Aviv am Sonntag, um Druck zu machen und Netanjahu zur Zusammenarbeit zu bewegen, ordnete dieser schnöde einen weiteren Luftangriff in der zentralen Stadt Deir Al-Balah im Gazastreifen an, bei dem „mindestens“ 21 Menschen, darunter sechs Kinder, getötet wurden. Erst am Vortag hatte Biden betont, dass alle an den Verhandlungen über einen Waffenstillstand im Gazastreifen beteiligten Parteien davon absehen sollten, die von den USA geführten diplomatischen Bemühungen um eine Beendigung des Krieges und eine Vereinbarung über die Rückgabe der Geiseln und einen Waffenstillstand zur Beendigung des Blutvergießens zu gefährden.
Und dies, nachdem ein „hochrangiger Regierungsbeamter“, der aktiv an den Verhandlungen beteiligt war – vermutlich Burns selbst –, in einem speziellen Briefing aus Doha zu vermitteln versuchte, dass die Verhandlungen einen Wendepunkt erreicht hätten. Der springende Punkt ist, dass die westlichen Staats- und Regierungschefs gegenüber dem Iran eine Strategie des maximalen Drucks verfolgen, um Zurückhaltung zu üben, während sie weder den moralischen noch den politischen Mut haben, sich mit Netanjahu auseinanderzusetzen, der den Doha-Prozess in böser Absicht untergräbt, weil er einfach nicht an einem Waffenstillstandsabkommen interessiert ist, das zu seiner Entmachtung, einer Untersuchung zur Feststellung der Verantwortung für die Anschläge vom 7. Oktober, der Wiederaufnahme von Gerichtsverfahren gegen ihn und einer möglichen Gefängnisstrafe im Falle einer Verurteilung führen könnte.
Teheran ist zwar skeptisch, dass unter amerikanischer Vermittlung ein Frieden in Gaza einkehren kann, achtet aber darauf, während der Verhandlungen in Doha keine neuen Fakten zu schaffen. Teheran hat eine reife, verantwortungsbewusste Haltung eingenommen, um den Doha-Prozess nicht zum Scheitern zu bringen. Der Iran ist sehr daran interessiert, dass der schreckliche Krieg, den der israelische Staat im Gazastreifen entfesselt hat, irgendwie beendet wird. Über 40.000 Menschen sind bisher gestorben.
Allerdings wird die Reaktion der Hamas auf den „Überbrückungsvorschlag“ der USA beim Treffen in Doha für Teheran von entscheidender Bedeutung sein. Nach den vorliegenden Informationen gibt es ernsthafte Meinungsverschiedenheiten über die fortgesetzte Militärpräsenz Israels im Gazastreifen, insbesondere an der Grenze zu Ägypten, über die Freizügigkeit der Palästinenser innerhalb des Gebiets und über die Identität und Anzahl der Gefangenen, die bei einem Tausch freigelassen werden sollen. Sowohl Israel als auch die Hamas haben signalisiert, dass eine Einigung schwierig sein wird.
Andererseits hat die neue iranische Regierung unter Masoud Pezeshkian ihren Wunsch nach einer konstruktiven Zusammenarbeit mit dem Westen bekräftigt und der Aufhebung der westlichen Sanktionen Vorrang eingeräumt. Pezeshkians Kandidat für das Außenministerium, Abbass Araghchi, wiederholte diese politischen Parameter in seiner Aussage vor dem Majlis am Sonntag, als er um die Zustimmung des Parlaments zu seiner Ernennung warb.
Um Spekulationen zu zerstreuen, dass Araghchi, ein Karrierediplomat, der als gemäßigt gilt, Schwierigkeiten haben könnte, im mehrheitlich konservativen Parlament Unterstützung zu finden, erkannte das Majlis seine hohe Professionalität an, indem es seinen Namen als Irans nächsten Außenminister in einer sofortigen Abstimmung einstimmig billigte.
Hier gibt es viel Stoff zum Nachdenken für die Strategen im Weißen Haus. Es genügt zu sagen, dass die neue Regierung sich weiterhin an dem orientieren wird, was der verstorbene Ebrahim Raisi als außenpolitisches Vermächtnis seines Vorgängers Pezeshkian hinterlassen hat. Das signalisiert ein hohes Maß an nationalem Konsens. Kurz gesagt: In all den Jahren seit der islamischen Revolution von 1979 gab es im Teheraner Machtkalkül keinen günstigeren Rahmen für eine pragmatische Zusammenarbeit mit dem Westen. Es wäre äußerst unklug von Washington, die sich bietende Gelegenheit zu einer Zusammenarbeit mit dem Iran zu übersehen.
Andererseits ist die Bereitschaft Teherans, gegen westliche Schikanen zurückzuschlagen, so groß wie nie zuvor. Die Quintessenz ist, dass sich der Iran nicht dem westlichen Diktat beugen wird. Unter den heutigen Umständen ist es daher unrealistisch, von Teheran zu erwarten, dass es auf die israelische Aggression vom 31. Juli nicht reagiert. Die Souveränität des Irans wurde verletzt, und seine Antwort wird stark und entschlossen sein – und auch als Abschreckung für die Zukunft dienen.
Kein noch so großes Muskelspiel Washingtons wird Teheran einschüchtern. Die nationale Einheit ist, anders als in den USA, ein entscheidender Faktor. Die verblüffende Billigung der gesamten von Präsident Masoud Pezeshkian vorgeschlagenen Kabinettsliste durch das Majlis zeigt, dass es zwischen den verschiedenen Zweigen der Staatsmacht keine Differenzen gibt. Alles deutet darauf hin, dass der Oberste Führer Ayatollah Khamenei und Pezeshkian an einem Strang ziehen – und diese Botschaft ist bis in die höchsten Ebenen der Politik und der Staatsmacht in Teheran vorgedrungen.
Der Kontrast zu dem Durcheinander in Israels konfrontativer Innenpolitik könnte nicht schärfer sein.
Daher wird der Iran tun, was er als notwendig und als Verpflichtung ansieht – und als eine Frage der nationalen Ehre. Der stellvertretende Kommandeur des Korps der Islamischen Revolutionsgarden, General Ali Fadavi, sagte am Montag: „Wir werden den Zeitpunkt und die Art der Bestrafung (Israels) bestimmen. Das usurpierende zionistische Regime hat mit der Ermordung von Märtyrer Haniyeh ein großes Verbrechen begangen, und dieses Mal wird es noch härter bestraft werden als zuvor.“
In einer Erklärung gegenüber dem Wall Street Journal erklärte die iranische UN-Mission, dass jede Reaktion sowohl das israelische Regime bestrafen als auch von zukünftigen Angriffen im Land abschrecken müsse, aber auch „sorgfältig kalibriert werden muss, um mögliche negative Auswirkungen zu vermeiden, die einen möglichen Waffenstillstand beeinflussen könnten“.
„Der Zeitpunkt, die Bedingungen und die Art und Weise der iranischen Reaktion werden sorgfältig abgestimmt, um sicherzustellen, dass sie zu einem Zeitpunkt erfolgt, an dem die Überraschung am größten ist; vielleicht, wenn ihre Augen auf den Himmel und ihre Radarschirme gerichtet sind, werden sie vom Boden aus überrumpelt – oder vielleicht sogar durch eine Kombination aus beidem.“
Die iranische Erklärung auf dem UN-Podium in New York ist eine an das Weiße Haus gerichtete Botschaft, dass der Ball bei den USA und Israel liegt. Interessanterweise fiel sie mit der abgeschwächten Mitteilung des Weißen Hauses über Bidens Telefonat mit Netanjahu am Mittwoch zusammen, in der Biden die „defensiven US-Militäraufmärsche“ hervorhob und die Dringlichkeit betonte, den Waffenstillstand und die Geiselbefreiung zum Abschluss zu bringen, sowie die bevorstehenden Gespräche in Kairo erörterte, um alle verbleibenden Hindernisse zu beseitigen. Es ist naheliegend, dass Teheran und Washington miteinander kommunizieren.
Vor einem so stark nuancierten Hintergrund ist die Paranoia über einen regionalen Krieg natürlich ungerechtfertigt, da weder der Iran noch die USA einen Krieg wollen. Israel, ein kleines Land, das über drei mit Atomraketen bestückte U-Boote als strategische Mittel verfügt, schlichtweg nicht in der Lage, einen Krieg gegen den Iran zu führen.
Die verblüffende Enthüllung des ausgedehnten unterirdischen Raketennetzes der Hisbollah im Süd- und Mittellibanon ist ein Realitätscheck für die israelische politische Elite und die Siedlergemeinschaften, um zu sehen, womit sie es zu tun haben.
Wie der ehemalige israelische Kriegsminister Avigdor Lieberman es ausdrückt, befindet sich Israel in einem Zermürbungskrieg, genau wie es die Iraner wollten, denen es gelungen ist, die Widerstandsfronten zu vereinen. Lieberman wies darauf hin, dass die Qual des ungewissen Wartens auf die Vergeltungsaktion Teherans an sich schon ein Erfolg für Teheran und die Achse des Widerstands ist.
LESEN SIE AUCH:
Worte an die Welt vom neuen Präsidenten des Iran
Iran finesses its deterrence strategy (Iran feilt an seiner Abschreckungsstrategie),
Indian Punchline, 12. August 2024
Quelle: https:/s/www.indianpunchline.com/iran-will-hit-israel-ball-is-in-us-israeli-court/
Die Übersetzung besorgte Andreas Mylaeus
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