Programmbeschwerde: unkritische ARD-Berichterstattung- zum Brüssel-Attentat
An: NDR-Rundfunkrat, Rothenbaumchaussee 132, 20149 Hamburg
Lieber Willy,
Es ist eine Programmbeschwerde, die sich mal nicht nur mit der einfachen Forderung befasst, der öffentlich-rechtliche Rundfunk solle tatsachengerecht berichten, weniger verlogen und nichts weglassen, was wichtig ist; hier wird mehr gesellschaftliche Analyse vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk verlangt. Möglicherweise der zweite Schritt vor dem ersten, aber mit einem Erfolg, mit Einsicht bei der Redaktionsleitung und bei den Runfunkräten, rechnen wir Beschwerdeführer im Grunde auch nicht. Es ist hier also eine Art ideelles und politisches Hygienebedürfnis formuliert.
Sei herzlich gegrüßt
Volker
Sehr geehrte Frau Vorsitzende,
wenn Oberflächlichkeit, fehlendes Gespür für Verhältnismäßigkeit, Mangel an Nachdenklichkeit und parteipolitisch eingeengter Konformismus uns gemeinsam die Hand reichten, dann wurden wir wahrscheinlich gerade von der Tagesschau „begrüßt“. Am Tag der Attentate in Brüssel unterscheidet sich das boulevardeske Nachrichtenangebot von ARD-aktuell wieder einmal um keinen Deut von dem der kommerziellen Rundfunk-Konkurrenz. Es bleibt fern aller klugen, argumentativ starken und überzeugenden Abwägungen wie dieser:
„Die (verbrecherische) Demonstration richtet sich wie immer primär auf die Medien, die auch dieses Mal reflexhaft mit Dauerberichterstattung, Live-Blogs, Sonderberichten, Bildern, Äußerungen von Experten und Betroffenen als Lautsprecher und Propagandamittel für die Terroristen wirken. Medien sind Komplizen der Terroristen. (...) Die Medien im Konkurrenzkampf um Aufmerksamkeit überstürzen sich, die meisten und besten und neuesten Informationen und Einschätzungen zu liefern. (...) Jeder derart propagierte Terroranschlag wird, ebenso wie jeder medial gehypte "Amoklauf", die westliche Variante des Selbstmordanschlags, Nachahmer anregen, die mit einer finalen Tat nach Aufmerksamkeit und Ruhm suchen. Weltweit funktioniert die "Propaganda der Tat."
Quelle:
http://www.heise.de/tp/artikel/47/47762/1.html
Es versteht sich, dass ARD-aktuell die Stellungnahmen des Bundespräsidenten und der Kanzlerin einholt, und seien die, wie die Äußerungen aus den Zentralen der meisten im Parlament vertretenen Parteien, auch noch so ritualisiert und floskelhaft; strotzend zwar von „Betroffenheit“, aber dafür frei von jedem selbstkritischen Akzent oder gar einer Andeutung von eigener Mitschuld. Gerade deshalb wäre es notwendig gewesen, dass ARD-aktuell sehr viel anders geartete Stellungnahmen einholte. Wie diese beispielsweise:
„Die wirklichen Ursachen des Terrors zu bekämpfen heißt: Bildung und Arbeit für die Jugend. Gleichberechtigtes Zusammenleben von Migranten und Einheimischen. Schluss den imperialistischen Kriegen. Wer Krieg sät, erntet Krieg und Terror. Das Grauen von Brüssel zeigt: Die Sicherheit der Menschen kann nur eine Politik garantieren, die Kriege ächtet und zu einer Lösung der sozialen Widersprüche unserer Gesellschaften beiträgt.“ (Patrik Köbele, Vorsitzender Deutsche Kommunistische Partei)
Quelle:
http://news.dkp.suhail.uberspace.de/2016/03/dkp-die-ursachen-des-terrors-bekaempfen/
„Es fällt schwer, angesichts der Bilder aus Brüssel zu Besonnenheit zu raten, und trotzdem ist es jetzt wichtig, vor einer Instrumentalisierung der Ereignisse zu warnen.“ (Bernd Riexinger, Vorsitzender Die Linke)
Quelle:
http://www.jungewelt.de/m/2016/03-23/001.php
"Warum hat gestern nicht ein Verantwortlicher gesagt: So geht es nicht! Wir haben versagt! Wir haben den falschen Krieg erklärt und wir haben ihn verloren! "(Heiner Flassbeck)
Natürlich werden Sie mit Ekel und Abscheu darauf hinweisen, dass linke Menschen und Organisationen in unserem Land bedeutungslos und deshalb nicht zitierbar sind. Bedeutsamkeit und erkenntnisfördernden Belang einer Feststellung nicht nach deren Inhalt, sondern nach politischer Herkunft ihrer Autoren und deren Wertschätzung in der bürgerlichen Gesellschaft sowie nach Opportunität des Zitierens zu bewerten, im vorliegenden, durchaus ARD-typischen Fall also die Aussagen von Linken und gar von Kommunisten zu ignorieren, steht aber nicht im Staatsvertrag. Im Gegenteil. Im § 8 NDR-Staatsvertrag, heisst es ausdrücklich:
"(...) das Programm (soll) nicht einseitig einer Partei oder Gruppe, einer Interessengemeinschaft, einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung dienen (…)"
Der Gedanke, dass die Brüsseler Attentate zu erheblichen Teilen (von uns) selbstverschuldet sind, wurde zwar löblich im Hörfunk angesprochen. Nicht aber, wie gesagt, auch nur andeutungsweise in den Angeboten von ARD-aktuell. Die Sendungen erfüllten weit mehr die Sensationsgier und Unterhaltungssucht als den Informationsanspruch des Publikums.
Dabei soll ARD-aktuell – in strammem Gleichschritt mit den anderen sog. "Qualitätsmedien" – falsches Bildmaterial einer Überwachungskamera dem Publikum serviert haben, fünf Jahre alt und nicht den Brüsseler Anschlag zeigend, sondern einen in Moskau, gewohnheitsmäßig blindlings übernommenes Material...
Dass selbst Ereignisse wie die Terroranschläge in Europa es nicht vermögen, ARD-aktuell zu einer distanzierteren Berichterstattung zu bewegen, lässt an der Zukunft des öffentlich-rechtlich organisierten Informationswesens zweifeln. Wie sehr den Machern bei ARD-aktuell das Augenmaß abhanden gekommen ist, möge der Hinweis verdeutlichen, dass über die 31 Brüsseler Toten stundenlang berichtet wurde, über die 106 Toten eines zweifelsfrei terroristischen Bombenwurfs der Mördermonarchie Saudi-Arabien auf einen Marktplatz im Jemen in der Vorwoche aber keine einzige Sekunde.
Auch über die im Vergleich zu Brüssel mindestens gleich hohe Zahl von Todesopfern der Woche für Woche von Mörder Obama angeordneten US-Drohnenangriffe im Nahen und Mittleren Osten sowie in Afrika, komplizenhaft stillschweigend unterstützt von der Berliner Regierung, schweigt ARD-aktuell.
Tote Europäer haben Nachrichtenwert und Mitleidsanspruch. Die anderen Toten sind ja bloß Afrikaner, Araber oder Asiaten, nicht wahr? Und deren Mörder sind die guten USA beziehungsweise deren hochrespektable saudische Philantrophen.
Wir sehen in der Mithilfe von ARD-aktuell, diese regierungsübliche Heuchelei vorbehaltlos zu inszenieren, einen Verstoß gegen den Programmauftrag und die Programmrichtlinien im Staatsvertrag über den NDR.
Höflich grüßen
Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer
Weitere Beiträge in dieser Kategorie
- Meinungsterror wird deutsche Staatsräson
- Faeser will Inlandsgeheimdienst das Recht geben, Bürger nach Belieben sozial zu vernichten. Von Norbert Häring
- Tweet gegen Putin: Ist Scholz wirklich der Mann, der einen Stein werfen sollte?
- Migrationspolitik unterm grünen Scheinheiligen-Schein
- „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist am Ende – Aber ein Ende ist nicht in Sicht“
- Egon Krenz: Die Protestbewegung in der DDR von 1989 wollte keine deutsche Einheit
- Warten auf Wagenknecht
- Ehemaliger Daimler-Vorstand: Wir könnten Nord Stream reparieren
- Der öffentlich-rechtliche (deutsche) Rundfunk ist am Ende
- „Hunger als Waffe“: Baerbocks gehässige Zwecklüge
- Faktencheck der ZEIT-Retrospektive zum "Sturm auf den Reichstag"
- Ein Professor soll weg
- Zoff um Habecks LNG-Pläne auf Rügen
- Neue Stufe der Repression: Die Ampel plant den Passentzug für "Extremisten"
- Noch schlimmer geht immer
- Offener Brief an MDL Hubert Aiwanger - in Talk-Show Markus Lanz am 4.7.2023
- Offener Brief an Bundeskanzler Scholz sowie Ministerien und Bundespräsident - von Dietrich Hyprath
- Offener Brief an Bundeskanzer Scholz von Ursula Mathern: Mene mene tekel...
- Mit ARD-aktuell ist ganzjährig 1. April
- Transgender-Gesetz: Tagesschau-Bericht stellt eigene kulturkämpfende Faktenchecker bloß
- Kanzler Scholz gibt den Watschenmann
- Mediziner erhebt schwere Vorwürfe gegen den Staat bezüglich des Umgangs mit der Corona-Krise.
- Zur Erinnerung an die Tragödie von Chatyn
- Appell "Meinungsfreiheit verteidigen" - unterschreiben Sie mit!