Skip to main content

Die Impfpflicht-Empfehlung des Deutschen Ethikrats unter der Lupe: Kein schöner Anblick

Am 22. Dezember 2021 hat der Deutsche Ethikrat eine 20-seitige „Ad-hoc-Empfehlung“ zur allgemeinen gesetzlichen Impfpflicht veröffentlicht.
Aus Weblog von Norbert Häring, 30. 12. 2021

Anonymus. Mit einer mehrheitlichen Befürwortung einer allgemeinen Impfpflicht hat der Ethikrat in seiner Ad-hoc-Empfehlung eine Kehrtwende vollzogen. Noch im November 2020 war eine Impfpflicht in einem gemeinsam mit der Leopoldina und der Ständigen Impfkommission (Stiko) verfassten Positionspapier kategorisch ausgeschlossen worden:

"Impfungen setzen prinzipiell eine aufgeklärte, freiwillige Zustimmung voraus. Eine undifferenzierte, allgemeine Impfpflicht ist deshalb auszuschließen.“

Wichtiges Argument gegen die Impfpflicht war damals die unzureichende Kenntnis der „Wirk- und Risikoprofile“ der neuen Impfstoffe.

Das ist sehr verdichtet formuliert, aber Ethikratmitglied Lob-Hüdepohl erläuterte im Interview, was damit gemeint ist: Es ist weder bekannt, ob die Impfung eine sterile Immunität bewirkt, noch, welches ihre Langfristfolgen sind. Letztere Frage ist per definitionem weiterhin unbeantwortet, weil eine „lange Frist“ nach pharmakologischen Maßstäben noch nicht verstrichen ist.

Die erste Frage kann inzwischen sogar verneint werden   – die mRNA-Wirkstoffe erzeugen keine sterile Immunität   –, womit einer allgemeinen Impfpflicht zu Zwecken des direkten Fremdschutzes eigentlich die Grundlage entzogen ist. Gleichwohl kommt der Ethikrat nun zum gegenteiligen Ergebnis, offenkundig wider eigenes besseres Wissen.

Die Empfehlung des Ethikrats fällt durch weitere Merkwürdigkeiten auf. Das Dokument bemüht sich zwar sichtlich, besonnen und ausgewogen zu erscheinen. Eingangs wird mehrfach betont, dass viele relevante Informationen fehlen, wichtige Fragen noch unbeantwortet sind und sich unser Wissen über das Virus fortlaufend verändert. Anschließend erläutern die Autoren in sehr pädagogischem Duktus die verfassungsrechtliche und die ethische Dimension der Frage nach der Impfpflicht, um anschließend einen Überblick über die relevanten Argumente für und wider die Impflicht zu bieten.

Aber darauf folgt   – eine tiefe Lücke. Man würde erwarten, dass nun die Argumente auf die Waage gelegt werden. Dass sie für triftig oder irrig erklärt oder gegeneinander aufgewogen werden. Nichts dergleichen. Es folgen unvermittelt die Empfehlungen, die dogmatisch Position beziehen, ohne auf die Argumente einzugehen.

Von vier kritischen Mitgliedern fehlt zeitweise jede Spur

Die nächste Merkwürdigkeit ist arithmetischer Natur: Das Ethikratgesetz sieht 26 Mitglieder vor, die Homepage nennt aber nur 24 aktuelle Mitglieder. „Sieben von 20 (!) Mitgliedern“ heißt es in der Empfehlung des Ethikrates, sprechen sich für eine nach Risikogruppen differenzierte Impflicht aus, und eine Mehrheit von „dreizehn von 20 Mitgliedern“ für eine allgemeine Impfpflicht. Von vier Mitgliedern fehlt jede Spur in dem Dokument. Nicht nur haben sie keine Stimme im Positionspapier, sondern sie werden gar nicht mehr zu den Mitgliedern gezählt. Wurden sie ausgeschlossen?

Einen Tag später, am 23. Dezember, tauchen die vier verschwunden Mitglieder wieder auf, und zwar in der FAZ, wo sie zu der Empfehlung des Ethikrats Stellung nehmen und namentlich unterzeichnen. Es handelt sich um die Juristen Steffen Augsberg, Stephan Rixen, Frauke Rostalski sowie die islamische Theologin Muna Tatari.

Ihre Stellungnahme hat es in sich. Den vier Dissidenten geht es nämlich weniger darum, eine eigene Position zur Frage der Impfpflicht zu formulieren. Vielmehr greifen sie die Arbeit des Gremiums zur Impffrage frontal an. Sie attestieren der öffentlichen Debatte einen „Tunnelblick“, den zu überwinden sie offenkundig den Ethikrat nicht für fähig oder auch nur willens halten.

Sie kritisieren, dass das Gremium vorhandenen Unsicherheiten nicht Rechnung trägt und hinsichtlich der erwartbaren Auswirkung einer allgemeinen Impfung auf das Pandemiegeschehen schlicht naiv verfährt.

Welche Maßnahme genau empfohlen wird, bleibt offen

Der Ethikrat bestätige die Verhältnismäßigkeit einer Impfpflicht, ohne auch nur die konkrete Gestalt der Maßnahme zu kennen oder zu benennen: Ab wann soll sie gelten und wie oft muss geimpft werden? Unbekannt. Insgesamt entstehe der Eindruck, dass hier eine „gesetzliche Impfpflicht auf Vorrat installiert“ und die „Inpflichtnahme auf Dauer gestellt“ werden solle, ohne Risiken dieser Maßnahme oder alternative Maßnahmen überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Gegenpositionen würden erst gar nicht ernst genommen. Die Empfehlung „suggeriert eine ergebnisoffene Abwägung, ohne indes im Ergebnis mit der Vertretbarkeit unterschiedlicher Ansichten ernst zu machen“, monieren die Dissidenten.

Eine echte Überraschung stellt das Papier des Ethikrats natürlich nicht dar. Informelle Äußerungen einzelner Mitglieder und insbesondere der Vorsitzenden Alena Buyx (gesammelt und analysiert von Agnes Imhof auf multipolar und von Henry Mattheß auf diesem Blog) kündigten die Kehrtwende bereits an.

Alles in allem ist dies Grund genug, eine genaueren Blick auf die nun vorliegende offizielle Stellungnahme zu werfen und zu prüfen, inwiefern sich die harschen Vorwürfe der vier Dissidenten daran erhärten lassen. Ich nehme das Ergebnis vorweg: Meines Erachtens handelt es sich um ein vergiftetes und perfides Dokument. Dies zeige ich an drei Aspekten auf.

1. Keine Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme

Der Skandal beginnt mit dem Eingeständnis der „aktuellen Ungewissheit“. Der Rat behält sich deshalb vor, künftig seine Meinung angesichts neuer Erkenntnisse und Einsichten zu revidieren. Aber zugleich empfiehlt er trotz der Ungewissheit Maßnahmen, die selbst nicht revidierbar sind. Im O-Ton:

"Dieser Text wurde   – wie alle Texte des Ethikrates im Verlauf der Corona-Krise   – verfasst unter den Bedingungen der dynamischen Entwicklung der Pandemie, vor dem Hintergrund der aktuell zu Verfügung stehenden empirischen Erkenntnisse über die Pandemie und ihrer Unsicherheit. (.) Die folgenden Überlegungen beruhen daher auf einem sich kontinuierlich verändernden Wissensstand. Hieraus folgt die konsequente Revisionsoffenheit und -bedürftigkeit der folgenden Ausführungen und Empfehlungen. Sie müssen bei Bedarf überprüft und angepasst und/oder weiterentwickelt werden, um einer veränderten Faktenlage oder einem verbesserten Wissensstand Rechnung zu tragen.“

Stellen wir uns vor, die Impfung von Kindern (die in der aktuell diskutierten Impfpflicht noch nicht enthalten, aber von der Stiko bereits abgesegnet ist) würde negative Folgen zeigen. Wer sein Kind impfen lässt   – möglicherweise irgendwann gezwungenermaßen   – trifft eine irreversible Entscheidung, und das Kind muss mit den Folgen leben. Und was wird der Ethikrat tun, wenn diese negativen Folgen bekannt werden? Er hat angekündigt, in so einem Fall seine Meinung zu ändern. Er wird sagen: „Auf dem damaligen Wissensstand war unsere Empfehlung korrekt, auch wenn wir es jetzt besser wissen.“

Der Ethikrat tarnt mithin mit seinem Bekenntnis zur „Revisionsoffenheit und -bedürftigkeit“ eine feige und unverantwortliche Haltung: Er spricht Empfehlungen für irreversible, einschneidende Maßnahmen aus, für deren mögliche negative Folgen er bereits vorab erklärt, nicht die Verantwortung übernehmen zu wollen.

2. Parteilichkeit

Die vier Dissidenten stellen fest, dass das Papier mit Empfehlungen schließt, welche sich nicht einmal den Anschein geben, relevanten Gegenargumenten Rechnung zu tragen. Tatsächlich taucht die Schlagseite aber nicht erst in den abschließenden Empfehlungen auf, sondern ist auf eine unaufrichtige Weise in das gesamte Dokument eingewirkt.

Schon auf Seite 1 erwähnen die Autoren nicht weiter spezifizierte „Desinformationskampagnen“, die die Diskussion erschweren. Aber das Sponsoring des SPD-Parteitages durch Pfizer meinen sie damit wohl nicht. Nur die Kritiker der Impfpflicht, nicht aber ihre Befürworter sind von Desinformation betroffen oder ihre Urheber, suggerieren sie.

Diese Asymmetrie setzt sich fort. Auf Seite 5 bemängelt der Rat das Fehlen einer „solide[n] Datenbasis, um zu erklären, warum in bestimmten Milieus, sozialen Gruppierungen oder Regionen eine Impfung stärker abgelehnt wird“. Stimmt. Ebensowenig wissen wir aber, wieso in bestimmten anderen Milieus und Gruppen eine Impfung oder gar Impfpflicht stärker akzeptiert wird. Insofern man sich   – wie der Ethikrat an dieser Stelle   – für den geringen Erfolg der deutschen Impfkampagne interessiert, ist diese asymmetrische Fokussierung auf die Ursachen der Ablehnung pragmatisch gerechtfertigt. Aber im Verein mit der Rede von Desinformationskampagnen kündigt sich hier eine systematisch verzerrte Darstellung der Debatte an.

Besonders deutlich sieht man die auch vom Ethikrat angewendete, problematische Herangehensweise bei der Studie zu den „Quellen des ‚Querdenkertums‘“, die Oliver Nachtwey (kein Mitglied des Ethikrats) kürzlich im Auftrag der Heinrich Böll Stiftung vorgelegt hat. Die Untersuchungsfrage ist legitim, denn selbstverständlich muss die Protesthaltung eine soziologische Unterfütterung haben, ein „Ursprungsmilieu“, wie Nachtwey sagt. Aber dasselbe gilt auch für das Ausbleiben eines Protestes.

Auch Impfakzeptanz muss psychologische und soziologische Gründe haben. Davon aber will Nachtwey nichts wissen. Wenn er im Interview mit dem Deutschlandfunk erläutert,

"dass eine sachliche, wissenschaftlich evidenzbasierte Aufklärung mit Maßnahmenkritikern relativ wirkungslos ist. Die sind sehr, sehr häufig in einem bestimmten Tunnel drin und nehmen kognitiv eigentlich nur die Informationen wahr, die zu ihrem Argument passen“

so suggeriert er damit, dass dies bei Maßnahmenbefürwortern entweder anders oder zu begrüßen ist und es somit dort für ihn auch nichts zu erforschen gibt. Am Ende des Interviews gibt er dann tatsächlich konkrete Empfehlungen zur Erhöhung der Impfquote, womit er vollends die Position des neutralen Beobachters verlässt und sich der Regierung als Hofsoziologe andient.

Philosophisch betrachtet liegt der Fehler in Folgendem: Entweder man untersucht einen Menschen empirisch und fragt sich nach den psychologischen und soziologischen Ursachen seiner Überzeugungen, gleich ob man sie teilt oder nicht. Oder aber man lässt sich auf eine Diskussion mit ihm ein, und hört und bewertet seine Argumente.

Die Register zu vermischen, wie Nachtwey und etwas weniger offensichtlich der Ethikrat es tun, ist nicht nur unwissenschaftlich, sondern auch entwürdigend und verächtlichmachend. Jeder kennt aus Streitigkeiten das psychologisierende „Das-sagst-Du-doch-nur-weil“-Argument. Der Gegner wird zum Spielball psychologischer Kräfte reduziert, von denen man sich selbst frei wähnt. Kritiker der Impfpolitik sind Opfer von Desinformation und soziologischer Prägung, während die Befürworter der Impfpflicht, von reiner Erkenntnis erleuchtet, über den Dingen stehen.

Tiefer kann man die Spaltung kaum treiben, denn statt widerstreitenden Meinungen und Vorlieben sieht man nun rationale Vernunftwesen auf der einen Seite und animalische Triebwesen auf der anderen Seite einander gegenüberstehen. Hier wird die Würde des Menschen angetastet, und dies ausgerechnet durch den Ethikrat.

3. Notlage rechtfertigt alles

Sehr ausführlich widmet sich der Ethikrat der juristischen Verhältnismäßigkeitsprüfung einer Impfpflicht, die vier Fragen umfasst: Ist das Ziel legitim? Ist das vorgeschlagene Mittel geeignet, ist es erforderlich, und ist es verhältnismäßig?

Jedes Mittel für geeignet zu halten, welches, wie es in der Empfehlung heißt, nicht „von vornherein untauglich“ ist, hängt die Latte zwar schon sehr tief, steht aber noch im Einklang mit der gängigen juristischen Praxis. Der Verdacht der Verwässerung erhärtet sich freilich in den Ausführungen zur Erforderlichkeit. Als erforderlich gilt Juristen eine Maßnahme, wenn keine mildere, aber gleich wirksame Maßnahme zur Verfügung steht. Die Autoren der Empfehlung geben hier zu bedenken, dass

"… man zwar staatliches Vorverhalten nicht völlig außer Acht lassen können [wird]; in einer akuten Notlage dürfte aber der Verweis auf ungenügende staatliche Vorarbeiten nicht ausreichen, konkrete Maßnahmen auszuschließen.“

Dem Satz folgt ein Verweis auf das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die „Bundesnotbremse II“. Die Worte „akute Notlage“ tauchen zwar in der Urteilsbegründung nicht auf, beziehen sich aber offenkundig genau auf die vom Gericht genannte „Gefahr für Leib und Leben“. Das Urteil, welches Herbert Prantl „ungläubig, empört und zornig“ zurückließ, wird in Fachkreisen als Suspendierung einer ernsthaften Verhältnismäßigkeitsprüfung sogar bei Eingriffen in die Grundrechte verstanden, sofern die Gefahrenlage vom Staat angenommen wird (so Oliver Lepsius in der FAZ oder Gerhard Strate im Cicero).

Und der Ethikrat macht sich diese Sicht nun zu eigen. In der Summe heißt dies, überspitzt gesagt: Verhältnismäßig ist jedes geeignete Mittel, auch die unverhältnismäßigen. Ein Fall von Corona-Neusprech? Vielleicht. Auf jeden Fall signalisiert der Ethikrat unmissverständlich an die Politik, dass von ihm keine Kritik mehr zu erwarten ist. (Änderungshinweis, 11.00 Uhr: Aus diesem Absatz habe ich ein kurze Passage entfernt, die versehentlich dort stand, obwohl sie vom Autor gestrichen worden war. N.H.)

Unter solchen Prämissen wird allmählich verständlich, wie sich der Ethikrat über den eigenen Erkenntnisstand vom Vorjahr so leichtherzig hinwegsetzen kann. In der Tat unterstellt die in der Empfehlung folgende, sich neutral gebende Darstellung der Argumente für und wider die Impfpflicht durchweg die Eignung der anvisierten Maßnahme, was die Diskussion vollkommen verzerrt.

Nur die schlechtesten Argumente der Gegenseite

Als angeblich „wesentlichstes“ Argument wider die Impfpflicht wird der schwerwiegende Eingriff in die persönliche Freiheit angeführt. Allenthalben ist heute zu lesen, Gegner der Impfpflicht hätten einen „vulgärliberalen Freiheitsbegriff oder frönten einer „wirren Freiheitsideologie“ (z.B. „Die Freiheit, die sie meinen“), und auch der Ethikrat macht darauf aufmerksam, dass sich die individuelle Freiheit einem solidarischen Zusammenleben als „freiheitsermöglichendem“ Faktor verdankt.

Dass jede Position auch aus schlechten Gründen vertreten werden kann, versteht sich von selbst, ist aber für ihre Bewertung egal, denn für diese sind die guten Gründe ausschlaggebend.

Was machen wir also mit einem Skeptiker, der sich gerne solidarisch verhalten will, aber in der Impfung aufgrund der fehlenden sterilen Immunität kein geeignetes Mittel seiner Solidarität erkennt   – schließlich wird er oder sie mit Impfung dieselbe Viruslast tragen? Vor dem Hintergrund, dass die Impfung bestenfalls nur dem Eigenschutz dient, gewinnt die Frage nach Nebenwirkungen der Impfung an Gewicht, zumal diese in der Gesellschaft anders als die Risiken eines schweren Coronaverlaufs verteilt sind. Diejenigen mit den geringsten Corona-Risiken sind tendenziell die mit dem höchsten Impfrisiko.

In diesem besonnenen Skeptiker erkennen wir den Ethikrat selbst, wie er noch vor einem Jahr auftrat. Und was antwortet der heutige Ethikrat seinem alten Selbst? Mit der Frage einer positiven Eignung möchte er sich wie gesehen schlicht nicht belästigt sehen, und die Frage nach negativen Wirkungen tut er schnoddrig ab. Bedenken werden als subjektive „Sorge“ und „Angst“ verbucht. Aber „objektiv“ sei das Risiko gering, weiß der Ethikrat auf einmal. Vielleicht hat er ja in seine Kristallkugel gesehen.

Resümee

Unter dem Strich trägt der Ethikrat zur Diffamierung von Kritikern einer Impfpflicht bei, stellt er der Politik durch begriffliche Verwässerung einen verfassungsrechtlichen und ethischen Freischein aus, und verwendet er auf perfide Weise den Standard der Wissenschaftlichkeit, um sich selbst aus der Verantwortung zu stehlen.

Je deutlicher sichtbar wird, dass die Impfung   – obgleich sie ein zentrales Element des Pandemiemanagements darstellt   – nicht das Wundermittel ist, durch welches wir über Nacht die alte Normalität wiedererlangen, desto verbissener setzt die Politik auf eine allgemeine Impfpflicht. Und der Ethikrat sanktioniert diese absurde Strategie: „gerade wenn der qualitative Impfschutz sinken sollte, gelte es, den quantitativen Aspekt des Impfschutzes   – möglichst hohe Impfquoten   – voll auszuschöpfen“, heißt es in der Liste der Argumente für die Position, die schlussendlich auch die des Ethikrates ist.

Weniger kompliziert ausgedrückt heißt das: je schlechter das Mittel wirkt, desto mehr müssen es nehmen, und desto mehr müssen sie davon nehmen. Alternativen kommen nicht infrage. Dies ist eben jener Tunnelblick, von dem die vier Dissidenten sprachen.

Der Ethikrat wird oft als „zahnloser Tiger“ geschmäht. Da seine Mitglieder von der Politik handverlesen sind, könne von diesem Gremium keine ernsthafte Gefahr ausgehen. Diese Einschätzung war offenkundig vorschnell: Dem zahnlosen Tiger sind Zähne gewachsen. Allerdings schnappen sie nicht nach der Politik, sondern nach deren Kritikern.

Dass die Politik auch nach zwei Jahren Pandemieerfahrung noch immer ein besonnenes und evidenzbasiertes Pandemiemanagement verweigert, sondern Vorschläge von denjenigen Politikern aufgreift, die in der Krise ihre Karriere renovieren oder sich als „starker Mann“ andienen, ist eine Sache.

Dass diese Maßnahmen nicht zwecklogisch, sondern moralisierend bewertet werden, und sich die kritische Öffentlichkeit von einem falschen Diskurs von Solidarität, Sicherheit und Wissenschaftlichkeit hat einlullen lassen (Timo Reuter im Freitag), macht es noch schlimmer. Etwas ganz anderes ist es aber, in dieser Situation sämtliche formelle und informelle Instanzen unserer Gesellschaft ausfallen zu sehen: das Bundesverfassungsgericht (siehe oben), die Presse (wie sogar das sonst in Sachen Corona handzahme Neue Deutschland in einer exzellenten Stellungnahme befand), die Intellektuellen (siehe Norbert Häring zu den „korrumpierten Philosophen“). Der Ethikrat hat sich hier nun eingereiht.

Mehr

https://norberthaering.de/ueber-diesen-blog/

Dossier zur Impfpflicht

Quelle: https://norberthaering.de/medienversagen/die-impfpflicht-empfehlung-des-deutschen-ethikrats-unter-der-lupe-kein-schoener-anblick/


Weitere Beiträge in dieser Kategorie