"Fake News" von NBC über US-amerikanisch-russische Gespräche über einen "Ausweg" zum Ukraine-Krieg im April 2023, die nie stattgefunden haben
Nachrichtenportale in der Ukraine und anderswo in Europa griffen heute schnell einen Artikel von NBCNews.com auf mit dem Titel "Ehemalige US-Beamte haben geheime Ukraine-Gespräche mit prominenten Russen geführt". Im Untertitel heißt es weiter: "Ziel der Gespräche ist es, die Grundlage für mögliche Verhandlungen zur Beendigung des Krieges zu schaffen, so Personen, die mit den Gesprächen vertraut sind, gegenüber NBC News."
Allein die Vorstellung, dass solche Gespräche stattgefunden haben könnten, rief abfällige Kommentare von den üblichen Verdächtigen hervor, die keine Gelegenheit auslassen, sich in der Öffentlichkeit zu profilieren: der ehemalige US-Botschafter in Russland, Michael McFaul, und Matt Dimmick, ein ehemaliger Direktor für Russland und Osteuropa beim Nationalen Sicherheitsrat. Diese Kommentare sind Teil des NBC-Berichts.
Diese Nachricht wurde auch im russischen Staatsfernsehen in der Vorabendausgabe von Sechzig Minuten unter dem Titel "Fake News" ausgestrahlt. Die Podiumsdiskussion wurde mit einer Ankündigung des Außenministeriums der Russischen Föderation eröffnet, in der auf den zweiten Absatz des NBC-Artikels eingegangen wird, in dem es heißt:
"In einem hochrangigen Beispiel für die Diplomatie, die hinter den Kulissen stattfindet, traf sich der russische Außenminister Sergej Lawrow im April in New York mehrere Stunden lang mit Mitgliedern der Gruppe, wie vier ehemalige und zwei aktuelle Beamte gegenüber NBC News erklärten."
Laut Lawrow hat ein solches Treffen nie stattgefunden, und es gibt keine Hintertürchen.
Und dann legte das "Sechzig Minuten"-Gremium los.
Sie zählten die ehemaligen US-Beamten auf, die an dem Treffen teilgenommen haben sollen – Charles Kupchan, Richard Haass und Thomas Graham, allesamt Mitglieder des Rates für Auswärtige Beziehungen (Foreign Relations Council) und, wie sie mit boshaftem Humor betonten, allesamt ausgesprochene Ex-Mitglieder. Ihre Glanzzeit liegt Jahrzehnte zurück, und heute hat keiner von ihnen einen Rang inne, der es rechtfertigen würde, dass Lawrow überhaupt Zeit mit ihnen verbringt, geschweige denn, dass er die Grundlagen für eine Verhandlungslösung im russisch-ukrainischen Krieg erörtert. Sie sind nur ein Haufen alter Akademiker, die sich treffen, um in Erinnerungen an die Rüstungskontrollverhandlungen der fernen Vergangenheit und ähnliche, längst beendete Themen zu schwelgen.
Nachdem NBC seine Fake-News-Story veröffentlicht hatte, verbrachte der Sender den größten Teil seines Artikels damit, darüber zu sprechen, wie die als "Track Two"-Gespräche bezeichnete Rückkanal-Kommunikation (backchannel-communication) funktioniert und welchen Nutzen sie im Allgemeinen hat.
Sicherlich haben Rückkanäle in der nicht allzu fernen Vergangenheit einen konstruktiven Zweck in den amerikanisch-russischen Beziehungen erfüllt, obwohl ich bezweifle, dass der Journalist Josh Lederman davon eine Ahnung hat. Thomas Grahams ehemaliger Mentor und Mitarbeiter, Henry Kissinger, war ein wichtiger Initiator eines solchen Kontakts im Sommer/Frühherbst 2008, als auch er ein ehemaliger, nicht aktiver politischer Akteur war. Aber Kissinger war und ist Kissinger und nicht irgendein Lakai. Das war in der Zeit kurz nach dem Krieg zwischen Russland und Georgien, als die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sehr angespannt waren, fast so ernst wie heute. Und, was am wichtigsten ist, Kissingers Kanal war damals nicht der einzige Rückkanal. Parallel dazu gab es einen weiteren Kanal, der von einigen Mitgliedern des US-Senats geführt wurde. Das Endergebnis war ein Papier über Schritte zur Verbesserung der bilateralen Beziehungen, das in den ersten Tagen der ersten Obama-Regierung als "re-set" bekannt wurde. Ob diese Initiative kreativ genug war, um über eine atmosphärische Verbesserung hinauszugehen und den Grundstein für eine echte Veränderung der Beziehungen zu legen, ist eine andere Frage. Die Antwort darauf lautet natürlich "Nein".
Leute wie Kupchan, Haass und Graham sind nicht mit den Betreibern des Rückkanals von 2008 zu vergleichen, und es war kein Wunder, dass das Sechzig-Minuten-Panel die Nase über sie gerümpft hat. Ich für meinen Teil habe in der Vergangenheit zwei dieser drei als Denker beurteilt und fand, dass Haass und Kupchan wirr im Kopf und ihre Schriften voller Widersprüche sind. Angeblich wird das, was sie schreiben und im hauseigenen Magazin Foreign Affairs veröffentlichen, von Fachleuten überprüft, aber das hilft nicht im Geringsten. Wenn alle einer Meinung sind und keiner widerspricht, wenn es keine Debatten gibt, sondern nur noch Schulterklopfen stattfindet, dann sinkt die Qualität des Denkens.
Siehe meine Kritik an Kupchans Artikel "Nato’s final frontier: Why Russia should join the Atlantic Alliance" ("Die letzte Grenze der Nato: Warum Russland dem Atlantischen Bündnis beitreten sollte") in Stepping out of Line (2012) S. 199-208 und meinen Artikel "Richard Haass: the Absent Voice at Valdai-Sochi" ("Richard Haass: die abwesende Stimme bei Valdai-Sochi") in Does Russia Have a Future (2015) S. 259-262.
Quelle: https://gilbertdoctorow.com/
Mit freundlicher Genehmigung von Gilbert Doctorow
Die Übersetzung besorgte Andreas Mylaeus
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