Ihr macht das Land kaputt  – Hört doch endlich mit der Polemik auf!

Deutsche Debatten in der Asyl- und Flüchtlingspolitik
von Karl-Jürgen Müller
18. Februar 2016
Am 30. Januar 2016 haben der Staatsrechtslehrer Professor Karl Albrecht Schachtschneider, der Journalist Jürgen Elsässer, der Verleger Götz Kubitschek und der Akademische Rat Dr. Hans-Thomas Tillschneider, «von bisher mehr als 22000 Bürgern Deutschlands ideell und materiell unterstützt», wie es in der Klageschrift heißt, beim deutschen Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland «wegen der Asyl- und Flüchtlingsmaßnahmen der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland, Frau Dr. Angela Merkel» eingereicht.

(Siehe:https://einprozent.de/einprozent-unterstuetzt-verfassungsbeschwerde-und-die-amtsenthebung-merkels/)

Diese Verfassungsbeschwerde ist ein rechtsstaatlich zulässiger und wünschenswerter Ausdruck der weit verbreiteten Überzeugung, dass die derzeitige deutsche Asyl- und Flüchtlingspolitik rechtswidrig ist.

Die Bundesregierung und die in ihrem Sinne schreibenden Medien sind allerdings nicht froh darüber, dass ihre Politik einer verfassungsrechtlichen Überprüfung unterzogen werden soll. Stattdessen werden gegen diejenigen, die eine solche Rechtswidrigkeit zu erkennen glauben und entsprechende Schritte tun, schwere Geschütze aufgefahren.

Vielfache Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Politik

Trotzdem wird die Liste der Juristen und hochrangigen Richter, die erhebliche Zweifel an der Rechtmässigkeit der derzeitigen Asyl- und Flüchtlingspolitik haben und diese auch äußern, länger. Hier ein weniger bekanntes Beispiel als die ehemaligen Richter am Bundesverfassungsgericht Hans-Jürgen Papier und Udo di Fabio, deren Kritik hohe Wellen geschlagen hatte: Am 3. Februar hat der von 1994 bis 2013 amtierende Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, Michael Bertrams, mit einem Beitrag für den «Kölner Stadt-Anzeiger» Stellung genommen. Michael Bertrams schreibt: «Ohne Beteiligung des Parlaments hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im vergangenen Jahr die Grenzen geöffnet und bis heute unter Missachtung der grundgesetzlichen Drittstaatenregelung und des europarechtlichen Dublin-Verfahrens nach ihrem eigenen gesinnungsethischen Maßstab Hundertausende Flüchtlinge ins Land gelassen. Sie hält das für alternativlos.» Bertrams hält es demgegenüber für dringend geboten, «im Interesse unseres demokratischen Rechtsstaats […] zum geltenden Recht zurückzukehren, das Parlament zu beteiligen und die Flüchtlingspolitik dem Belieben der Kanzlerin zu entziehen». Er erinnert daran, «dass der demokratische Rechtsstaat von der Bindung an Gesetz und Recht lebt und dass fehlende Rechtstreue staatlicher Willkür den Weg ebnet.» Der ehemalige Verfassungsrichter beendet seinen Text mit dem Satz: «Die Rückführung der Flüchtlingspolitik auf den Boden des Rechts ist   – noch einmal mit dem Wort der Kanzlerin gesprochen   – alternativlos.»

Wahlkampf

Die deutsche Regierung und die sie unterstützenden Medien gehen auf solche Stellungnahmen inhaltlich nicht ein, sondern reagieren äußerst aggressiv. Ein Beispiel dafür ist ein Beitrag des deutschen Justizministers Heiko Maas in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» vom 30. Januar. Er rückt diejenigen, welche die Rechtmäßigkeit der derzeitigen Asyl- und Flüchtlingspolitik in Frage stellen, in die Nähe von «geistigen Brandstiftern». Frontal attackiert wurde nun auch der Vorsitzende der CSU und bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer. In einem Interview mit der «Passauer Neuen Presse» hatte dieser am 9. Februar mit Blick auf die derzeitige Asyl- und Flüchtlingspolitik geäußert: «Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung. Es ist eine Herrschaft des Unrechts.»

Hinzu kommt, dass am 13. März in drei deutschen Bundesländern   – Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt   – ein neuer Landtag gewählt wird. Die Alternative für Deutschland AfD, die als einzige Partei mit Aussicht auf Einzug in alle drei Volksvertretungen die Asyl- und Flüchtlingspolitik der Bundesregierung kritisiert, hat in den vergangenen Monaten in allen drei Bundesländern bei Umfragen stark zugelegt und liegt überall bei mehr als 10 Prozent. Entsprechend scharf und polemisch fällt mittlerweile die Kampagne der bislang in den Landtagen vertretenen Parteien und der dazugehörigen Medien gegen die AfD aus.

Auf der Strecke bleiben in dieser aufgeheizten Stimmung viele Bürger und deren Anliegen, auf der Strecke bleibt der ehrliche und gleichberechtigte Dialog, auf der Strecke bleibt die differenzierte Analyse. Das Thema wird durch und durch politisiert, Wahlkampfthema, medial aufgeladen, Schwarz-Weiß droht zu dominieren.

Eine Klärung der Rechtsfragen könnte helfen

Gerade hier könnte eine Klärung der Rechtsfragen helfen und Orientierung bieten. Eine solche Klärung könnte das Land auch wieder innerlich befrieden und eine Rückkehr zur Sachlichkeit einleiten. Dabei tut sich derzeit kaum jemand hervor. Auch die eingangs erwähnte Verfassungsbeschwerde enthält Passagen, die verfassungsrechtlich so nicht nachvollziehbar sind und über die diskutiert werden müsste; aber in der Sache und ohne Polemik. Danken muss man dafür, dass die Frage nach der deutschen Verfassungsidentität von den Beschwerdeführern aufgegriffen wird. Diskutiert werden müsste aber über den Begriff der «Homogenität», der eine große Rolle in der Beschwerde spielt. Was ist unter «Homogenität» zu verstehen? Wieviel «Homogenität» benötig eine demokratische politische Gemeinschaft? Oder anders gefragt: Welchen gesamtgesellschaftlichen Konsens und welche von allen zu verlangenden Wertehaltungen, Kenntnisse und Fertigkeiten benötigt eine politische Gemeinschaft wie ein Staat? Welche Abweichungen vom Konsens sind zulässig, tolerabel, verkraftbar? Reicht das aus, was vor Jahren einmal «Verfassungspatriotismus» genannt wurde, also die aktive Treue zur Verfassung? Oder braucht es mehr gemeinsame kulturelle Substanz? Ist das mehr als das Schlagwort von der «Leitkultur»? Und wer im Land, ob nun als deutscher Staatsbürger oder nicht, verfügt überhaupt noch über diese Substanz und wird künftig noch über diese Substanz verfügen, vor allem, wenn die kulturellen Attacken, die Deutschland und praktisch jedes europäische Land schon seit Jahrzehnten erleben, so weiter gehen?

Viele offene Fragen und zahlreiche Aufgaben

Der Leser merkt, dass es viele Fragen gibt und auch viele Aufgaben. Ist es vertretbar zu sagen, dass der Islam «mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Deutschlands unvereinbar» ist, wie es in der Verfassungsbeschwerde der Gruppe um Professor Schachtschneider heißt? Was würde dies für die in Deutschland lebenden Muslime bedeuten? Je nach Schätzungen schwankt die Zahl zwischen 2 und 4,5 Millionen. Viele von ihnen leben nun schon in der dritten Generation im Land und haben auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Und wie steht es mit der Religionsfreiheit? Artikel 4 Grundgesetz lautet: «Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.» Dieser Artikel formuliert keine Einschränkungen. Die Einschränkungen ergeben sich alleine aus Artikel 2 Grundgesetz, aus der allgemeinen Bestimmung zur Freiheit, der auch die Religionsfreiheit untergeordnet ist: «Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.» Hieran muss sich jeder Gläubige in Deutschland halten, auch jeder Muslim. Aber reicht das nicht aus, und wäre eine solche Formulierung nicht angemessener als die eher Missverständnisse heraufbeschwörende Formulierung in der genannten Verfassungsbeschwerde?

Andererseits: Der Frage auszuweichen, welche Gesinnungen und Verhaltensweisen mit mehr als 1 Millionen Asylbewerbern und Flüchtlingen nach Deutschland gekommen sind und welche mit weiteren Millionen kommen werden, kann auch keine Lösung sein? Und es ist fatal für ein politisches Gemeinwesen, für einen Staat, wenn noch nicht einmal bekannt ist, wer alles nach Deutschland kommt. Es ist sicher keine Verschwörungstheorie anzunehmen, dass mit den zahlreichen Asylbewerbern und Flüchtlingen auch Menschen nach Deutschland kommen, die anderes im Sinn haben als Schutz vor Krieg und Verfolgung und Integration. Schon jetzt haben die deutschen Sicherheitsbehörden in vielfacher Hinsicht kapituliert und rufen immer wieder Alarm, dass sie von der Politik im Stich gelassen werden. Davon zeugt erneut der Brief eines Polizeibeamten an den Bundestagsabgeordneten Wolfgang Bosbach (siehe Kasten).

Deutschland ist zu wünschen, dass es die gegenwärtige schwere Krise seiner politischen Kultur und politischen Debatte überlebt und Auswege jenseits von Diktatur und Chaos findet. Ein deutscher Niedergang hätte schlimme Folgen für ganz Europa. In Europa kann niemand daran ein Interesse haben.

* Karl-Jürgen Müller ist Lehrer in Deutschland. Er unterrichtet die Fächer Deutsch, Geschichte und Gemeinschaftskunde.

«Die nationale Ordnung durch effektive Grenzkontrollen an der deutschen Grenze wieder herstellen»

Brief eines Polizeibeamten

Der Bundestagsabgeordnete der CDU Wolfgang Bosbach, von 2009 bis Juli 2015 Vorsitzender des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, hat auf seiner Internetseite Auszüge aus der E-Mail eines Polizeibeamten veröffentlicht, die ihn im Vorfeld zur ARD-Sendung «Hart aber fair» vom 1. Februar 2016, an der Wolfgang Bosbach teilnahm, erreicht hatte. Wolfgang Bosbach hat die Passagen weggelassen, die einen Rückschluss auf die Person des Absenders zulassen könnten. Wolfgang Bosbach schreibt dazu: «Entscheidend ist nicht die Person des Absenders, entscheidend ist der Inhalt!»

Betreff: WG: Flüchtlingskrise aus der Sicht eines Polizeibeamten
Von einem Polizeibeamten

Sehr geehrter Herr Bosbach,

(…) Ich selber bin Kriminalbeamter in (…) und seit mehr als (…) zuständig für aufenthaltsrechtliche Straftaten und Urkundenfälschungen zur Verbesserung des aufenthaltsrechtlichen Status. Nach dieser Zeit ist mir nichts mehr fremd im Bereich der Ausländerkriminalität. Ich habe Scheinehen, Scheinvaterschaften, Urkundsdelikte zur Vortäuschung der EU-Freizügigkeit, Asylbetrug zur Erschleichung von Sozialleistungen usw. bearbeitet. (…)

Die Gründe dafür sind für mich immer noch nicht nachvollziehbar. Seitdem sprachen und sprechen auf unserer Dienststelle sehr viele Menschen vor, um ein Asylbegehren zu äußern. Damit verbunden sind naturgemäß vorhergehende Straftaten der unerlaubten Einreise, so dass polizeiliches Handeln erforderlich ist (erkennungsdienstliche Behandlungen, Einleitung von Strafverfahren). Ich behaupte also, einen Überblick darüber zu haben, um was für Menschen es sich handelt. Es waren zunächst Familien mit Kindern, fast immer gut gekleidet und mit Barmitteln ausgestattet. Die erste Frage war häufig nach WiFi. Ich habe sogar Fälle erlebt, in denen während der Maßnahmen mit der Familie zuhause geskypt wurde. Seit einiger Zeit kommen fast nur noch männliche Personen zwischen 20 und 30 Jahren, häufig perspektiv- und bildungslose Nordafrikaner aus der Maghreb Region. Aus den Erzählungen meiner Großeltern stelle ich mir Kriegsflüchtlinge jedenfalls anders vor. Auch wenn für jeden Einzelnen gute Gründe vorliegen, seine Heimat zu verlassen, ich denke, sie liegen überwiegend im wirtschaftlichen Bereich. Dabei dürfte Ihnen die Problematik, dass aufgrund der Vielzahl der eingereisten Menschen an der Grenze keine Fingerabdrücke genommen werden können, hinreichend bekannt sein. Ausweisdokumente werden in der Regel nicht mitgeführt, in der Folge kommt es zu Doppelerfassungen bei der Beantragung einer BÜMA1, wie nicht zuletzt die Razzia zeigte. Mir ist bekannt, dass an der Grenze zwei Fingerabdrücke genommen werden. Diese werden allerdings nur zum Abgleich im AFIS2 beim BKA3 verwendet und anschliessend nicht gespeichert. Das heißt eine anschliessende Zuordnung ist nicht möglich. Auch die Aufstockung des BAMF4 und neue Einstellungen bei der Bundespolizei können aktuelle sicherheitspolitische Defizite meines Erachtens nach nicht auffangen. Soweit ich das beurteilen kann, fehlen beim BAMF erfahrene Entscheider, die verwaltungsrechtlich haltbare Asylentscheidungen treffen können. Mehr Stellen bei der Bundespolizei machen sich auch erst in mehreren Jahren bemerkbar, nämlich nach Beendigung der Ausbildung.

Ich konstatiere, dass meines Erachtens ein sicherheitspolitisch unhaltbarer Zustand eingetreten ist. Ich erkenne einen staatsgefährdenden Verlust der Wehrhaftigkeit, verbunden mit fehlendem Respekt staatlichen Institutionen gegenüber. Dieser beginnt bereits an der Grenze, wenn wir nicht mehr in der Lage sind, unerlaubte Einreisen zu verhindern. Ich glaube, dass es durchaus möglich wäre, basierend auf meinen Erfahrungen, die ich (…) machen durfte, flächendeckend unerlaubte Einreisen durch Zurückweisungen/Zurückschiebungen zu verhindern.

Mir steht es nicht zu, Sie in meiner Funktion als Polizeibeamter darum zu bitten, alles in Ihrer Macht stehende zu tun, die nationale Ordnung durch effektive Grenzkontrollen an der deutschen Grenze wieder herzustellen. Dies tue ich als besorgter Familienvater, der seine Kinder in geordneten Verhältnissen aufwachsen sehen möchte.

Anmerkungen:

  1. BÜMA: Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender
  2. AFIS: Automatisiertes Fingerabdruck-Identifikations-System
  3. BKA: Bundeskriminalamt
  4. BAMF: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

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