Als Mensch mit Jahrgang 1930 habe ich als Kind den Bombenkrieg in Deutschland miterlebt und sass nachts im Keller in Köln und in München. Wir hörten im Keller das Zischen der Luftminen – so nannte man die Bomben damals – und dann die Explosion. Ich höre es heute noch, erst das Zischen – dann die Explosion. Wir wussten, solange man das Zischen hört, schlägt die Bombe woanders ein. Die Bombe, die dein Haus trifft, hörst du nicht. Und die Brandbomben hörst Du auch nicht. Daher wohl beeindruckt mich der Bericht von Howard Zinn mit dem Hinweis auf das Buch von Elin O’Hara Slavick „Bomb after Bomb“ besonders. Ich empfehle diesen Bericht allen Eltern, die heute Kinder erziehen, sehr. Ich bin Ellen Rohlfs unendlich dankbar, dass sie den eindrucksvollen Text übersetzt hat.
Willy Wahl, Weihnachten 2007
Counterpunch, 17.12.07
Dieser Aufsatz ist die Einführung zu einer Sammlung von Zeichnungen/Bildern, die die Geschichte der Bombardements illustriert: „Bombe um Bombe – eine Kartographie der Gewalt“ von Elin O’Hara Slavick. Sie ist Professorin für Kunst an der Universität von North –Carolina.Vielleicht passt es, dass Elin O’Hara Slavicks außergewöhnlicher Heraufbeschwörung der Bombardements durch die USA-Regierung ein paar Worte von einem Bombardier (Bomber-Pilot) vorausgehen, der im Auftrag der USA-Luftwaffe im 2. Weltkrieg Bombardements durchführen musste. Mindestens einem ihrer Zeichnungen liegt ein Bombardement zugrunde, an dem ich Ende des Krieges teilgenommen hatte: die Zerstörung des französischen Seebades Royan an der Atlantikküste.
Als ich mir ihre Bilder ansah, wurde mir schmerzlich bewusst, wie ignorant ich war, als ich diese Bomben auf Frankreich und auf Städte in Deutschland, Ungarn, die Tschechoslowakei fallen ließ, was die Auswirkungen dieses Bombens auf Menschen betraf. Nicht weil sie uns blutige Leichen, amputierte Glieder, von Napalm zerstörte Haut zeigt. Das tut sie nicht. Aber ihre Gemälde zwingen mich – in einer Weise, die ich nicht erklären kann – mir diese Szenen vorzustellen.
Ich bin sprachlos, wenn ich daran denke, dass und wie wir die „zivilisierten“ Nationen, Städte und Gegenden und Inseln seit 100 Jahren bombardiert haben. Doch hier in den USA, die meistens dafür verantwortlich sind, versteht die Öffentlichkeit – auch ich – nicht, was die Bomben den Menschen antun. Dieser Mangel an Phantasie – so glaub ich – ist wichtig, um zu erklären, warum wir immer noch Kriege haben, warum wir das Bombardieren als ein gewöhnliches Begleitprogramm unserer Außenpolitik haben – ohne Horror und Empörung.
Wir (Amerikaner) in diesem Land haben nicht wie die Menschen Europas, Japans oder Afrikas oder im Nahen Osten oder der Karibik die Erfahrung gemacht, bombardiert zu werden. Deshalb waren wir, als die Zwillingstürme in New York am 11.9. explodierten, so schockiert und konnten es nicht fassen. Das änderte sich schnell: unter dem Einfluss der Regierungspropaganda kam es zu einer gefühllosen Billigung von Bombardements in Afghanistan. Man war nicht in der Lage, die Leichen von Afghanen als ein Pendant zu den Toten von Manhattan zu sehen.
Man sollte denken, dass es wenigstens denjenigen in der US-Luftwaffe, die die Bomben auf die zivile Bevölkerung abwerfen, bewusst ist, was für einen Terror sie ausüben; aber als einer von diesen kann ich bezeugen, dass dem nicht so ist. Wenn man Bomben aus über 5000m Höhe abwirft, konnten weder ich noch meine Mannschaft sehen, was auf dem Boden geschieht. Wir konnten keine Schreie hören und kein Blut sehen, auch nicht die zerfetzten Leichen, die abgerissenen Glieder. Drum ist es kein Wunder, wenn wir zusahen, wie Flieger einen Auftrag nach dem andern ausführten – anscheinend unberührt von Gedanken, was sie anrichten.
Es war erst nach dem Krieg, als ich John Herseys Interviews mit japanischen Überlebenden von Hiroshima las, wie sie beschrieben, was sie durchgemacht haben, dass mir in unerträglichen Details bewusst wurde, was meine Bomben anrichteten. Dann sah ich weiter. Ich erfuhr von dem Bombardieren mit den Brandbomben von Tokio im März 1945, bei dem vielleicht 100 000 Menschen starben. Ich erfuhr vom Angriff auf Dresden und dem Feuersturm, der 80 000 bis 100 000 Bewohnern Dresdens das Leben kostete. Ich erfuhr von den Bombardements Hamburgs, Frankfurts und anderer Städte in Europa.
Wir wissen jetzt, dass vielleicht 600 000 Männer, Frauen und Kinder bei den Bombardements in Europa starben. Und eine etwa gleiche Zahl starb bei den Bombardements in Japan. Was kann solch ein Blutbad rechtfertigen? Ein gewonnener Krieg gegen den Faschismus? Ja, wir haben gewonnen. Aber was haben wir gewonnen? War es eine neue Welt? Ist der Faschismus mit seinem Rassismus, mit dem Militarismus, sind Hunger und Elend aus der Welt verschwunden? Trotz der edlen Worte in der UN-Charta über das Ende der Geisel des Krieges – haben wir keine Kriege mehr?
So erschreckend der Verlust an Leben war – so hat man doch das Töten von unschuldigen Menschen nach Ende des 2. Weltkrieges weiterhin gerechtfertigt. Die USA bombardierten Korea mit mindestens 1 Million toten Zivilisten, dann Vietnam, Kambodscha, Laos mit nochmals 1 oder 2 Millionen Toten. Der „Kommunismus“ war die Rechtfertigung. Aber was haben diese Millionen Opfer denn von Kommunismus oder Kapitalismus oder irgend einem anderen Ismus gewusst, der den Massenmord deckte?
Wir haben genug Erfahrungen mit den Nürnberger Tribunalen gegen die Naziführer, mit den von den Alliierten durchgeführten Bombardierungen, mit den Foltergeschichten aus dem Irak, um zu wissen, dass gewöhnliche, normale Menschen mit einem normalen Gewissen unter Druck ihrem Gefühl für Anständigkeit erlauben werden, einer Autorität zu gehorchen.
Es ist deshalb an der Zeit, die kommende Generation zum Ungehorsam gegenüber der Autorität zu erziehen, ihr zu verstehen helfen, dass Institutionen wie Regierungen und Gesellschaften nur aus Eigeninteresse handeln, dass die Interessen der Mächtigen gegen die Interessen der meisten Menschen laufen.
Das Aufeinandertreffen von Regierungs-Interessen auf das der Bürger wird durch Phrasen vertuscht, die vorgeben, dass im Staat alle ein gemeinsames Interesse haben und so werden Kriege angezettelt, und Bomben fallen aus „Sicherheitsgründen“, wegen „nationaler Verteidigung“ und aus „nationalem Interesse“.
Patriotismus wird als Gehorsam gegenüber der Regierung definiert, wobei der Unterschied zwischen Regierung und Bevölkerung verwischt wird. So werden Soldaten dahin gebracht, zu glauben, dass „wir für unser Land kämpfen“, auch wenn sie im Grunde nur für die Regierung kämpfen – einer künstlichen Entität, die völlig anders ist als die Bevölkerung des Landes – und die tatsächlich eine Politik verfolgt, die für das eigene Volk gefährlich ist.
Meine eigenen Überlegungen nach den Erfahrungen als Bombenwerfer und meine Untersuchungen der Kriege der USA haben mich zu bestimmten Schlussfolgerungen über den Krieg und das Abwerfen von Bomben, was zur modernen Kriegsführung gehört, geführt:
Diese Betrachtungen führten mich dahin, dass wenn wir uns um menschliches Leben sorgen, um Gerechtigkeit, um gleiche Rechte für alle lebenden Kinder, dann müssen wir entgegen allem, was uns von Autoritäten gesagt wird, uns verpflichten, gegen jeden Krieg zu sein.
Wenn die Gemälde von Elin O’Hara Slavick und die sie begleitenden Worte uns dahin bringen, über den Krieg nachzudenken – vielleicht in einer Weise, wie wir es nie zuvor taten – dann sind sie ein massiver Beitrag für eine friedliche Welt.
(Übersetzung: dt. Ellen Rohlfs)
Howard Zinn war ein einflussreicher US-amerikanischer Historiker, Politikwissenschaftler und emeritierter Universitätsprofessor der Boston University. Den Schwerpunkt seiner Geschichtsforschung bildeten die Bürgerrechts- und Friedensbewegungen
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