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Willy Wimmer: Martin "Poltergeist" wird SPD-Kanzlerkandidat

Im Gespräch mit Alexander Sosnowski, Chefredakteur World Economy
Willy Wimmer, Staatssekretär a.D., am Telefon
24. Januar 2017

Willy Wimmer:

Das ist im öffentlichen Erscheinungsbild der Versuch der Sozialdemokraten es mit einer doppelten Nulllösung zu versuchen und mit Anstand unter zu gehen. Man muss zwei Dinge dabei sehen. Martin Schulz macht bei seiner Öffentlichkeitswirkung den Poltergeist.

Wir können uns, wie alle anderen Europäer, nur mit Schrecken daran zurückerinnern, wie die Einlassungen von Martin Schulz als Präsident des Europäischen Parlaments in der gesamten Finanzkrise gewesen sind. Er hat nicht nur in Griechenland, oder in Portugal oder in Frankreich Angst und Schrecken hinterlassen.

Das Zweite, er ist der personifizierte Ausdruck für die Untätigkeit der Europäischen Union im Zusammenhang mit der Migrationsentwicklung. Er hat außer warmer Luft nichts zur Verfügung gehabt und das wissen die Menschen in Deutschland.

Und das Dritte, es gibt für einen im politischen Leben stehenden Menschen nichts Verhängnisvolleres als Vereinbarungen   – die man nicht als Person, sondern für seine politische Formation getroffen hat   – in dem Moment zu vergessen, in dem es um das eigene Fortkommen geht.

Er hat im Europäischen Parlament Schutt und Asche hinterlassen. Das ist, was man zu Schulz sagen kann.

Wir leben in einer Zeit in der sich Europa und weite Teile der Welt, in der Hoffnung einen vernünftigen Ausweg zu finden, förmlich schütteln. Und dann das deutsche Auswärtige Amt jemandem anzuvertrauen, der in seiner Partei gerade abgehalftert worden ist, das ist ein schrecklicher Verstoß gegen nationale deutsche Interessen. Und auch gegen die europäischen Interessen, denn gerade in der heutigen Situation brauchen wir in diesem Amt jemanden, der mit den anderen Europäern und anderen führenden Vertretern aus der ganzen Welt kann.

Und wir sehen, vor welchen Herausforderungen wir stehen: Frau Merkel, die Bundeskanzlerin, regiert durch Rechtsbruch, wie Frau Steinbach das jüngst gesagt hat. Frau Merkel baut mit ihrer Regierung in Deutschland einen gewaltigen Zensur- und Einschüchterungsapparat auf. Das heißt, wir haben Herausforderungen existenzieller Natur für unser Land.

Und dann haben wir heute gesehen, dass in Großbritannien die verfassungsmäßige Ordnung nur durch einen Gerichtsbeschluss aufrechterhalten werden konnte. Indem das Oberste Gericht der Premierministerin untersagte, den in Aussicht genommenen Weg für den so genannten Brexit so zu gehen, wie sie sich das vorgestellt hatte.

Und, natürlich, der Versuch uns nicht immer bekannter Mächte und Kräfte in den Vereinigten Staaten den gerade frisch ins Amt gekommenen Präsidenten zu delegitimieren. Die Vereinigten Staaten haben offensichtlich ein Wahlsystem, das man in dieser Form auch in einem Land der Dritten Welt vorfinden könnte, das ist aber deren Problem. Wenn man mit diesem System jemanden wählt   – kommt er ins Amt.

Aber einen solchen Versuch der Delegitimierung haben wir noch nie gesehen. Und in einer solchen Situation leisten sich die Sozialdemokraten zwei Personalentscheidungen, wie ich sie gerade angesprochen habe.  Und, bleibt man da im militärtechnischen Bereich, dann muss man sagen, es ist eine doppelte Nulllösung. 

Alexander Sosnowski:  Seit Willy Brandt und Helmut Schmidt scheinen die Sozialdemokraten keine Persönlichkeiten mehr hervorgebracht zu haben, die eine der größten Volksparteien voll und ganz verkörpern könnten. Oder sehen sie das anders?

Willy Wimmer: 

Die Sozial- und die Christdemokraten sind in Deutschland so etwas wie Spiegelbilder. Bei den Sozialdemokraten geht die Partei mit den Parteivorsitzenden dermaßen brutal um, dass da keiner überleben kann.

Bei der CDU ist es so, dass die Partei zu lange akzeptiert, dass sie von der Vorsitzenden an die Wand gefahren wird.

Das sind Unterschiede, die man in Deutschland ganz nüchtern sehen muss. Und außerdem, leben wir in Deutschland mit einem Totalverschleiß des politischen Personals. Da kann sich keine Partei in Berlin davon ausnehmen, auch die Sozialdemokraten nicht.

Sie werden auch bis zum Untergang nicht verschmerzen können, dass Gerhard Schröder mit der Agenda 2010   – und mit ihr dem eklatanten Verstoß gegen die Grundsätze der sozialen Gerechtigkeit   – dieser traditionsreichen deutschen Partei das politische Rückgrat herausoperiert hat. In diesem Spannungsbogen wird die SPD untergehen, solange sie keinen Markenkern entwickelt, der von der Bevölkerung akzeptiert wird.

Und, was die soziale Gerechtigkeit angeht, das ist die große Aufgabe in Europa und in den anderen westlichen Gemeinschaften und aus der verabschiedet sich die SPD. 

Alexander Sosnowski: Steht das deutsche politische System nun unter Zugzwang oder gibt es noch Ausweichmöglichkeiten?

Willy Wimmer:

Das System nähert sich seinen Sollbruchstellen. In Deutschland ist nichts schlimmer, in anderen Ländern übrigens auch, als durch Rechtsbruch zu regieren. Wenn das hingenommen und zum Normalfall erklärt wird, ist ein politisches System eigentlich nicht mehr zu retten.

Alexander Sosnowski: Herr Wimmer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. 

Bilder: @depositphotos

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