Foreign Affairs: Das Ende des amerikanischen Exzeptionalismus
Der gewählte US-Präsident Donald Trump betritt die Bühne in der Wahlnacht, West Palm Beach, Florida, November 2024, Callaghan O’Hare / Reuters
Das Einzige, worüber man sich bei Donald Trump nicht streiten kann, ist die Art und Weise, wie er seine zweite Amtszeit gewonnen hat. Obwohl Umfragen ein statistisches Unentschieden zeigten und die Befürchtung bestand, dass die Wahlergebnisse lange auf sich warten lassen würden, wurde Trump am frühen Mittwochmorgen zum Sieger erklärt. Anders als 2016 gewann er sowohl die Volksabstimmung als auch das Wahlkollegium und konnte seine Margen in fast allen demografischen Gruppen verbessern. Die Republikaner errangen eine starke Mehrheit von 53 Sitzen im Senat und werden wahrscheinlich auch die Kontrolle über das Repräsentantenhaus behalten. Für den Rest der Welt sollte das Bild klar sein: Trumps Bewegung „Make America Great Again“ (MAGA) wird die US-Außenpolitik in den nächsten vier Jahren bestimmen.
Jeder, der Trumps erste Amtszeit aufmerksam verfolgt hat, sollte mit seinen außenpolitischen Präferenzen und seinem außenpolitischen Vorgehen vertraut sein. Es gibt jedoch wahrscheinlich drei wesentliche Unterschiede zwischen der Außenpolitik der ersten und der zweiten Amtszeit von Trump. Erstens wird Trump mit einem homogeneren Team für nationale Sicherheit ins Amt kommen als 2017. Zweitens ist der Zustand der Welt im Jahr 2025 ein ganz anderer als 2017. Und drittens werden ausländische Akteure Donald Trump viel besser einschätzen können.
Trump wird die Weltpolitik diesmal mit größerem Selbstbewusstsein navigieren. Ob er mehr Glück haben wird, die Welt seinem „America first“-Ansatz zu unterwerfen, ist eine ganz andere Frage. Sicher ist jedoch, dass die Ära des amerikanischen Exzeptionalismus vorbei ist. Unter Trump wird die US-Außenpolitik aufhören, die seit langem bestehenden amerikanischen Ideale zu fördern. In Kombination mit einem erwarteten Anstieg korrupter außenpolitischer Praktiken werden die Vereinigten Staaten wie eine gewöhnliche Großmacht aussehen.
Die Regeln des Spiels
Trumps außenpolitische Weltanschauung ist seit seinem Eintritt in das politische Leben klar. Er glaubt, dass die von den USA geschaffene liberale internationale Ordnung im Laufe der Zeit die Karten gegen die Vereinigten Staaten gemischt hat. Um dieses Ungleichgewicht zu ändern, will Trump wirtschaftliche Ströme wie Importe und Einwanderer einschränken (obwohl er ausländische Direktinvestitionen im Inland begrüßt). Er möchte, dass Verbündete mehr Verantwortung für ihre eigene Verteidigung übernehmen. Und er glaubt, dass er mit Autokraten wie dem russischen Präsidenten Wladimir Putin oder dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong Un Geschäfte abschließen [cut deals] kann, die die Spannungen in globalen Krisenherden verringern und es den Vereinigten Staaten ermöglichen, sich nach innen zu orientieren.
Ebenso klar sind Trumps bevorzugte Mittel, um in der Weltpolitik das zu erreichen, was er will. Der ehemalige und zukünftige Präsident ist fest davon überzeugt, dass man andere Akteure durch Zwang, wie z.B. Wirtschaftssanktionen, unter Druck setzen kann. Er ist auch Anhänger der „Madman-Theorie“, bei der er anderen Ländern massive Zollerhöhungen oder „Feuer und Zorn“ [“fire and fury”] androht, in der festen Überzeugung, dass solche Drohungen sie dazu zwingen werden, größere Zugeständnisse zu machen, als sie es sonst tun würden. Gleichzeitig verfolgt Trump jedoch auch eine transaktionale Sichtweise der Außenpolitik und zeigt während seiner ersten Amtszeit die Bereitschaft, unterschiedliche Themen miteinander zu verknüpfen, um wirtschaftliche Zugeständnisse zu erreichen. In Bezug auf China zeigte Trump beispielsweise wiederholt die Bereitschaft, in anderen Fragen – dem harten Vorgehen in Hongkong, der Unterdrückung in Xinjiang und der Verhaftung eines leitenden Angestellten des chinesischen Technologieunternehmens Huawei – nachzugeben, um im Gegenzug ein besseres bilaterales Handelsabkommen zu erzielen.
Trumps außenpolitische Erfolgsbilanz während seiner ersten Amtszeit war ausgesprochen durchwachsen. Betrachtet man die neu verhandelten Abkommen für das Freihandelsabkommen mit Südkorea oder das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (das in „Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten, Mexiko und Kanada“ oder USMCA umbenannt wurde), so führten seine Versuche, Druck auszuüben, zu mageren Ergebnissen. Dasselbe gilt für seine Gipfeltreffen mit Kim Jong Un. Man kann jedoch argumentieren, dass dies auf die eher chaotische Natur des Weißen Hauses unter Trump zurückzuführen sein könnte. Es gab viele Momente, in denen Trump mit seiner eigenen Regierung im Krieg zu sein schien, was oft dazu führte, dass seine eher gemäßigten außenpolitischen Berater (wie Verteidigungsminister Jim Mattis und der Nationale Sicherheitsberater H. R. McMaster) als die „Erwachsenen im Raum“ bezeichnet wurden. Das Ergebnis war eine hohe Personalfluktuation und Unbeständigkeit in der außenpolitischen Positionierung, was Trumps Fähigkeit, seine Ziele zu erreichen, beeinträchtigte.
Trump 2.0 wird die Macht des amerikanischen Exzeptionalismus begraben.
Das sollte für Trumps zweite Amtszeit kein Problem darstellen. In den letzten acht Jahren hat er genügend Gefolgsleute um sich geschart, um sein Team für Außenpolitik und nationale Sicherheit mit gleichgesinnten Beamten zu besetzen. Es ist weitaus unwahrscheinlicher, dass er auf Widerstand von seinen eigenen politischen Mitarbeitern stößt. Auch die Kontrolle über Trumps Politik wird weitaus schwächer sein. Die Legislative und die Judikative sind jetzt MAGA-freundlicher als noch 2017. Trump hat mehrfach angedeutet, dass er beabsichtigt, das Militär und die Bürokratie von Fachleuten zu säubern, die sich seiner Politik widersetzen, und er wird wahrscheinlich Schedule F* – eine Maßnahme zur Umklassifizierung von Beamtenstellen als politische Posten – nutzen, um sie zu vertreiben. In den nächsten Jahren werden die Vereinigten Staaten in der Außenpolitik mit einer Stimme sprechen, und diese Stimme wird die von Trump sein.
Obwohl Trumps Fähigkeit, die außenpolitische Maschinerie zu steuern, gestärkt wird, ist seine Fähigkeit, die Stellung der Vereinigten Staaten in der Welt zu verbessern, eine andere Frage. Die bekanntesten Verstrickungen der USA bestehen in der Ukraine und im Gazastreifen. Während des Wahlkampfs 2024 kritisierte Trump Biden für den chaotischen Rückzug der USA aus Afghanistan im Jahr 2021 und behauptete, dass „die Demütigung in Afghanistan den Zusammenbruch der amerikanischen Glaubwürdigkeit und des Respekts in der ganzen Welt ausgelöst hat“. Ein ähnliches Ergebnis in der Ukraine würde für Trump ähnliche politische Probleme mit sich bringen. In Gaza hat Trump Benjamin Netanjahu aufgefordert, „den Job zu beenden“ und die Hamas zu zerstören. Netanjahus mangelnde strategische Vision, diese Aufgabe zu erfüllen, deutet jedoch darauf hin, dass Israel einen andauernden Krieg führen wird, der viele potenzielle Partner der USA in der Welt verprellt hat. In Wirklichkeit wird es für Trump schwieriger sein, die Vereinigten Staaten aus diesen Konflikten zurückzuziehen, als er im Wahlkampf behauptet hat.
Darüber hinaus haben sich die globalen Spielregeln seit 2017 geändert, als bestehende US-Initiativen, Koalitionen und Institutionen noch sehr einflussreich waren. In der Zwischenzeit sind andere Großmächte aktiver geworden, um ihre eigenen Strukturen unabhängig von den Vereinigten Staaten zu schaffen und zu stärken. Diese reichen von den BRICS+ über die OPEC+ bis hin zur Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Etwas informeller kann man eine „Koalition der Sanktionierten“ erkennen, in der China, Nordkorea und der Iran Russland gerne dabei helfen, die globale Ordnung zu stören. Trump könnte sich durchaus einigen dieser Gruppierungen anschließen wollen, anstatt überzeugende Alternativen für sie zu schaffen. Seine erklärten Bemühungen, diese Gruppierungen zu spalten, werden wahrscheinlich scheitern. Autokraten mögen einander misstrauen, aber sie werden Donald Trump mehr misstrauen.
Der wichtigste Unterschied zwischen Trump 2.0 und Trump 1.0 ist jedoch auch der einfachste: Donald Trump ist jetzt eine bekannte Größe auf der Weltbühne. Wie die Columbia-Professorin Elizabeth Saunders kürzlich feststellte: „Bei der Wahl 2016 war Trumps Außenpolitik etwas rätselhaft. (...) 2024 sind Trumps Handlungen jedoch viel leichter vorherzusagen. Der Kandidat, der der ‚Verrückte‘ sein wollte und die Idee liebte, andere Länder im Unklaren zu lassen, ist zu einem Politiker mit einer ziemlich vorhersehbaren Agenda geworden.“ Staats- und Regierungschefs wie Xi, Putin, Kim, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und sogar der französische Präsident Emmanuel Macron haben Trumps Masche schon einmal erlebt. Sowohl Großmächte als auch kleinere Staaten wissen inzwischen, dass der beste Weg, mit Trump umzugehen, darin besteht, ihn mit Pomp und Prunk zu überschütten, ihn in der Öffentlichkeit nicht auf Fakten zu überprüfen, auffällige, aber symbolische Zugeständnisse zu machen und sich darauf zu verlassen, dass ihre Kerninteressen im Großen und Ganzen gewahrt bleiben. Trumps Verhandlungsstil hat in seiner ersten Amtszeit nur minimale konkrete Gewinne gebracht; in seiner zweiten Amtszeit wird er noch weniger einbringen.
Nicht mehr aussergewöhnlich
Bedeutet das alles, dass Trump 2.0 einfach nur mehr vom Gleichen sein wird? Nicht ganz. Trumps Wiederwahl lässt zwei Trends in der US-Außenpolitik erwarten, die sich nur schwer umkehren lassen werden. Der erste ist die unvermeidliche Korruption, die die US-Politik beeinträchtigen wird. Ehemalige politische Führungskräfte früherer Regierungen, von Henry Kissinger bis Hillary Clinton, haben von ihrem öffentlichen Dienst durch Buchverträge, Grundsatzreden und geopolitische Beratung profitiert. Ehemalige Trump-Beamte haben dies jedoch auf eine ganz neue Ebene gehoben. Berater wie Trumps Schwiegersohn und Berater im Weißen Haus, Jared Kushner, und Richard Grenell, ehemaliger Botschafter und amtierender Direktor des Nationalen Nachrichtendienstes, nutzten die Verbindungen, die sie als politische Entscheidungsträger geknüpft hatten, um sich fast unmittelbar nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt Milliarden an Auslandsinvestitionen (auch von ausländischen staatlichen Investmentfonds) und Immobiliengeschäfte zu sichern. Es ist nicht überraschend, wenn ausländische Geldgeber nach ihrer Amtszeit mit impliziten und expliziten Versprechungen lukrativer Geschäfte an Trumps Beraterstab herantreten – solange sie mitspielen, solange sie an der Macht sind. Kombiniert man dies mit der erwarteten Rolle, die Milliardäre wie Elon Musk in Trump 2.0 spielen werden, kann man einen dramatischen Anstieg der Korruption in der US-Außenpolitik vorhersehen.
Der andere Trend, den Trump 2.0 beschleunigen wird, ist das Ende des amerikanischen Exzeptionalismus. Von Harry Truman bis Joe Biden haben sich die US-Präsidenten der Auffassung verschrieben, dass amerikanische Werte und Ideale eine wichtige Rolle in der US-Außenpolitik spielen. Diese Behauptung wurde zu verschiedenen Zeiten angefochten, aber die Förderung der Demokratie und der Menschenrechte wurde schon seit geraumer Zeit als im nationalen Interesse liegend identifiziert. Der Politikwissenschaftler Joseph Nye argumentiert, dass diese amerikanischen Ideale ein Kernbestandteil der Soft Power der USA sind.
Fehlentscheidungen in der US-Politik sowie der russische „Whataboutism“** – die Ablenkung von Kritik am eigenen schlechten Verhalten durch den Hinweis auf das schlechte Verhalten eines anderen – haben die Macht des amerikanischen Exzeptionalismus untergraben. Trump 2.0 wird ihn begraben. Tatsächlich bedient sich Trump selbst einer Version des Whataboutism, wenn es um amerikanische Werte geht. Zu Beginn seiner ersten Amtszeit bemerkte er: „Wir haben viele Mörder. Was glauben Sie – ist unser Land so unschuldig?“
Damals konnte das ausländische Publikum noch davon ausgehen, dass die meisten Amerikaner dies nicht glaubten, da Trump die Wahl nicht gewonnen hatte. Die Wahl 2024 widerlegt diese Annahme. Während des Wahlkampfs versprach Trump, Mexiko zu bombardieren und legale Einwanderer abzuschieben, bezeichnete Oppositionspolitiker als „Feinde von innen“ und behauptete, Migranten würden das Blut des Landes „vergiften“. Trotz alledem – oder vielleicht gerade deswegen – gewann Trump die Mehrheit der Stimmen. Wenn der Rest der Welt auf Trump blickt, wird er nicht länger eine anormale Ausnahme des amerikanischen Exzeptionalismus sehen; er wird sehen, wofür Amerika im 21. Jahrhundert steht.
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*Anmerkung des Übersetzers:
"Schedule F" war eine Anordnung, die von Ex-Präsident Donald Trump im Oktober 2020 unterzeichnet wurde. Die Anordnung, offiziell als "Executive Order on Creating Schedule F in the Excepted Service" bekannt, zielte darauf ab, bestimmte Bundesangestellte als „Schedule F“-Mitarbeiter neu zu klassifizieren. Hier sind die wichtigsten Aspekte von Schedule F:
- Geltungsbereich: Sie richtete sich an Bundesangestellte in politisch relevanten Positionen, die in die Formulierung und Umsetzung von Richtlinien involviert sind. Dies hätte potenziell Tausende von Regierungsangestellten in verschiedenen Behörden betroffen.
- Abbau von Arbeitsplatzsicherheiten: „Schedule F“-Mitarbeiter würden viele der üblichen Schutzmechanismen des öffentlichen Dienstes verlieren, die normalerweise für Bundesangestellte gelten, was es einfacher gemacht hätte, diese aufgrund von Leistung oder politischen Erwägungen einzustellen oder zu entlassen.
- Mögliche Auswirkungen auf den öffentlichen Dienst: Die Anordnung führte dazu, dass Karriere-Beamte durch Personen ersetzt werden sollten, die der amtierenden Regierung loyaler gegenüberstehen.
- Umsetzung und Rücknahme: Die Anordnung stieß auf erheblichen Widerstand und logistische Herausforderungen und wurde vor dem Ende von Trumps Amtszeit nicht vollständig umgesetzt. Präsident Joe Biden hob die Anordnung im Januar 2021 auf.
** „Whataboutism“ – „What about…“ = „Was ist mit…”
- Quelle: Foreign Affairs
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