Skip to main content

Deutschland am Antikriegstag  – 01.09.2017

German-Foreign-Policy
01. September 2017
Am heutigen Antikriegstag befindet sich die Bundesrepublik Deutschland in einer in ihrer jüngeren Geschichte beispiellosen Militarisierung. Nicht nur die Bundeswehr wird mit neuem Militärgerät in hoher Zahl ausgestattet und für künftige Einsätze in aller Welt optimiert; in Arbeit sind etwa neben einer Personalaufstockung in der Truppe eine Vervielfachung der deutschen Kampf- und Transportpanzerbestände, die Neubeschaffung teurer Kriegsschiffe sowie Vorbereitungen auf den Cyber- und den Weltraumkrieg. Gleichzeitig drängt Berlin auf die Militarisierung der Europäischen Union, die schlagkräftige, eng verschmolzene multinationale Truppen, ein gemeinsames militärisches Hauptquartier und weitere Mittel für die künftige Kriegführung erhalten soll.

Zudem beteiligt sich die Bundeswehr an vorderster Front an einer offensiven Stationierung von NATO-Einheiten in großer Nähe zur russischen Westgrenze. Grundlage des Militarisierungsprozesses ist das ökonomische und politische Erstarken der Bundesrepublik seit der Übernahme der DDR 1990, das die offene deutsche Führung in der EU sowie neue Berliner Ansprüche auf eine auch globale Führungsrolle ermöglicht hat.

Die EU-Kanzlerin

Hintergrund der aktuellen Militarisierung ist der beispiellose Machtzuwachs Deutschlands seit der Übernahme der DDR am 3. Oktober 1990. Er beruht auf einem anhaltenden Wirtschaftswachstum, das das deutsche Bruttoinlandsprodukt von 1,6 Milliarden Euro im Jahr 1991 auf 3,1 Milliarden Euro im Jahr 2016 anschwellen ließ. Das Wachstum wiederum basiert auf einer exzessiven Exportfixierung, die weltweit immer wieder massiv kritisiert worden ist, weil sie vor allem Staaten der Eurozone immer weiter in die Verschuldung treibt [1]: Die deutsche Stärke ist untrennbar mit der Wirtschaftskrise etwa in Frankreich, Italien und Griechenland verbunden. Schon zu Beginn der Krise ist es Berlin gelungen, sich offen als Führungsmacht in der EU zu etablieren. Anfang 2011 etwa erklärte die führende Zeitschrift des deutschen Außenpolitik-Establishments Bundeskanzlerin Angela Merkel zur "EU-Kanzlerin".[2] Zwei französischen Präsidenten   – Nicolas Sarkozy und Francois Hollande   – ist es trotz heftiger Gegenwehr nicht gelungen, sich gegen die Bundesrepublik zu behaupten.[3] Der aktuelle Präsident Emmanuel Macron hat sich der deutschen Führung schon im Wahlkampf untergeordnet.[4] Wie Untersuchungen zeigen, erkennt das Establishment aller EU-Staaten die Tatsache der deutschen Führung unumwunden an.[5]

"Weltweit Führung übernehmen"

Auf der neuen Macht aufbauend, fordert das deutsche Establishment seit vier Jahren verstärkt eine globale Führungsrolle für die Bundesrepublik ein. "Deutschlands gewachsene Kraft verleiht ihm heute neue Einflussmöglichkeiten", hieß es im Oktober 2013 in einem Strategiepapier, das rund 50 einflussreiche Multiplikatoren aus dem deutschen Establishment unter Leitung des Auswärtigen Amts und der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) erstellt hatten.[6] Die Bundesrepublik sei eine "Gestaltungsmacht im Wartestand": "Deutschland wird künftig öfter und entschiedener führen müssen." Ähnliche Äußerungen sind seither immer wieder zu hören gewesen; sie prägen heute das Selbstverständnis der deutschen Eliten. Berlin werde "zunehmend als zentraler Akteur in Europa wahrgenommen", heißt es exemplarisch im 2016 publizierten Weißbuch der Bundeswehr: Es trage "aufgrund seiner wirtschaftlichen, politischen und militärischen Bedeutung" nun "Verantwortung", die "globale Ordnung aktiv mitzugestalten".[7] "Deutschland ist bereit, sich früh, entschieden und substanziell als Impulsgeber in die internationale Debatte einzubringen ... und Führung zu übernehmen", heißt es weiter in dem Dokument.

Rüsten, rüsten, rüsten

Zur Durchsetzung ihres Führungsanspruchs rüstet die Bundesrepublik nun gewaltig auf. Der Wehretat steigt seit Jahren und soll weiter anschwellen; Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat für die Beschaffung neuen Kriegsgeräts eine Summe von 130 Milliarden Euro genannt. Eine neue "Konzeption der Bundeswehr" steht vor der Fertigstellung, wird aber mit Rücksicht auf den Wahlkampf erst nach der Bundestagswahl veröffentlicht. Einzelne Elemente sind inzwischen bekannt. So wird nicht nur die Zahl der Leopard-Kampfpanzer um fast 50 Prozent auf 320 erhöht; die Bundeswehr soll künftig nicht, wie bisher geplant, 330 Transportpanzer des Typs Boxer zur Verfügung haben, sondern die drei-, vielleicht sogar die fünffache Zahl. Die Luftwaffe soll in die Lage versetzt werden, einen multinationalen Verband zu führen, der bis zu 350 Aufklärungs- und Kampfflüge pro Tag durchführen kann. Die Marine wiederum soll bis zu 15 Kriegsschiffe parallel in Einsätze senden können. Als exemplarisch kann die Beschaffung des Mehrzweckkampfschiffs MKS 180 gelten: Es ist nicht, wie die neue Fregatte F125, in starkem Maß für den Krieg gegen Piraten und Flüchtlinge optimiert, sondern wieder in der Lage, feindliche Kriegsschiffe und Kampfjets auf höchstem Niveau zu bekämpfen.

Strategische Autonomie

Gleichzeitig treibt Berlin die Hochrüstung der Europäischen Union entschlossen voran. Im Juni 2016 hat EU-Chefaußenpolitikerin Federica Mogherini eine "Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik" des Staatenbundes vorgelegt, die unter anderem "strategische Autonomie" für die EU verlangt. Unmittelbar anschließend legte der damalige Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier gemeinsam mit seinem französischen Amtskollegen Jean-Marc Ayrault ein Papier vor, das ausdrücklich einen "Gestaltungsanspruch" für die EU einforderte   – und zwar "weltweit".[8] Steinmeier und Ayrault sprachen sich in dem Papier zudem für umfassende Maßnahmen zur Militarisierung der EU aus. Eine Vielzahl von ihnen sind inzwischen in die Wege geleitet worden. So verfügt Brüssel mittlerweile über ein kleines militärisches Hauptquartier, das zunächst die EU-Ausbildungseinsätze führen soll. Darüber hinaus ist ein EU-Verteidigungsfonds etabliert worden, der multinationale Rüstungsprojekte von EU-Mitgliedstaaten ab 2020 mit jährlich 1,5 Milliarden Euro fördert. Berlin treibt zudem die Verschmelzung nationaler Streitkräfte europäischer Staaten voran. Beteiligt sind bislang neben Deutschland, das den Kern des Verschmelzungsvorhabens bildet, vor allem die Niederlande, Frankreich, Tschechien, Rumänien, Polen und der NATO-Staat Norwegen.[9] Für die nächste Zukunft sind vor allem Einsätze in den Ländern des nördlichen Afrika geplant.

"Konkurrierende Ordnungsentwürfe"

Massiv in die Offensive geht Berlin auch mit der NATO. Wie es im neuen Bundeswehr-Weißbuch mit Blick auf den Aufstieg vor allem Chinas, aber auch weiterer Staaten wie Indien oder Russland heißt, entwickele sich "das internationale System" derzeit "zu einer politisch, wirtschaftlich und militärisch multipolaren Ordnung". Dabei könnten "konkurrierende Ordnungsentwürfe für die Ausgestaltung internationaler Politik" entstehen.[10] Einen "konkurrierenden Ordnungsentwurf" macht das Weißbuch besonders im Falle Russlands aus, das sich, wie es heißt, "als eigenständiges Gravitationszentrum mit globalem Anspruch" begreift. Moskau stelle deshalb, so heißt es weiter, "auf absehbare Zeit eine Herausforderung für die Sicherheit auf unserem Kontinent dar". Dagegen geht die Bundesregierung im NATO-Rahmen vor. Die Bundeswehr stellt nicht nur die Logistik für die alle neun Monate wiederkehrende Verlegung umfangreicher US-Truppen zu Manövern nach Ost- und Südosteuropa; sie beteiligt sich auch an vorderster Stelle an der NATO-"Speerspitze", einer Schnellen Eingreiftruppe zum Einsatz vor allem in der Nähe der russischen Westgrenze. Sie führt darüber hinaus eine der vier NATO-Brigaden, die im Baltikum und in Polen gegen Russland Stellung bezogen haben.[11]

Noch in den Anfangsstadien

Die erwähnten Vorhaben befinden sich noch in ihren Anfangsstadien. Ihr Erfolg liefe auf eine noch viel weiter reichende Aufwertung des Militärischen in Deutschland und der EU hinaus.

Weitere Beiträge in dieser Kategorie


Quelle: German-Foreign-Policy
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7371/