Wohin treibt die Finanzkrise?
von Prof. Dr. Eberhard Hamer
Nach Darstellung in den Medien scheint sich der Schwerpunkt der Finanzkrise aus den USA nach Europa verlagert zu haben. Alles spricht von Griechenland- und Eurokrise. Die Beiträge in Politik und Publizistik werden immer hektischer und immer kurzsichtiger. Die Wissenschaft scheint ratlos, gibt jedenfalls keine überzeugende Orientierung.
Entscheider in der Finanzpolitik sowie die Akteure der Finanzmärkte reagieren mehr als dass sie agieren. Sie werden von Kräften und Entwicklungen getrieben, die sie weder vorausgesehen, noch durchschaut, noch verstanden haben. Entsprechend sind ihre praktischen Resultate.
Ein Finanzwissenschaftler hat deshalb eine Bringschuld nüchterner Analyse, kritischer Bewertung, vorsichtiger Prognosen und realistischer Lösungsvorschläge.
1. Die Entstehung der Finanzkrise
Will man eine Ausnahmesituation bewerten und lösen, ist es immer richtig, ihre Ursache vorher genau zu definieren.
Was sich uns jetzt als Finanzkrise präsentiert, ist das teilweise Platzen einer jahrzehntelang aufgebauten Finanzblase und monetären Scheinblüte mit allen daraus entstandenen Fehlerkonsequenzen.
Seit die Federal Reserve Bank (FED) 1971 den Goldstandard, die Staatshaftung und alle damit verbundenen Geldmengenbindungen verloren hat, konnten ihre privaten Eigentümer die Geldmenge in nur 30 Jahren vervierzigfachen – bei nur vervierfachtem Güterwachstum. Die FED hat also die USA und die Welt mit immer mehr und immer wertloseren Dollar überschwemmt, die zu immer grösseren und immer windigeren Finanzprodukten geführt und wegen bescheinigter Höchstbonitäten der gleichen Täter von Banken in der ganzen Welt als scheinbar sichere Wertanlage gekauft und behandelt wurden. So konnten die herrschenden Finanzgruppen mit ständig neu geschaffenem Geld Rohstoffe und Industriekapazitäten der ganzen Welt zusammenkaufen, immer höhere Gewinne machen, die USA teure Kriege finanzieren und immer höhere Aussenhandelsdefizite mit frisch gedruckten Dollars finanzieren, die Privat- und Zentralbanken der Welt immer höhere Bestände in solchen eigentlich wertlosen Dollars anhäufen und die steigende Geldmenge die ganze Welt in Verzückung und angeblich steigenden Wohlstand versetzen.
Alle Staaten haben in dieser Scheinblüte kräftig die Abgaben erhöhen und damit auch immer höhere Sozialleistungen und Sozialansprüche verteilen können. Die steigende Staatsverschuldung wurde ebenso wie steigende Privatverschuldung durch die wachsende Geldmenge überdeckt.
Die entstandene Weltfinanzblase konnte nicht ewig so weiter ausgedehnt werden, musste irgendwann korrigiert werden oder platzen. Irgendwann geht jede Wechselreiterei zu Ende.
2. Entwicklung der Finanzkrise
Die Finanzblase ist zuerst im US-Immobilienmarkt gerissen, als die Häuserpreise zu sinken begannen und zunehmend die bis zu 120% der Kaufpreise gegebenen Hypothekenkredite nicht mehr bedient werden konnten. Als dann die erste Grossbank Lehman Brothers in den USA zusammenbrach, hätte nach Marktgesetzen die Finanzblase zusammenfallen müssen. Hätte damals der Staat nicht eingegriffen, hätten die Marktkräfte dafür gesorgt,
- dass die faulen Finanzprodukte als solche erkannt und abgewertet worden wären,
- damit auch die Finanzinstitute als Herausgeber oder Inhaber falscher fauler Finanzprodukte grösste Verluste hätten hinnehmen und zum Teil sogar Konkurs erklären müssen,
- aber auch viele Privatanleger solcher «Finanzgiftmüllprodukte» grosse Verluste hätten realisieren müssen
- und solcher Zusammenfall der Finanzblase auf ihre wirkliche Realität auch zu Kreditkündigungen und Illiquiditäten in der Realwirtschaft geführt hätten.
Der vom Verfasser schon 8 Jahre vorher vorausgesagte und in einem Buch («Was passiert, wenn der Crash kommt?») sogar beschriebene Crash hat die überbordende Finanzbranche voll und unverhofft, aber auch die Staatsfinanzen unvorbereitet getroffen.
In dieser Situation hat der amerikanische Finanzminister Paulson (vorher als Präsident von Goldman-Sachs einer der Haupttäter der Finanzblase) seinen Banksterkollegen Verluste ersparen wollen, indem er das grösste staatliche Hilfspaket der amerikanischen Geschichte schnürte. Damit hat er die Verluste der Spekulationsbanken und Spekulanten sozialisiert und den amerikanischen Steuerzahler dafür haftbar gemacht. Noch schlimmer: Er hat eine marktwirtschaftlich notwendige Korrektur der Privatwirtschaft als staatliche Aufgabe übernommen und zum Problem des Staates und der Steuerzahler gemacht. Rechtzeitig hat er aber auch überall im amerikanischen Herrschaftsbereich gleiches Handeln erzwungen. In Europa mussten die Satelliten ebenfalls die grössten Haftungsübernahmen ihrer Geschichte durchführen, um die internationalen Zockerbanken zu Lasten ihrer Steuerzahler abstützen. Damit ist endgültig die Privatfinanzkrise weltweit auch zur Staatsfinanzkrise geworden.
3. Krisensituation
Durch die hemmungslose Übernahme der Bankschulden als Staatsschulden geriet vor allem das Vertrauen in den Dollar ins Wanken. Die grössten Dollargläubiger – die Chinesen – mussten durch eine Grossregierungsdelegation der USA beschwichtigt und ihnen Silbergarantien gegeben werden, damit sie die wertlosen Dollar nicht auf den Markt warfen. Die USA und die US-Hochfinanz mussten vor allem das schwindende Vertrauen in den Dollar bekämpfen, denn die USA brauchen pro Tag mehr als eine Milliarde Dollar Kreditzufluss aus dem Ausland, um ihre Kriegs- und Importzahlungen überhaupt weiter leisten zu können. Als nun Russland und andere Länder begannen, die faulen Dollars zurückzuweisen und auch private Dollargläubiger in solidere Währungen – vor allem in den Euro – wechselten, waren US-Hochfinanz und US-Administration in Alarmstimmung, drohten den USA Zahlungsfähigkeitsprobleme.
In dieser Situation wurde plötzlich auch der Euro – als Entlastung? – weich, weil das von der dubiosen US-Bank Goldman-Sachs in seinen Betrügereien hinsichtlich des Euro beratene und kreditierte Griechenland von den US-Rating-Agenturen abgewertet und zum Problem wurde.
Nach Marktgesetzen hätte Griechenland nun Staatsbankrott erklären müssen. Dies aber hätte vor allem den Banken der führenden Hochfinanz-Gruppe etwa 300 Milliarden Verluste gebracht und auch zum Ausschluss Griechenlands aus dem Euro geführt.
Kein Wunder, dass die US-Hochfinanz zum zweiten Male Haftung der Steuerzahler für ihre drohenden Verluste einforderte und die EU-Kommission für die eigene Machterweiterung die einmalige Chance sah, unter dem Vorwand der Solidaritätshilfe das letzte Souveränitätsrecht der europäischen Mitgliedsstaaten – das Haushaltsrecht – entgegen allen EU-Verträgen durch Kontrollrechte an sich zu reissen, also das höchste und letzte Souveränitätsrecht der europäischen Mitgliedsländer zu kassieren. Beide Machtgruppen haben gemeinsam die deutsche Bundeskanzlerin – und wohl auch den Bundespräsidenten – erpresst. Damit ist nicht nur die ursprünglich private Bankenfinanzkrise durch Staatsgarantie sozialisiert worden, sondern im nächsten Schritt einer europäischen «Haftungssolidarität» auch die Staatsfinanzkrise eines Mitgliedsstaates zum Gesamtproblem aller übrigen europäischen Mitgliedsländer und diese zur Transferunion sozialisiert worden. Wir stehen also jetzt vor der Situation, dass nicht nur die internationalen Spekulationsbanken unsolide bleiben, weil sie ihre Giftmüllprodukte noch nicht einmal zur Hälfte abschreiben konnten, auch die Finanzmärkte immer noch voller dubioser Finanzprodukte sind, die Finanzblase also durch den Markt noch keinesfalls ausreichend korrigiert ist, aber die private Finanzkrise inzwischen auch nicht nur auf ein Land übergegriffen hat, sondern auf alle Staaten Europas durch Haftungsübernahme ausgedehnt wurde, nicht nur der private Finanzmarkt also weiter korrekturbedürftig ist, sondern auch die Staatsfinanzen nicht nur in den USA, sondern auch in ganz Europa.
4. Krisenkonsequenzen
Da unstreitig die zügellose Geldmengenvermehrung der FED zur Dollarschwemme und Dollarentwertung, aber auch zu einer ungesunden Geldmengenvermehrung der westlichen Welt geführt hat, muss nicht nur in der westlichen Welt das Verhältnis von Geldmenge zu Gütermenge wieder korrigiert, sondern der privatwirtschaftliche Finanzsektor ebenso wie auch der öffentliche Finanzsektor saniert werden, indem im privaten Finanzsektor die unsoliden Kredite und Finanzprodukte eingefroren und im öffentlichen Finanzsektor die überzogene Verschuldung wieder abgebaut werden muss.
5. Theoretische Lösungsalternativen
Es gibt theoretisch marktwirtschaftliche und verwaltungswirtschaftliche Lösungsalternativen:
Marktwirtschaftliche Lösungen
Sind Banken überschuldet oder haben sie unsolide oder faule Papiere, so müssten sie nach Marktgesetzen abwerten, ausbuchen, notfalls Insolvenz anmelden. In diesen Fällen bleibt der Schaden vor allem bei den Eigentümern der Banken, darüber hinaus aber auch bei ihren Gläubigern.
Genau dies war der Grund, weshalb in der Bankenkrise die internationalen Grossbanken nicht marktwirtschaftlich abgewickelt werden durften: Die dahinterstehenden Eigentümer (Hochfinanz) wollten die Verluste nicht tragen, hatten aber andererseits über die von ihr gesteuerten Regierungen so grosse politische Macht, dass sie in der Lage waren, eine Lösung nicht zu eigenen Lasten, sondern zu fremden Lasten durchzusetzen.
Allerdings ist die Sanierung der internationalen Spekulationsbanken noch nicht vorbei. Wir haben etwa noch die Hälfte ihrer Giftmüllprodukte zu entsorgen bzw. in Badbanks geparkt, so dass sie unter Marktgesetzen auch im nächsten Jahrzehnt erheblichen Abschreibungsbedarf – also Verluste – hätten.
Wenn Staaten überschuldet sind und keine Kredite mehr bekommen können, müssen sie nach Marktgesetzen Staatsbankrott erklären. Der Staat wird dann seine Kredite nicht mehr zurückzahlen bzw. sie entweder langfristig einfrieren oder die Gläubiger zwingen, auf grosse Teile ihrer Kredite zu verzichten, so dass der Staat mit der Restschuld und den geringeren Zinsen wieder liquide wird. Staatsbankrott ist also immer Verlust für die Gläubiger. Genau dies war der Grund, weshalb Griechenland keinen Staatsbankrott machen durfte. Gläubiger waren nämlich wiederum die gleichen internationalen Spekulationsbanken (insbesondere Goldman-Sachs), welche schon bei der ersten privaten Bankenkrise ihre Verluste dem Steuerzahler zuschieben konnten. Sie haben nun auch in der Griechenland-Krise politisch dafür gesorgt, dass nicht sie als Gläubigerbanken die Verluste tragen mussten, sondern dass die europäischen Regierungen aus «europäischer Solidarität» angeblich Griechenland retten – in Wirklichkeit aber wiederum die Banken retten und deren Verluste übernehmen mussten. Merkel hat sich verzweifelt gewehrt, ist aber unter dem Druck des Politbüros in Brüssel und nach Anruf durch den amerikanischen Präsidenten eingeknickt. Der Bundespräsident wurde gezwungen, ohne Prüfung nur in Stunden das Schuldenpaket zu unterzeichnen und ist wohl aus Scham darüber zurückgetreten.
Verwaltungswirtschaftliche Lösungen
Wenn der private Sektor nicht bluten soll, muss der öffentliche Sektor bluten, muss die Krise verwaltungswirtschaftlich bekämpft werden. Bei der ersten Bankenkrise konnte das Eingreifen der Staaten immerhin einen kurzfristigen Crash verhindern, hat sich die Überlegung als richtig erwiesen, dass Staatsgarantien die notwendigen marktwirtschaftlichen Korrekturen zumindest über längere Zeit strecken, also Zeit gewinnen können. So sind in etwa zwei Jahren auch etwa die Hälfte der faulen Finanzprodukte durch private und öffentliche Abschreibungen vernichtet worden, hat die Korrekturkraft des Marktes zögerlich, aber doch gewirkt.
Man mag darüber streiten, ob es überhaupt zu verantworten und langfristig rentabel gewesen ist, internationale Banken wie zum Beispiel die HRE (Hypo Real Estate Bank) auf öffentliche Kosten zu retten, um ihren Eigentümern – der US-Hochfinanz – die vollen Verluste zu ersparen und Zeit für die Restrukturierung zu gewinnen. Die endgültige Antwort dazu wird vom weiteren Verlauf der zweiten Krisenphase abhängen.
Haben die Staaten aber einmal die Verluste der privaten Banken übernommen und/oder sich selbst zu stark verschuldet, kommen sie auch um eigene Sanierung nicht herum. Soll dies nicht marktwirtschaftlich (Staatsbankrott) geschehen, muss es verwaltungswirtschaftlich gelöst werden. Dazu gibt es theoretisch wiederum nur zwei Möglichkeiten:
Abbau der Staatsverschuldung durch Haushaltssanierung. Diese wiederum kann durch Erhöhung der Einnahmen (Abgaben) und/oder durch Verminderung der Ausgaben geschehen.
Theoretisch wird es nicht viele zusätzliche Einnahmepositionen geben, weil die meisten Staaten bereits an der Toleranzgrenze der Belastung ihrer Bürger stehen. Es gibt aber viele Ausgabepositionen, bei denen theoretisch gespart werden könnte. Man könnte zum Beispiel die staatlichen Aufgaben reduzieren, zum Beispiel Zehntausende öffentlich «Beauftragte» mit ihren Behörden entlassen; man könnte durch Streichen von Subventionen sogar Nutzen bewirken (zum Beispiel Bergbau-Subventionen). Immer haben die Staaten in der Krise auch die öffentlichen Gehälter reduziert. Auch dies wäre eine mögliche Sanierungsmassnahme. In Griechenland müssten sogar die Hälfte der öffentlichen Diener entlassen werden, weil sie erst durch die jetzige Regierung ohne Aufgabe, ohne Arbeitsplatz und ohne Sinn eingestellt worden sind. Vor allem aber könnte man bei den Sozialleistungen kürzen. Warum müssen wir im Gegensatz zu anderen Demokratien jeden Immigranten ohne Arbeit sofort mit Sozialleistungen verwöhnen? Und warum zahlen wir Sozialleistungen lebenslang und sogar in mehreren Generationen? Denkt man an die Zeit nach dem Krieg, in welcher wir uns durch Sparen wieder hochgearbeitet haben, wäre also auch diese theoretische Möglichkeit heute gegeben. Ob sie allerdings gesellschaftlich und politisch möglich ist, bleibt fraglich.
Die Möglichkeit eines Sanierens durch Sparen ist aber auch nicht ohne Folgewirkungen. Würde zum Beispiel Griechenland die ungeheuer hohe Verschuldung allein durch Sparen überstehen wollen, würde das Land sofort in die tiefste Konjunkturkrise seiner Geschichte verfallen, würde ausserdem seine Depression auf seine Aussenhandelspartner abstrahlen, würde vor allem diese Depression wegen der Höhe der Schulden mehr als ein Jahrzehnt dauern – eine Vorstellung, die irreal erscheint. Würden sogar mehrere Staaten sich durch Sparen aus ihrer Verschuldung befreien müssen, bedeutete dies zum Beispiel in Europa eine um sich greifende langfristige Rezession oder sogar Depression. Dies würde wiederum bedeuten, dass grosse Bevölkerungsschichten verarmen würden und dass entsprechende Existenznot einen Bürgerkrieg wahrscheinlich machen würde, was keine demokratische Regierung aushalten kann. Wer nämlich als demokratische Regierung spart, fliegt aus dem Amt. Dies ist immer schon so gewesen, wird also von demokratischen Regierungen deshalb auch nicht mehr ernsthaft versucht. Der Finanzminister von Griechenland hat schon signalisiert, dass er seine Sparschwüre brechen und keine weiteren Sparbemühungen machen wolle.
Bleibt als letzte finanzpolitische Korrekturmöglichkeit zwischen ausgeuferter Geldmenge und geringerer Gütermenge die Anpassung über Entwertung, also Inflation oder Währungsreform zur Staatssanierung.
Inflation hat den grossen Vorteil, dass sie schleichend kommt und entscheidenden Gruppen hilft, vor allem dem Staat mit wachsenden Steuereinnahmen und Entwertung seiner Altschulden. Auch den Unternehmen hilft sie, soweit sie Preissteigerungen durchsetzen können. Dass die Einkommensbezieher und Rentner dabei verlieren, merken sie erst verzögert.
Die Problematik der Inflation liegt aber darin, dass sie bei den inzwischen übermässig verschuldeten Ländern nicht kurzfristig hilft, sondern erst mittelfristig. Man braucht schon eine Inflation im zweistelligen Bereich, um etwa die USA oder die Mittelmeerstaaten von ihren heutigen Schulden fühlbar zu entlasten. 3, 4 oder 5 Prozent reicht dafür nicht mehr. Damit wird aber zugleich das Währungsgefüge gestört und teilweise aufgelöst. Auch international bedeutet Inflation Umlenkung von Warenströmen und Währungen. Wird die Inflation stärker, ist sie häufig auch nicht mehr beherrschbar, wird sie zur galoppierenden Inflation, die immer in Währungsreform mündet. Inflation ist also keine Dauersanierung, wie sie sein müsste, wenn sie das Verschuldungsproblem wirklich lösen sollte.
Nur eine Währungsreform würde kurzfristig die Staatsschulden nachhaltig reduzieren können. In den meisten Fällen wurde deshalb nach Kriegen oder nach Misswirtschaft eine Staatsentschuldung durch Währungsreform zu korrigieren versucht. Die Geschichte der Währungsreformen ist hundertfach, also üblich.
Eine Währungsreform hätte den theoretischen Vorteil, dass sie sofort wirkt, dass sie bei Verlierern und Gewinnern steuerbar ist und dass sie eine Rezession oder Depression erspart, weil es nach Abwertung gleich weitergeht.
Vor allem ist eine Währungsreform auch die letzte theoretische Sanierungsmöglichkeit einer Staatsüberschuldung, wenn alle anderen Mittel entweder versagen oder politisch versperrt sind.
Praktische Lösungsalternativen
Da weltweit und auch bei uns die Realwirtschaft noch weitgehend in Ordnung, also von der Krise kaum erfasst ist, müssen sich die konkreten Lösungen nur auf die beiden Sektoren der privaten Finanzwirtschaft und der öffentlichen Finanzen konzentrieren. Beide Bereiche sind durch die amerikanische Geldflutung aufgebläht. In beiden Bereichen muss die Geldblase korrigiert, müssen Geldmenge und Gütermenge wieder harmonisiert werden. Dazu stehen folgende praktische Lösungen im Vordergrund:
a. Korrektur der Finanzmärkte
Hauptschuldiger an der Geldmengenexplosion ist die private Federal Reserve Bank, die zeigt, dass eine private Zentralbank mit Geldausgaberecht zu missbrauchsanfällig ist, um den Geldwert konstant zu halten. Die Federal Reserve Bank muss deshalb verstaatlicht werden, muss eine neutrale, nur dem Geldwert verpflichtete Organisation werden, wie dies früher die Deutsche Bundesbank jahrzehntelang vorbildlich gewesen ist.
Eigentlich sollte die Europäische Zentralbank ebenso stabil und politisch unabhängig dem Geldwert verpflichtet bleiben wie die Bundesbank. Ihre Unabhängigkeit wird zur Zeit auf amerikanischen Druck von der Frankreich-Connection (Trichy/Sarkozy) bedroht, welche die bankpolitischen Entscheidungen ihrer Politik unterordnen und mit Hilfe der Griechenland-Krise durch Kredite (750 Milliarden Euro) und durch EZB-Ankauf wertloser Griechenlandanleihen (40 Milliarden Euro) die Unabhängigkeit der Eurobank beseitigen wollen. Eigentlich müsste ein lautstarker Protest dagegen durch ganz Europa gehen, um diese verhängnisvolle Entwicklung zu stoppen.
Zur Lösung der öffentlichen Schulden haben die Amerikaner und Europäer unterschiedliche Wege: Die Amerikaner betreiben weiter ungehemmte Geldmengenvermehrung, die Europäer wollen durch Sparen die öffentlichen Haushalte wieder sanieren. Der amerikanische Finanzminister hat jedoch wütend das Ende des europäischen Sparens von Schäuble verlangt. Europa solle auf Geldmengenvermehrung – also Inflation – einschwenken, um den Euro nicht stabiler als den Dollar zu halten. Es wird spannend sein, ob die Europäer der Supermacht wieder gehorchen oder ihren eigenen – richtigeren – Weg zu gehen wagen.
Wie weit allerdings öffentliches Sparen überhaupt möglich ist, bleibt praktisch zweifelhaft. Bisher sind alle demokratischen Regierungen, welche ernsthaft sparen wollten, abgewählt worden. Auch der griechische Finanzminister hat nach den Bevölkerungsprotesten inzwischen das Ende des Sparprogramms verkündet. Der eigentlich richtige Weg öffentlicher Haushaltsreduzierung zur Geldmengenverminderung ist also nur theoretisch möglich, praktisch nicht ernsthaft politisch durchsetzbar.
Würde jetzt schon Inflation ausbrechen, müssten die Zinsen stark steigen und würde dies viele öffentliche Haushalte durch Zinsausgaben strangulieren. Wir werden also damit rechnen müssen, dass die Zentralbanken vorerst noch weiter billiges Geld mit niedrigen Zinsen schaffen, um die öffentlichen Haushalte noch finanzierbar zu halten.
Billiges Geld bedeutet aber mehr Geld und mehr Geld bedeutet immer Inflation. In den USA schon bald und in Europa etwas später werden wir jedenfalls mit Inflation rechnen müssen. Die Amerikaner (Stieglitz) empfehlen diesen Weg schon lange, weil die USA schon zweimal nach zwei Weltkriegen durch Inflation aus Schuldenkrisen herausgewachsen ist. Wir in Europa dagegen fürchten die Inflation wegen ihrer Umverteilungswirkungen (von Geldwerten in Sachwerte) und weil sie bei Steigerungen zu leicht in die Währungsreform umkippt. Dennoch werden wir unter dem Druck der USA sowie mit dem eröffneten Geldmengenmissbrauch der EZB künftig auch in Europa mit verstärkter Inflation rechnen müssen.
Einig sind sich alle Politiker, dass unsere Regierungen und Staaten von der Finanzindustrie erpresst worden sind, insbesondere von der US-Hochfinanz. Jetzt zeigt sich wie recht Brzezinski hat, wenn er darauf hinweist, dass die US-Administration von der Hochfinanz gegängelt werde und sie ihrerseits wiederum die Vasallenvölker nach deren Weisung zu leiten habe. Wir haben also inzwischen durch das Wachsen der Finanzindustrie eine Umkehr der traditionellen Machtverhältnisse: Nicht mehr die Politik beherrscht die Wirtschaft, sondern die Finanzindustrie und die Konzerne beherrschen die Politik. Diesen verhängnisvollen Systemwechsel gilt es umzukehren. Die Politik muss wieder die Regeln für die Finanzindustrie setzen, die Kontrolle übernehmen und die Finanzexzesse zu verhindern in der Lage sein.
Darüber sind sich fast alle einig, nur streiten sich vor allem Amerikaner und Europäer über die Möglichkeiten dazu: Unser Finanzminister will eine Finanztransaktionssteuer, um jederzeit einen Fonds aufzubauen, aus dem kranke Zusammenbrüche und Missbräuche refinanziert werden können. Der Wirtschaftsminister Brüderle führt mit Recht gegen diesen Plan seines Finanzkollegen an, dass damit praktisch wieder der Konsument belastet würde (wie bei einer Mehrwertsteuer) und die Finanzgeschäfte nur verlagert würden, wenn nicht alle wichtigen Länder der Welt gleiches beschliessen. Solange also die von ihrer Finanzindustrie gesteuerte amerikanische Regierung nicht mitmachen darf, bleibt dieser Lösungsweg geschlossen.
Mit Recht hat immerhin Deutschland den Handel mit Derivaten und Leerverkäufen verboten. Auch diese Massnahme wird aber von der US-Finanz torpediert, weil sie ihrer Regierung ein gleiches Verbot nicht erlauben.
Vorgeschlagen wurde schliesslich, dass die Banken ihr Eigenkapital verstärken und in einen Fonds einzahlen müssten, welcher in Notfällen statt des Staates Hilfe leisten kann. Eine ähnliche Regelung wird auch von der US-Regierung eingeführt. Sie wirkt aber nicht kurz-, sondern allenfalls langfristig, ist also kein kurzfristiger Lösungsweg.
Die Finanzwissenschaft schlägt vor, dass künftig Überschuldungs- oder Liquiditätsschwierigkeiten der Banken zu Insolvenz oder staatlicher Übernahme führen sollten, damit nicht wie bei der ersten Bankenkrise die Aktionäre ungeschoren davonkommen, sondern zuerst den Schaden tragen müssen. Ob aber eine solche richtige Massnahme gegen die Weltvormacht der US-Hochfinanz durchsetzbar ist, bleibt fraglich. Immerhin haben bereits in der ersten Krise ehemalige Angestellte dieser Hochfinanz (US-Finanzminister Paulson) den Aktionären die Verluste ersparen und diese dem Steuerzahler auferlegen können. Gleiches war auch der Trick mit der staatlichen Griechenlandhilfe: Bankenverluste auf die Steuerzahler abzuwälzen.
Es gibt also zwar viele praktische Möglichkeiten zur Lösung der derzeitigen Finanzkrise in der privaten oder der öffentlichen Finanzwirtschaft, nur schade, dass nicht alle politisch bzw. gegen die Macht der Hochfinanz durchsetzbar sind. Insofern reduzieren sich die durchsetzbaren, praktischen Lösungsmöglichkeiten auf nur wenige.
Prognose der Krisenentwicklung
Die bisherigen Lösungsansätze zur Lösung der Weltfinanzblase haben selbst in der ersten Weltfinanzkrise nicht ausgereicht, um das Krisenpotential zu beseitigen. Mehr als die Hälfte der Giftmüllprodukte und die öffentlichen Verschuldungen, insbesondere in den USA bleiben ungelöst und sind noch zu korrigieren. Wir müssen also mit einer zweiten Krisenstufe rechnen («double dip»).
Eine nächste drastische Korrektur ist beim Dollar überfällig. Das Vertrauen in den Dollar ist wegen des Massenmissbrauchs durch die FED und durch die amerikanischen Grossbanken erschüttert. Zurzeit wird der Dollar nur noch akzeptiert, weil die Amerikaner eine Euro-Krise herbeigeführt und damit auch das Vertrauen in den Euro erschüttert haben. Dieses Ablenkungsmanöver hilft aber nicht lange. Die USA sind nicht nur überschuldet, sondern ihnen droht auch Zahlungsunfähigkeit. Immerhin brauchen die USA wegen ihrer internationalen Kriegs- und Importverpflichtungen mehr als 360 Milliarden Dollar Zufluss aus der Welt bzw. Geldschwemme aus der FED, um überhaupt zahlungsfähig zu bleiben. Gerät dies ins Stocken, ist Insolvenz und wohl eine Währungsreform fällig.
Allerdings haben die USA schon zweimal Grosskrisen ihres Landes durch Beteiligung an Weltkriegen, durch Verkauf von Kriegsproduktion und das anschliessende Einziehen der Kriegsbeute (deutsches Gold, deutsche Patente, Besatzungskosten) zu wieder wirtschaftlichem Aufstieg nutzen können. Dies könnte die derzeitige Regierung verführen, das gleiche Mittel auch jetzt zu versuchen. Immerhin sind alle Kriegsvorbereitungen gegen Iran bereits getroffen, es fehlt nur noch an einem 11. September.
Eine an sich zwangsläufige Währungsreform in den USA könnte also durch Krieg noch etwas verzögert werden, käme dann aber um so stärker.
In Europa haben wir die erste Bankenkrise glimpflich – wenn auch kostspielig – überstanden und könnten auf gutem Korrekturwege sein, wenn nicht die Griechenland-Krise die Politiker zum zweiten Mal dazu verführt hätte, Bankenschulden für die Steuerzahler zu übernehmen sowie eine gegenseitige Haftung in der EU für marode Staaten zu übernehmen (Transferunion). Diese unverantwortlichsten finanzpolitischen Massnahmen sind in den letzten Monaten geschehen. Wir haben in einem Land den Staatsbankrott aufgeschoben und abgelöst, aber damit in weiteren Ländern einen Verschuldungsgrad herbeigeführt, der durch Sparen oder Inflation möglicherweise nicht mehr beherrschbar ist.
Jetzt zeigt sich, dass die angebliche «europäische Solidarität» zur Ausbeutung der Fleissigen durch die Faulen, der Soliden durch die Unsoliden und der Rechtschaffenen durch die Kriminellen missbraucht wird. Es könnte sein, dass daran die Eurozone teilweise oder ganz platzt, vielleicht sogar die Europäische Union.
Hätte man Griechenland sich durch Insolvenz (Staatsbankrott) abwickeln lassen, wäre dies der solidere, einfachere und billigste Weg gewesen. Die hektische Betriebsamkeit unserer Politiker hat das Problem nicht gelöst, sondern nur den Schaden von den Banken auf den Steuerzahler überwälzt, – zumeist für uns Deutsche. Wir werden also in den nächsten zwei Jahren in Europa dramatische Finanzauseinandersetzungen erleben, möglicherweise mit oder im Anschluss an die USA auch eine Euro-Währungsreform.
Vielleicht ist aber eine kurze und schmerzhafte Operation wie eine Währungsreform immer noch besser und billiger als eine längere Inflations- und Krisenphase. Eine Währungsreform könnte uns sogar eine sonst kommende Rezession oder gar Depression ersparen.
Nr.30 vom 27.7.2010 © 2006 Genossenschaft Zeit-Fragen
Quelle: http://www.zeit-fragen.ch/ausgaben/2010/nr30-vom-2772010/wohin-treibt-die-finanzkrise/
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