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«Es droht eine teuflische Abwärtsspirale»

04. März 2013

Radikal falsche Strategien haben sich wie eine Seuche verbreitet

Fredmund Malik im Interview von Ingo Narat

Fredmund Malik ist ein bekannter Ökonom und Buchautor. Im Interview erklärt der Österreicher, worin er die Ursachen der Krise sieht und warum sie so gefährlich ist. Seine düstere Prognose: Den Börsen droht der Absturz. Es gibt Schwarzseher und solche, die auch skeptische Prognosen noch übertreffen. In diese Riege gehört Fredmund Malik. Er ist Wirtschaftswissenschaftler und Leiter des «Malik Management Zentrums» in St. Gallen.

Handelsblatt: Wir stecken immer noch in der Finanzkrise. Wo erkennen Sie als Unternehmensberater die Ursachen?

Fredmund Malik: Es ist Überschuldung und wirtschaftliche Fehlsteuerung als Folge falscher Unternehmensführung und radikal falscher Strategien. Dieses falsche Management wird seit Jahrzehnten in den Business Schools gelehrt und hat sich wie eine Seuche verbreitet. Es ist auch verantwortlich dafür, dass immer mehr intelligente Köpfe nicht mehr in die Realwirtschaft gingen, sondern in die Finanzwirtschaft. Unter anderem geht es auch um wirtschaftszerstörende Bonus­systeme, die falsche Anreize setzen. Dadurch ist in den Unternehmen viel Bitterkeit, Verachtung und Agonie entstanden, was die Unternehmensspitzen gar nicht wahrnehmen. Es sind breite Gräben in die Unternehmens­kulturen gerissen worden. Und das in einer Zeit, in der die Firmen das ganze Vertrauen brauchen würden.

Wo liegt der Keim des Ganzen?

Im Sharholder-Value-Denken. Eine Buchveröffentlichung machte es 1986 populär. Aber der Shareholder Value ist überhaupt kein Mass für die reale wirtschaftliche Leistung, und er ist für das Topmanagement systematisch irreführend. Der vermeintliche Wirtschaftsboom am Ende des letzten Jahrtausends war kreditgestützt. Notenbanken haben mit ihrer Niedrig­zinspolitik eine völlig falsche Politik betrieben. Das Denken in finanziellen Dimensionen gewann die Oberhand, auch in der Unternehmensführung. Zynisch gesagt: Der Mensch ist degradiert worden zum Barwert seiner Lebensversicherung, minus ­Beerdigungskosten. So kamen wir in der Realität zu falschen Anreizsystemen, die von Schulen und vor allem auch von den ­meisten Unternehmensberatern verbreitet wurden.

Warum war das in der Praxis so attraktiv?

Shareholder Value bedeutet: Wir wollen den Aktionär reich machen. Aber das darf nicht Zweck eines Unternehmens sein, obwohl es auch ein Resultat sein kann. Ein Unternehmen anhand von Finanzkennziffern zu beurteilen, ist verführerisch, weil es so einfach scheint. Es ist viel einfacher, als beispielsweise über Innovationen und Strategien zu sprechen   – was aber entscheidend ist. Finanzkennziffern helfen kaum, weil sie nur eine kurzfristige Realität widerspiegeln. Ich sage sogar: Je besser die operativen Zahlen, um so gefährlicher ist das Unternehmen ­positioniert. Mit dem falschen Denken hat beispielweise der frühere Daimler-Chef Jürgen Schrempp durch den Kauf von Chrysler zweistellige Milliardenbeträge versenkt. Gegenbeispiele sind Ferdinand Pièch von VW oder Helmut Maucher von Nestlé.

Was kann man gegen die Überschuldung tun?

Vordringlich braucht es die innovativen Methoden für ein neues Funktionieren von Organisation und Management. Vorübergehend sollte man auch die meisten Wirtschaftsfakultäten der Unis und Business-Schools schliessen und für einen Neustart fragen: Warum habt ihr Wissenschaftler das geduldet und nicht hinterfragt? Wir haben in einer Periode der systematischen Bewusstseins-Verschmutzung gelebt. Die Welt wurde gemacht von Personen, die sich und den Globus nur über die Geld-Dimension wahrnehmen, alle Dinge nur in Geld bewerten. Eine Facette dabei ist, dass wir das Börsengeschehen zum verführerischen Infotainment entwickelt haben. Das hat zusätzlichen Schaden angerichtet. Viele Menschen sind vor allem über die Pensionsfonds und andere Vehikel noch am Ende der grossen Hausse zur Jahrtausendwende in Aktien eingestiegen und leiden jetzt unter den Verlusten, die aber erst in ihren Anfängen stehen.

Dem Dax droht ein drastischer Absturz

Wo haben Unternehmen und Banken den Kontakt zum Boden verloren?

Sie wurden durch Kredite hochgepusht. Wenn sich heute Unternehmen zu 100 Prozent über Eigenkapital finanzieren, schütteln Analysten den Kopf. Credo ist ja: Die Eigenkapital-Rendite muss man über Fremdkapital hebeln. Genau dieser Trend hat in eine massive Verschuldung geführt, bei Haushalten, Unternehmen, Banken und letztlich dem Staat. Und natürlich war dieser Run auf Schulden auch verantwortlich für die grosse Hausse an den Aktienmärkten. Der Finanzsektor hat sich weit von seinen Ursprüngen entfernt. Ursprünglich sollte er Investitionen und den Handel finanzieren. Aber schon Ende der 90er Jahre war das Volumen der reinen Finanzgeschäfte das 100- bis 1000fache dessen, was die Realwirtschaft gebraucht hätte.

An welcher Stelle sehen Sie die Verbindung zwischen Schulden und Finanzmärkten?

Kredite und Gier trieben den Bullenmarkt für Aktien. An den Schulen wurde dagegen gelehrt: Die Hausse ist eine natürliche Folge der erfolgreichen Unternehmensführung. Deshalb wird es eine böse Überraschung geben, wenn die Kurse auf die Niveaus zum Start der Hausse zurückfallen, was in ähnlichen Situationen immer geschehen ist. Für den Dow-Jones-Index bedeutet das: auf 1000 Punkte. Beim Dax sind das etwa 500 Zähler. Kurz: Weniger als ein Zehntel der heutigen Werte.

Das erscheint aus heutiger Sicht unmöglich ...

Die Krise als solche erschien der Mehrheit als unmöglich. Ich erwarte eine Fortsetzung des Finanzmarktkollapses. Falls nicht revolutionär neue Methoden eingesetzt werden, wird die Folge wahrscheinlich die grösste deflationäre Depression der Geschichte sein. Das bedeutet einen massiven Rückgang der Wirtschaftsleistung und daher auch der Steuer­einnahmen. Es folgt eine Kette von Bankenpleiten und Staatsbankrotten. Sicher ist, dass Unternehmer in so einem Umfeld nicht mehr investieren werden. Den Tiefpunkt erwarte ich 2015 oder 2016. Dann wird die Wirtschaftsleistung 30 bis 50 Prozent niedriger sein als heute. Ich erwarte gleichzeitig einen tiefgreifenden Wertewandel, unter anderem wird der neoliberale Egoismus von einem neuen Gemeinsinn abgelöst.

Wo greifen hier Verschuldung und Kursentwicklungen ineinander?

Sinkende Aktienkurse und überhaupt Sachgüterpreise sind nur dann ein Problem, wenn die Positionen auf exzessivem Kredit basieren   – was heute der Fall ist. Selbst wenn dann der Aktienkurs nur leicht sinkt, muss der Besitzer Geld nachschiessen. Wenn er das nicht kann, wird die Bank die Position zwangsweise liquidieren, also den Bestand verkaufen. So entwickelt sich eine teuflische Abwärts­spirale, die sich immer schneller dreht, und mit herkömmlichen Mitteln nicht zu stoppen ist. Die Bärenmärkte sind deshalb genau so übertrieben wie vorher die Haussen.

Die Globalisierung wird teilweise rückgängig gemacht

Ist die aktuelle Krisen-Bekämpfungspolitik gescheitert?

Bis jetzt ja. Man versucht die alte Welt zu retten und gibt dem Alkoholiker immer noch einen neuen Schnaps. Wie erklärt liegen die Ursachen lange zurück. Die Amerikaner haben in ihrem Glauben an den ewigen Wohlstand Staatsschulden aufgetürmt. Wie beschrieben haben sich vor allem die Finanzunternehmen genau so verhalten. Der frühere Notenbankchef Alan Greenspan hat mit seiner Niedrigzinspolitik die letzte Chance zu einer Korrektur verpasst und statt dessen eine Blase an den Immobilienmärkten und an den Anleihemärkten erzeugt. Die USA stehen heute realwirtschaftlich in der Nähe eines Entwicklungslandes.

Was bedeutet dieser düstere deflationäre Ausblick?

Zunächst die Liquidierung unhaltbarer Kredite. Das Volumen dürfte in einer Grössenordnung von deutlich über 100 Billionen Dollar liegen. Wir reden über einen Verkaufszwang bei allen wichtigen Vermögensklassen: Aktien, Anleihen, Unternehmensanteile, Rohstoffe, auch Immobilien, die ebenfalls bis auf ein Zehntel ihrer Höchstpreise fallen können.

Und der Anleger?

Der hat wenige Optionen. Geld wird im Zeitablauf an Wert gewinnen. Deshalb sollte der Anleger sein Geld in bar in einer guten Währung bei seiner Bank verwahren. Später muss er es zu Hause deponieren, um bei einem Run auf die Banken nicht erwischt zu werden. Die Einlagen-Sicherungssysteme sind viel zu klein angelegt. Ich schätze, dass über die Hälfte der Institute insolvent werden wird.

Mit welchen gesellschaftlichen Entwicklungen müssen wir rechnen?

Mit neuen Methoden kann man das Potential zu einem neuen Wirtschaftswunder und neuer sozialer Stabilität haben. Fährt man hingegen fort wie bisher, wird sich Amerika isolieren, die Europäische Union an Zusammenhalt verlieren und auseinanderbrechen. Es kommt eine Epoche des Protektionismus. Die Globalisierung wird teilweise rückgängig gemacht. Politisch ist Radikalisierung eine grosse Gefahr.

Vielen Dank für das Gespräch.

Quelle: Handelsblatt vom 26.2.2012
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Fredmund Malik

Fredmund Malik (*1944) Der Vorarlberger ist Wirtschaftswissenschaftler mit Forschungsschwerpunkt Managementlehre sowie Inhaber und Leiter eines Management-Beratungsunternehmens in St. Gallen. Er verwendet u.a. systemtheoretische und kybernetische Ansätze zur Analyse und Gestaltung von Managementsystemen. Er lehrte früher an der Universität St. Gallen und ist dort Titularprofessor für Betriebswirtschaft mit besonderer Berücksichtigung der Unternehmensführungslehre.
Malik hat die Wirtschaft stets personal verstanden und die mitmenschlichen Beziehungen und das Vertrauen als Führungsprinzip in Unternehmen stets hochgehalten, das entgegengesetzte der US-Managementsysteme, die auf Controlling aufbauen bzw. einem anderen Menschbild.
Er gehört zu denen, die sich nicht mit dem faulen Argument verstecken müssen «Niemand hätte die Wirtschaftskrise kommen sehen». Wir haben in der Ausgabe Zeit-Fragen Nr. 10/2009 dargestellt, wer auf die jetzt manifeste Krise früh genug hinwies und dass es nicht um das «Nicht wissen können», sondern um das bequeme «Nicht wissen wollen» gegangen ist. Fredmund Malik hat schon 2004 im Rahmen eines eintägigen Seminars zum Thema «Aktuelle Wirtschaftslagen in den USA» die grossen Fragen der verschuldeten Weltwirtschaft luzid dargestellt und die Zerfallsprozesse akkurat prognostiziert. Die Dokumentation kann bei ihm oder auf der Redaktion eingesehen werden. Er hat in Seminaren, Interviews und geschlossenen Runden auf die Risiken und Unausweichbarkeiten hingewiesen. Aufbauend auf einem personalen Menschenbild bietet er Managementausbildungen an. Sie sind allen MBAs an Praxisbezogenheit, Bodenhaftung, Menschenverstand und geronnener Erfahrung aus der produzierenden Wirtschaft weit überlegen.
(www.malik-mzsg.ch)

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