Prof. Dr. Heinrich Wohlmeyer
Weil ich von Zukunftsblindheit beziehungsweise Zukunftskriminalität der Entscheidungsträger und vom «Schweigen der Schafe»1 umgeben bin. Wer kein Schafhalter ist, kann die Metapher der Bibel2 kaum verstehen. Im Unterschied zu allen anderen Nutztierarten ergeben sich die Schafe, ohne verzweifelt zu blöken (schreien), wenn sie zur Schlachtbank geführt werden.
Die vielfältig wirtschaftenden Kleinbauern werden derzeit rücksichtslos den gross-kapitalen Weltmarktbeherrschern geopfert, die kurzfristig ihre Gewinne maximieren und ihre wachsenden Finanzvermögen in Grund und Boden anlegen. Man spricht dabei immer vom unantastbaren, unveränderlichen und wohlstandsmehrenden «Weltmarkt», als ob dieser eine natürlich vorgegebene Form des ökonomischen Handels wäre.
Die jüngste dieser zukunftskriminellen Aktionen ist das Durchwinken des CETA-Abkommens mit Kanada durch die EU-Kommission und dessen zahnlose Behandlung durch das EU-Parlament sowie durch die nationalen Regierungen und Parlamente. Bei letzteren verwende ich bewusst nicht das Wort «Volksvertretung», weil eindeutig gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung den etablierten Grossinteressen Rechnung getragen wird.
Derzeit geben im Durchschnitt in Österreich pro Tag sechs Kleinbauern auf. Dies wird als natürliche «Strukturbereinigung» dargestellt. In Wirklichkeit wird die Ernährungssicherung unserer Kinder und Kindeskinder verkauft.
Warum ich dies zu sagen wage: Alle Hochkulturen mit knappen Flächen haben gärtnerisch-vielfältige Produktionsmuster entwickelt, und auch wir haben in der Situation gestörter Zufuhren auf diese Art die Ernährung sichergestellt. Ich habe noch den Zweiten Weltkrieg und die Notzeit danach als Kind hautnah und bewusst erlebt. Unsere vielfältig und autark produzierenden Bauern konnten die Notversorgung sicherstellen. Wir konnten die Kinder noch zum «Auffüttern aufs Land» schicken und die «Hamsterer» konnten um ein wenig Brot, einige Eier sowie um etwas Fleisch und Gemüse bitten kommen.
Die Kleinbauern konnten gärtnerisch intensivieren. Die «Hausäcker» meiner Gast-eltern waren grosse arbeitsintensive Gärten mit höchster Produktivität. Nun sind die meisten «durchrationalisierten» Bauern im Krisenfall selbst notleidend.3
Wenn wir den Rückblick aus der Zukunft als Methode der Zielfindung wagen, dann stehen in der Gesamtpolitik und in der in diese eingebettete Agrarpolitik die Zeichen auf Sturm. Wir sinken demnächst unter 2000 m² bebaubaren Bodens je Einwohner der Erde, die fossilen Hilfsmittel und die Phosphatvorräte, die das derzeitige Hochpeitschen der «modernen» Produktionssysteme ermöglichen, gehen zu Ende, und die Handwerkskunst der Bewirtschaftung von schwierigem Gelände und kargen Böden geht durch das «Wegrationalisieren» der Kleinbauern verloren. Hand in Hand mit dem uns aufs Haupt gedrückten ökonomischen Weltgeschehen geht der Verlust an ökologischer Vielfalt (Biodiversität), die die Voraussetzung für Systemstabilität, standortangepasste Bewirtschaftung und von Intensivierung im Notfall ist. Gegenwärtig stammen rund 75 % der Nahrung von 12 Pflanzen- und 5 Tierarten. Von rund 10 000 essbaren Pflanzenarten werden nur rund 200 genutzt.
All dies wird damit gerechtfertigt, dass man die Arbeitsproduktivität und die Konsumentenrente maximieren müsse. Dass dieses Kurzzeitdenken auf Kosten der künftigen Ernährungssicherheit geht, wird ausgeklammert. Die ökonomisch-ökologische Zentralfrage (Wie erziele ich nachhaltig eine optimale Netto-ernte an Sonnenenergie in für den Menschen nutzbarer Form?) wird nicht gestellt.
Im aktuellen finanzpolitischen Geschehen kommt noch hinzu, dass die staatlichen und überstaatlichen (EU-)Budgets notleidend werden, so dass die überwirtschaftlichen Leistungen der Bauern und ihre Existenzsicherung mittels eines gegensteuernden Sockelbetrages nicht mehr finanzierbar sind.4
Dazu kommt eine Handelspolitik, die die Landwirtschaft «wie jede andere Industrie» (like any other industry) behandelt – eine unzulässige Vorgangsweise, die schon von F. Graham 1923 aufgezeigt worden ist.5 «Ausserdem führt die Anhäufung von Kapital in den Händen einiger weniger, die sich des Endes des Spieles auf den Finanzmärkten bewusst sind, dazu, dass diese in die Realitäten flüchten.» Der internationale und lokale Aufkauf von Ländereien durch private Grosskapitaleigner und durch Staatsfonds (insbesondere China; Land grabbing) läuft auf vollen Touren. Die Folge ist ein Agrar-Management aus der Ferne ohne den Kontakt zu Boden, Pflanze und Tier sowie mit kurzfristigen Gewinnmaximierungszielen.
Wie erkenntnisfremd die derzeitige Politik läuft, zeigt die Umbenennung des «Landwirtschaftsministeriums» in Österreich in ein Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus. Für den jungen Bundeskanzler und die junge Ministerin ist die Ernährungssouveränität keine zentrale Frage mehr. Die junge Generation betrachtet das reichliche Hereinströmen von Lebensmitteln als Selbstverständlichkeit. Sie kann sich den «Fall gestörter Zufuhren» nicht mehr vorstellen. Dasselbe gilt für den Zusammenbruch der IT-Systeme.
Die gegenwärtigen Versorgungssysteme sind aber höchst verletzlich. Dies kann durch Naturereignisse, durch Sabotage und Terrorismus sowie durch Kriege geschehen. Jede «moderne» Aggression beginnt parallel zum bewaffneten Angriff mit der Ausschaltung der IT-, Energie- und Verkehrssysteme. Dies bedeutet, dass wir auf die regionale Notversorgung zurückgeworfen werden. Die regionale Ernährungssouveränität sollte daher ein Top-Ziel der Gesamt- und der Agrarpolitik sein. Was erscheint daher geboten?
1) Die lokale Ernährungssicherheit muss auf die Ebene eines unverzichtbaren Menschenrechtes gehoben werden. Gegenüber diesem sind alle anderen Interessen hintanzustellen. Dies gilt insbesondere für die Handelspolitik.
Das Prinzip des «National Treatment», das in allen WTO-Abkommen (GATT, GATS, TRIPS) enthalten ist, besagt, dass man einen Ausländer nicht «schlechter» behandeln darf als einen Inländer. Im Umkehrschluss muss man einen Ausländer nicht «besser» behandeln als einen Inländer. Abgabenfreier Zutritt sollte daher nur gewährt werden, wenn die Leistung (Ware oder Service) unter vergleichbaren ökologischen und sozialen Standards, wie sie im Bestimmungsland gelten und praktiziert werden, erstellt worden ist (Bestimmungslandprinzip).
Erst unter diesem grundsätzlichen Schutz können die Detailmassnahmen, mit denen die Agrarpolitik derzeit operiert, erfolgreich sein. Ohne den notwendenden handelspolitischen Schutz sind die diversen Förderungen nichts mehr als hinauszögernde «Sterbehilfen».
2) In der Finanzpolitik ist die einnahmenseitige Sanierung der Budgets eine Voraussetzung für das Gegensteuern, solange die Handelspolitik nicht entsprechend flankiert, und ebenso eine Voraussetzung für Abgeltung der überwirtschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft (insbesondere Wohlbefinden spendende Kulturlandschaften, Wasserschutz, Erhaltung der ökologischen Vielfalt). Ich habe in meinem schon in acht Sprachen übersetzten Manifest (im Internet unter «Wiener Wende» abrufbar) die Wege hierzu aufgezeigt (insbesondere Kapitalumsatzsteuer und Internetabgabe).
3) Die Gesamtpolitik hat sich an den von der Natur vorgegebenen Systemprinzipien der Biosphäre zu orientieren. Dies heisst:
4) Die Bauern als Minorität müssen glaubwürdige und vertrauensvolle Allianzen mit allen anderen Gesellschaftsgruppen bilden – insbesondere mit den Arbeitnehmern, den Konsumenten im allgemeinen und den Natur- und Umweltschützern.
Wenn wir den breitflächigen «Aufstand der Schafe» zugunsten dieser Umsteuerungen nicht schaffen, dann ist das langsame Dahinsterben der kleinräumig und standortorientiert wirtschaftenden Bauern besiegelt, und dadurch wird die Ernährungssicherheit im Krisenfall sowie die Ernährungssicherheit unserer Kinder «wegrationalisiert».
Abschliessend noch ein Vermerk zur Sicherung der Bewirtschaftung der Grenzertragsböden, die wir für die künftige lokale Ernährungssicherung brauchen werden. Dies kann durch Ausgleichszahlungen erreicht werden, die verkehrt proportional zur Bodenbonität und proportional zu den klimatischen und reliefbedingten Erschwernissen gewährt werden. Dieses Handicap für die Benachteiligten hätte auch einen doppelten Vorteil:
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