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GfP: Koloniale Denkschablonen

Führende Zeitschrift der deutschen Außenpolitik rät zu „Ende der Arroganz“ im Umgang mit dem Globalen Süden. Dort herrsche „Groll gegen die Bevormundung durch den Westen“; viele fühlten sich „an die Kolonialzeit erinnert“.
19.09.2024 Von Redaktion GfP - übernommen von german-foreign-policy.com
19. September 2024

BERLIN (Eigener Bericht)   – Die führende Zeitschrift der deutschen Außenpolitik rät zu einem „Ende der Arroganz“ im Verhalten Deutschlands und Europas gegenüber den Ländern des Globalen Südens. Die altgewohnte Dominanz des Westens in der Weltpolitik sei abgelöst worden durch eine „neue Unübersichtlichkeit“, heißt es in einem neuen Sonderheft der Zeitschrift Internationale Politik, die von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) herausgegeben wird. Das sei ungewohnt, biete aber auch „sehr viel Raum für neue Bündnisse“. Mit Blick auf etwaige Kooperationen mit Ländern des Globalen Südens heißt es in dem Heft, dort herrsche „ein tiefer Groll gegen die Bevormundung durch den Westen in der Zeit nach dem Kalten Krieg“. Mit Blick auf die gängigen westlichen Belehrungen („Werte“) und Strafmaßnahmen wie etwa Sanktionen heißt es, viele fühlten sich „an die Kolonialzeit erinnert“. Weil der Globale Süden „die bestehende internationale Ordnung als zutiefst ungerecht“ begreife, werde „allem Reden von der ‘regelbasierten Ordnung‘ mit Misstrauen“ begegnet. Für erheblichen Unmut sorge zudem die in Europa und Nordamerika „deutlich ausgeprägte Angewohnheit, von oben herab zu reden“.

„Das Ende der Arroganz“

„Der unilaterale Moment der vergangenen Jahrzehnte ist zu Ende“, heißt es in dem neuen Sonderheft der Zeitschrift Internationale Politik.[1] Die altgewohnte globale Dominanz der transatlantischen Mächte sei abgelöst worden durch eine „neue Unübersichtlichkeit“. Diese biete „sehr viel Raum für neue Bündnisse“; das bezieht sich offenkundig auch auf etwaige Bündnisse mit dem Globalen Süden oder jedenfalls mit einzelnen Staaten jenseits der westlichen Welt. Um die Chancen zu nutzen, die sich unter den neuen Umständen ergäben, benötige man freilich „politischen Realismus“ respektive „Kreativität“. „Das gälte auch für Deutschland“, heißt es weiter in der Zeitschrift, „fände sich denn jemand, der für diese Mittelmacht (zumal im zerbröselnden europäischen Kontext) eine kraftvolle Außenpolitik schmieden wollte“. Mit Blick auf etwaige Kooperationen mit Staaten des Globalen Südens heißt es, man müsse in Zukunft versuchen, sich „von Denkschablonen à la ‘Wir im Westen wissen, wie es geht, die anderen werden schon verstehen‘ [zu] lösen“. Das Titelblatt des Magazins trägt mit Blick auf das in Deutschland und Europa verbreitete Verhalten im Austausch mit den Ländern Asiens, Lateinamerikas und ganz besonders Afrikas das Motto „Europa und der Globale Süden: Das Ende der Arroganz“.

Werte und Sanktionen

Wie C. Raja Mohan in einem Beitrag für das Heft konstatiert, der zur Zeit als Gastprofessor am Institute of South Asian Studies der National University of Singapore tätig ist, eint die Länder des Globalen Südens nicht unbedingt eine Sympathie für die Politik Chinas oder Russlands, sondern vor allem „ein tiefer Groll gegen die Bevormundung durch den Westen in der Zeit nach dem Kalten Krieg“.[2] „Viele fühlen sich an die Kolonialzeit erinnert“, schreibt Raja Mohan, „als europäische Imperialisten mit dem Evangelium auf den Lippen und der Waffe in der Hand auftraten“. Hätten sich die Staaten Westeuropas in den Jahren des Kalten Kriegs „um die Entwicklungsländer bemüht“, um Verbündete gegen die Sowjetunion zu gewinnen, so hätten sie nach 1990 begonnen, „ein politisches Wertesystem zu predigen und zugleich Sanktionslisten in der Hand zu halten“. „Die völlige Achtlosigkeit“, die Amerikaner und Europäer dabei „an den Tag gelegt“ hätten, habe in besonderem Maß abschreckend gewirkt. Wolle „Europa“ im Globalen Süden noch etwas erreichen, dann müsse es „den Anspruch zügeln, als ‘Imperium der Normen‘ aufzutreten“. Schwer wiege nicht zuletzt die in der gesamten westlichen Welt „seit dem Ende des Kalten Krieges so deutlich ausgeprägte Angewohnheit, von oben herab zu reden“.

„Leben im Norden zählen mehr“

In ungewohnter Offenheit bringt das Sonderheft der Internationalen Politik weitere Beiträge von Autorinnen und Autoren aus dem Globalen Süden. In einem davon berichtet Ayoade Alakija, eine Sondergesandte der Weltgesundheitsorganisation (WHO), über die Realität und die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie im ärmeren Teil der Welt und insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent.[3] Die schlechtere Versorgung mit medizinischen Hilfen habe sich etwa darin gezeigt, dass in Ländern mit niedrigeren Einkommen, die 50,6 Prozent der Weltbevölkerung ausmachten, kaum 20,4 Prozent aller Covid-19-Tests durchgeführt worden seien, schreibt Alakija. Impfstoffe seien erst zwei lange Monate später sowie in geringerem Umfang verfügbar gewesen als andernorts; bis Ende Mai 2021 sei lediglich ein Prozent der 1,3 Milliarden Impfungen weltweit in Afrika durchgeführt worden.[4] Der von Indien und Südafrika im Mai 2021 vorgebrachte Vorschlag, die Patente auf Impfstoffe für eine Weile auszusetzen, sei wegen „des Widerstands aus der EU, insbesondere aus Deutschland“ nicht realisiert worden. „Schmerzhaft wurde deutlich“, berichtet Alakija mit Blick darauf und auf weitere Beispiele, „dass die Leben derer im Globalen Norden mehr zählen als die Leben im Globalen Süden.“

Hauptverantwortung für die Klimakrise

In einem weiteren Beitrag schildert Dhesigen Naidoo vom Institute for Security Studies (ISS) in Südafrikas Hauptstadt Pretoria die ungleichen Folgen des Klimawandels für den Westen und den Globalen Süden   – und die Ignoranz, mit der der Westen Schritte sabotiert, die für den Süden existenzielle Bedeutung hätten. So haben etwa, schreibt Naidoo, der gezielte Ausstieg aus dem Import russischen Erdgases und die damit verbundene „rasche Rückkehr zu Kohle in Europa“ zu einer „Verlagerung der Wertschöpfungsketten zurück zu fossilen Brennstoffen“ geführt.[5] Auch werde „die Abkehr von nicht erneuerbaren Energiequellen maßgeblich von multinationalen Unternehmen aus dem Globalen Norden verzögert“. Die rasch zunehmenden extremen Wetterereignisse aber träfen weit überproportional den Globalen Süden, nicht zuletzt, da diesem die finanziellen Mittel fehlten, „sich gegen solche Ereignisse zu schützen“. Im Westen führe das nicht zu einer rascheren und klareren Abkehr von fossilen Brennstoffen. Dabei sei allgemein bekannt, dass die Hauptverantwortung für die Klimakrise beim Westen liege: Europa und Nordamerika   – sie stellen bloß ein Achtel der Weltbevölkerung   – hätten bis 2017 alleine rund 62 Prozent der kumulativen globalen CO2-Emissionen verursacht.

Die Ignoranz der Macht

Was von der inzwischen zuweilen anzutreffenden „deutschen Rhetorik von Partnerschaft und Augenhöhe“ mit dem Globalen Süden im wirklichen Leben zu halten ist, zeigt ein Beitrag der Sinologin Marina Rudyak, die am Zentrum für Asien- und Transkulturelle Studien der Universität Heidelberg forscht.[6] Zur den praktischen Erfahrungen, die Menschen aus dem Globalen Süden in und mit Deutschland machen, zitiert Rudyak zum einen die aus Nigeria stammende WTO-Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala, die im vergangenen Jahr festhielt: „Wenn wir mit China sprechen, bekommen wir einen Flughafen. Wenn wir mit Deutschland sprechen, bekommen wir eine Belehrung.“[7] Zum anderen schildert Rudyak exemplarisch, wie Delegierte aus Ländern des Globalen Südens Anfang Juni 2024 zu einer Tagung der in Bonn ansässigen ständigen Nebenorgane der UN-Klimarahmenkonvention anreisen wollten   – und scheiterten: „Dutzende Verhandler“ seien trotz aller Bemühungen nicht in der einstigen Bundeshauptstadt angekommen, „da ihnen die Einreisevisa entweder verweigert wurden oder die positiven Visabescheide erst nach Beginn der Konferenz ankamen.“ Der Vorfall spiegelt eine in den Ländern des Globalen Südens weit verbreitete Erfahrung mit der Ignoranz der deutschen Behörden gegenüber Menschen aus Afrika, Asien und Lateinamerika wider.

[1] Martin Bialecki: Editorial. In: Das Ende der Arroganz. Internationale Politik Special. Berlin, September 2024. S. 1.

[2] C. Raha Mohan: Von Predigern und Pragmatikern. In: Das Ende der Arroganz. Internationale Politik Special. Berlin, September 2024. S. 4-9.

[3] Ayoade Alakija: Wenn der Löwe die Geschichte erzählt. In: Das Ende der Arroganz. Internationale Politik Special. Berlin, September 2024. S. 12-16.

[4] S. dazu Europa zuerst, Die Welt impfen (III) und „Die Impfstoff-Apartheid der EU“.

[5] Dhesigen Naidoo: Klima der Ungleichheit. In: Das Ende der Arroganz. Internationale Politik Special. Berlin, September 2024. S. 22-25.

[6] Marina Rudyak: Partner mit Anspruch. In: Das Ende der Arroganz. Internationale Politik Special. Berlin, September 2024. S. 46-51.

[7] Luisa von Richthofen: Germany adopts a new, humble Africa policy. dw.com 15.09.2023.

Quelle https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9689

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