Andreas Mylaeus und Peter Hänseler über Gegenwart und Zukunft des Westens

Wie lautet die Diagnose für Deutschland und deutsche Politiker heute? Unter welchen Bedingungen ist ein Frieden zwischen Europa und Russland möglich?
Transkript
Marina Zakamskaya:
Herr Hänseler, Herr Mylaeus, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch genommen haben. Ich freue mich sehr bei Ihnen zu Gast heute zu sein. Damit wir richtig anfangen: Könnten sie ganz kurz erzählen, wie sie einander kennengelernt haben?
Peter Hänseler:
Soll ich beginnen?
Andreas Mylaeus:
Bitte, bitte.
Peter Hänseler:
Ja, ich habe von Andreas Mylaeus immer wieder gehört und mein Mitautor René Zittlau hat gesagt: Du, da der Mylaeus ist ein gescheiter Typ, den solltest Du mal kontaktieren. Das war irgendwie vor knapp zwei Jahren und Andreas macht sehr viele Übersetzungen von Beiträgen der Website von Seniora.org von Englisch auf Deutsch und dann, ja, das hat, wie in unserem Geschäft meistens, mit E-Mailverkehr angefangen. Und dann habe ich im März letzten Jahres einen Vortrag gehalten in Zürich und da ist dann der Andreas mit seiner Frau gekommen und dann haben wir uns persönlich kennengelernt und die Beziehung wurde immer inniger.
Marina Zakamskaya:
Aber das ist ihr erster Besuch nach Moskau, verstehe das richtig?
Andreas Mylaeus:
Ja, ich bin noch nie in Russland gewesen, leider.
Marina Zakamskaya:
Wie ist ihr Eindruck bisher?
Andreas Mylaeus:
Ich bin gestern mit dem Flugzeug angekommen und weil ich ja Psychologe bin, achte ich auf Körpersprache und Eindrücke von Menschen. Und mir ist gestern im Flugzeug etwas aufgefallen. Ich kann die Bedeutung noch nicht wirklich ermessen. Aber mir ist aufgefallen, dass die Menschen – es waren, ich schätze, so 95% Russen auf dem Flug von Istanbul nach Moskau – und der Umgang der Menschen miteinander, ist mir aufgefallen, im Verhältnis zu dem, was ich aus dem Westen, aus Deutschland, auch aus Amerika – ich habe auch in Amerika gelebt eine Zeit lang... Was mir da aufgefallen ist, das...
Marina Zakamskaya:
Was für ein Unterschied?
Andreas Mylaeus:
Ein ganz wesentlicher Unterschied war z.B., dass der Umgang der Männer mit den Frauen anders ist als bei uns. Die Männer waren zu vorkommender und haben den Frauen Vortritt gelassen – nicht bloß den älteren Frauen, die nicht mehr richtig zur Toilette konnten, weil das Flugzeug geschwankt hat, sondern auch die jungen Frauen wurden gebeten, doch zuerst zu gehen und die Männer haben sich zurückgehalten. Das würde man in Deutschland nicht erleben. Wenn in Deutschland eine ältere Frau in den Bus steigt, wird kein Jugendlicher aufstehen und der Frau den Platz anbieten, weil unsere Kultur inzwischen so verlottert ist, dass das bei uns nicht mehr passiert.
Und das war mein erster Eindruck. Sonst? Ich bin jetzt keine 24 Stunden hier. Also von daher kann ich noch nicht viel sagen über Russland. Aber das ist mir aufgefallen. Es ist mir sehr positiv aufgefallen.
Marina Zakamskaya:
Also, ich hoffe, da kommen noch mehr Eindrücke.
Andreas Mylaeus:
Unbedingt!
Marina Zakamskaya:
Sie haben schon selber erwähnt, dass sie Psychologe sind. Aber soweit ich weiß, ist das nicht ihre erste Ausbildung. Sie sind Anwalt.
Andreas Mylaeus:
Ja, ich war Anwalt. Ich habe zuerst mit mit dem Jurastudium angefangen. Der Hintergrund war, dass ich als Nachkriegskind sehr viel vom Zweiten Weltkrieg beeinflusst worden bin, obwohl ich erst 1950 geboren bin, aber mein Vater hat sehr viel vom Krieg erzählt und das Ergebnis war, dass keiner von uns vier Brüdern zum Wehrdienst der Bundeswehr eingezogen worden ist bzw. gehen wollte, weil mein Vater ganz überzeugt war davon, dass das der letzte Krieg sein sollte, der überhaupt geführt werden sollte – schon gar nicht aus Deutschland. Er war absolut dagegen, dass es einen weiteren Krieg gibt. Und dann habe ich mich als Ältester an meinem Vater orientiert und ich hatte das Gefühl, ich möchte etwas beitragen zur Völkerverständigung. Und meine Idee war, ich werde deutscher Diplomat, um zu helfen, die Beziehungen zwischen den Nationen zu verbessern. Das war der Ansatz und deshalb habe ich angefangen, Jura, Recht zu studieren. Später habe ich natürlich dann gemerkt, dass es eine naive Idee war, dass die deutsche offizielle Linie der amerikanischen folgt und ein Frieden nicht gewollt ist. Das war ja auch schon die Zeit des Kalten Krieges.
Und ich war weiter auf der Suche danach, wie man eigentlich die Welt besser machen könnte. Dazu bin ich dann auf die Psychologie gestossen. Es war ein Zufall. In Zürich war eine psychologische Schule, die tiefenpsychologische Ansätze erforscht hat und verfolgt hat und gleichzeitig aber auch ein gesellschaftliches Anliegen hatte.
Und das hat mich fasziniert. Und deshalb kam ich auch zu dieser Idee, mich damit zu beschäftigen: Was ist eigentlich der Mensch? Warum führt man eigentlich Krieg? Ist es so, dass unser Menschenbild, das wir jeden Tag präsentiert bekommen, stimmt das so? Ist der Mensch wirklich „dem Menschen ein Wolf“? Ist jeder Mensch nur darauf aus, dem anderen alles wegzunehmen? Ist er ein Egoist, der nach Macht strebt und alles nur beherrschen will bis hin zum Krieg? Oder gibt es einen anderen Ansatz? Und der andere Ansatz wurde vertreten eben von dieser psychologischen Schule. Und inzwischen weiß ich durch all die vielen Forschungen, die ich nachher gemacht habe, und das ist ja inzwischen auch bekannt eigentlich, kann man sagen, es ist bekannt, dass der Mensch eigentlich eine Natur hat, dass der Mensch gut ist. Friedfertig. Wäre – coniunctivus irrealis – also er könnte es sein. Warum ist er es dann trotzdem nicht?
Warum ist die Natur des Menschen gut, aber die Menschen handeln nicht danach?
Der Grund ist der, dass der Mensch nicht einem automatischen Instinkt folgt, sondern der Charakter, die Persönlichkeit des Menschen muss geformt werden und diese Anlage zum „gut sein“, zum Mit-Kooperieren, zu Mitgefühl, zu Empathie, die muss in dem Erziehungsprozess in der Familie und dann in der Schule, in der Gemeinschaft, in der größeren Gemeinschaft, je nach Kultur ausgeprägt werden. Und da haben wir die Unterschiede.
Dann gibt es Familien, die bringen Menschen hervor wie Maria Theresia, die sich um andere kümmern, und auf der anderen Seite findest du – ich will jetzt keine Namen nennen – aber unsere deutschen Politiker, die derzeit am Ruder sind, sind teilweise regelrechte Psychopathen, Soziopathen, die kein Mitgefühl haben für das, was die anderen wünschen.
Und das ist ein Erziehungsproblem. Das entsteht auf der Grundlage der menschlichen Natur, die diese Variabilität aufmacht. Aber vom Grundsatz her sind die Menschen von ihrer Natur her gut.
Marina Zakamskaya:
Aber was glauben Sie, was ist in ihrem Erziehungsprozess schiefgelaufen, dass sie so geworden sind? Sind das irgendwelche äußeren Faktoren oder was ist der Grund?
Andreas Mylaeus:
Der Grund ist, ja, und jetzt steigen wir ins Eingemachte ein, weil eigentlich unsere westliche Kultur – ich spreche jetzt von der westlichen Kultur, wenn ich jetzt von der Natur des Menschen spreche, bitte, ich spreche von unserer westlichen Kultur. Bei anderen Kulturen kenne ich mich zu wenig aus, um darüber auch eine Aussage machen zu können...
Also, was geht da schief? Der Hintergrund ist wahrscheinlich, dass die Eltern, die ihre Kinder erziehen wollen, von ihrem eigenen Kind ein falsches Bild haben. Sehr häufig ist es so, dass die Kinder gestraft werden, wenn Sie einen Fehler machen. Sie werden nicht freundlich angeleitet, sondern es wird gestraft. Es wird bestraft. Es wird davon ausgegangen... Man muss, wie es in der Bibel heißt: Die schlechten Seiten muss man dem Kind austreiben.
Zu meiner Zeit, als ich erzogen wurde, galt noch das Wort „eine Ohrfeige zur rechten Zeit hat noch nie jemandem geschadet“! Damit man weiß, wie man sich zu benehmen hat, bekommt man eins hinter die Ohren. In der Schule war es ganz normal, als ich schreiben gelernt habe, dass unsere Lehrerin uns mit einem Lineal auf die Finger geschlagen hat, wenn wir Fehler gemacht haben beim Schreiben. Und selbstverständlich funktionieren solche Methoden nicht, weil die Kinder bekommen Angst und schrecken zurück und können sich nicht entfalten.
Das sind extreme Beispiele. In der heutigen Zeit werden diese Methoden wurden verpönt, die sind nicht mehr möglich, weil in den Schulen ist das Schlagen verboten. Aber der emotionale Impuls: „Na, das hast Du falsch gemacht!“ Und dann der Ärger und eine Aggressionsreaktion, wenn das Kind sich falsch benimmt. Da haben wir das Problem, dass dann das Kind zurückschreckt und ein Bild entsteht zwischen Mutter und Kind, mit Vater und Kind in der Familie, dass das Kind merkt: Mit dem Menschen ist nicht gut Kirschen essen. Dann entsteht ein schlechtes Menschenbild. Und je nachdem, wie sich das dann in der Familie mit den Geschwistern entwickelt, kann es eben sein...
Na ja, man muss noch einen Schritt zurück machen: Diese tiefenpsychologische Schule, von der ich gesprochen habe, geht zurück auf Alfred Adler. Alfred Adler war einer der drei Tiefenpsychologen, die in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts in Wien die Tiefenpsychologie begründet haben. Da hatten wir den Freud, dann hatten wir den Adler, da hatten wir den Jung und andere.
Alfred Adler hat in seiner Tiefenpsychologie den Schwerpunkt darauf gelegt, dass die Menschen immer das Bestreben haben, von einer Minus-Situation zu einer Plus-Situation zu kommen. Der Mensch möchte etwas verbessern. Schon das kleine Kind möchte ein Problem lösen. Es möchte weiterkommen. Und dieses vom Minus zum Plus – Alfred Adler hat von einem Minderwertigkeitsgefühl gesprochen – Minderwertigkeit – Schwächegefühl in der Persönlichkeit angesichts eines Lebensproblems... Und wie diese Bewegung funktioniert, vom Minus zum Plus, da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die Schwächen, Schwächegefühle, kann man z.B. kompensieren durch Machtgehabe. Und dann kommt das Streben zur Macht. Das entsteht dort und dann kann das Blüten treiben und dann können solche Politiker herauskommen am Schluss, wie wir sie heute haben.
Marina Zakamskaya:
Also, sie sind kein Psychologe. Aber sie beobachten schon ganz viel. Wenn Sie das heutige, also das aktuelle Verhalten von europäischen, also von deutschen Politikern analysieren: Steht dieses Konzept so ihnen nahe eigentlich?
Peter Hänseler:
Ja, ich kann natürlich Auskunft geben aufgrund des gesunden Menschenverstandes. Ich beobachte die Leute genau. Aber jetzt, in der deutschen Politik heute, also wenn wir jetzt die abtretende Regierung anschauen, ist das Problem meines Erachtens mehrschichtig. Wir haben sicher die psychologische Note drin, die Andreas beschrieben hat, und dann haben wir ein Auswahlproblem, ein Kompetenzproblem. Das heißt, es kommen nicht mehr die Besten nach oben. Wenn Sie die heutige Regierung anschauen, haben die haben einerseits meines Erachtens ein intellektuelles Problem – einfach nicht intelligente Leute. Und dann kommt dazu, dass sie inkompetent sind. Das treibt natürlich mit Frau Baerbock und Herrn Habeck Blüten. Da hat jeder Komödiant seine große Freude daran.
Und dann kommt der Einfluss dazu, dass, wenn man es kühl betrachtet, dass Deutschland eine amerikanische Kolonie ist seit 1945, also kein souveränes Land. Welches souveräne Land würde akzeptieren, dass zigtausende von fremden Soldaten im Land sind? Und das ist keine Verschwörungstheorie.
Das hat der gute Herr Schäuble, einer der berühmtesten Nachkriegspolitiker, das war, glaube ich 2001, hat er das wortwörtlich wirklich gesagt, dass Deutschland seit 1945 keinen Tag lang souverän war. Also wir haben das psychologische Moment, wir haben das Auswahlverfahren, das nicht sicherstellt, dass intelligente Leute kommen. Dann haben wir das Kompetenzproblem, dass also ein Kinderbuchautor Wirtschaftsminister und eine Frau ohne jegliche Ausbildung Außenministerin wird und dann, dass die Rahmenbedingungen für Deutschland sehr schlecht sind, weil, ja weil Deutschland wirklich eine Kolonie ist. Das hören sie sicher nicht gern. Aber das ist so.
Marina Zakamskaya:
Sie haben gesagt, dass Deutschland kein souveränes Land ist. Aber fühlen die Deutschen eigentlich sich auch so, dass sie keine Souveränität in ihrem Land haben? Was glauben Sie?
Andreas Mylaeus:
Das kommt darauf an, von von wem Sie sprechen. Also, wenn Sie von unseren Eliten sprechen, da können Sie davon ausgehen, dass die sehr wohl wissen, dass sie aus den USA gesteuert sind – wenn sie die Atlantikbrücke sich anschauen z.B oder jetzt den neue Bundeskanzler, der jetzt ansteht bei uns, der Friedrich Merz, der ein BlackRock-Kandidat ist.
Der fühlt sich mit Amerika so verbunden, dass er keinen Unterschied macht zu Amerika und Deutschland. „Wir sind eins“, so wie unser Bundeskanzler Scholz auch gesagt hat, als er neben dem Herrn Biden, dem damaligen US-Präsidenten, stand, als die Sprengung von Nord Stream anstand. Dort hat er gesagt... Er wurde er gefragt von der amerikanischen Journalistin, was er davon hält, dass Biden jetzt vorhat, Nord Stream zu sprengen, wenn es demnächst ansteht, und er gesagt hat: „We do everything always, always together.“ Wir tun immer alles zusammen.
Die machen keinen Unterschied zwischen Deutschland und Amerika. Wir sind der Westen. Und eine deutsche Identität in diesem Sinn kann ich in diesen Eliten nicht erkennen.
Wenn sie dann aber in die Bevölkerung schauen, da schaut das anders aus, weil natürlich die Bevölkerung merkt, wie der Zustand des Landes ist und dass da Interessen verfolgt werden, die ihren eigenen nicht entsprechen. In der kleinen Gemeinde, wo wir leben, da wenn man mit dem Landwirten oder mit den Marktfrauen spricht oder mit dem Schuhverkäufer oder auch mit meinem Arzt, wenn ich mit ihm spreche, dann sind wir uns alle einig, dass Deutschland eigentlich eine Kolonie ist und es keine Souveränität für Deutschland gibt.
Das hat natürlich auch mit der deutschen Geschichte zu tun.
Marina Zakamskaya:
„Wir sind eins“, also: „We are together“ – aber ist das für die Amerikaner genauso? Teilt Amerika eigentlich dieses Prinzip?
Peter Hänseler:
„Wir sind eins“? – Nein, nein, natürlich nicht! Deutschland ist eine Kolonie. Wenn sie Kolonialherr sind, dann haben sie natürlich das Interesse, einfach die Vorteile, eben, „America first“ – für Amerika zu nehmen und die Nachteile möglichst bei Deutschland – jetzt als ein Beispiel – Deutschland ist ja nicht die einzige Kolonie der Amerikaner – die Probleme dort zu lassen oder dort zu kreieren. Das ist absolut klar. Wenn Sie jetzt als Beispiel den Ukraine-Krieg oder die Reaktion des Westens auf den Ukraine-Krieg nehmen, dann ist das ja absolut evident. Die Amerikaner haben ein Drittel oder nicht mal die Hälfte der Sanktionen der EU erlassen. Die Amerikaner, z.B in Sachen Uran, es gibt verschiedenste Güter aus Russland, die sie brauchen – die Amerikaner sanktionieren das nicht, weil das wäre zum Nachteil von Amerika. Und dann wird den deutschen oder der EU vorgeschrieben: Ihr müsst den Sack zumachen mit Russland und die katastrophalen Konsequenzen sehen wir jetzt. Also, was heißt „we are one“? Wenn man eine Kolonie ist, dann sollte man wenigstens nicht so bescheuert sein, dass man denkt, dass man eine Einheit ist. Man ist eben eine Kolonie und hat einen Kolonialherrn!
Marina Zakamskaya:
Aber angesichts dieser Entwicklungen, was denken Sie, welche Führung braucht eigentlich Deutschland heute? Wir wissen, dass Friedrich Merz wahrscheinlich an die Macht kommt. Aber welchen Führer bräuchte Deutschland, um selbst Entscheidungen zu treffen?
Andreas Mylaeus:
Das ist eine schwierige Frage, weil diese ganze Struktur des Westens ist so, dass in Deutschland keine souveräne Führung möglich ist. Wir haben in Deutschland eine Situation gehabt in den 70er Jahren, auch dann noch in den 80er, 90er Jahren – es gab einmal eine Ostpolitik. Eine deutsche Ostpolitik gab es einmal. Da gab es Politiker und auch Wirtschaftskapitäne, die sich bemüht haben, mit der damaligen Sowjetunion, mit Russland, in Kontakt zu kommen, um eine europäische Gemeinschaft zu bilden im Sinne der Kooperation, weil das uns allen nützt.
Eine der wichtigsten Figuren in dem damaligen Deutschland war Alfred Herrhausen. Das war damals der Chef der Deutschen Bank. Man nannte das damals die Deutschland AG – Aktiengesellschaft, weil diese Bank war nicht nur eine Bank, sondern die hat im Grunde genommen die deutsche Industrie komplett beherrscht, sozusagen, durch Aufsichtspositionen und so weiter, mit Vernetzungen.
Und Alfred Herrhausen war befreundet mit Helmut Kohl, unser Bundeskanzler damals, und die haben versucht, eine souveräne Politik gegenüber dem Westblock, den USA, zu initiieren. Die Folge war, dass Alfred Herrhausen gewaltsam aus dem Ring geschossen wurde. Wir hatten die sogenannte Rote Armee Fraktion. Das war eine – das kann man ja ruhig heute sagen – es war eine CIA Operation, die den Alfred Herrhausen aus dem Ring geschossen hat. Helmut Kohl, der versucht hat, dann noch mit Russland den Kontakt aufrechtzuerhalten, wurde mit einem Spendenskandal „regime-changed“, wie wir heute sagen. Diese Erinnerung an diese historische Phase ist den deutschen Politikern sehr wohl bekannt und es gab noch andere solche Fälle, wo es Politiker gab, die das westliche Bündnis in Frage gestellt haben.
Also, in Frankreich gab Charles de Gaulle, der das gleiche Problem versucht hat. Das versucht heute niemand mehr, weil das einfach lebensgefährlich ist. Und von daher kann man nicht davon ausgehen, dass Deutschland eine Führung bekommen wird, die da eine andere Politik macht.
Marina Zakamskaya:
Also sie sagen, es ist unmöglich, dass Deutschland eine souveräne Führung bekommt. Aber die Leute sind ja damit unzufrieden. Wir sehen besonders dieses Jahr also das Scheitern der Regierungskoalition. Die Oppositionspartei, die eigentlich von anderen Parteien entweder ignoriert oder beschimpft oder nicht akzeptiert wird, bekommt immer mehr Popularität. Herr Hänseler, was glauben Sie, wie lange kann es noch so weitergehen eigentlich?
Peter Hänseler:
Wenn man in die Geschichtsbücher schaut, Deutschland sind die absoluten Spezialisten, so lange zuzuwarten bis es wirklich zu spät ist. Das ist eine deutsche Charaktereigenschaft. Ich habe Texte gelesen in den letzten paar Tagen: Als man Adolf Hitler beseitigen wollte, das hat 1937 begonnen, da hat sehr viele Leute gehabt in Deutschland, gescheite Leute in Deutschland, die gewusst haben, der bringt uns Elend, der wird uns ins Elend stürzen. Ich kenne die Prozentzahlen nicht, aber da gab es verschiedenste Gruppen, die sich darum bemüht haben, diesen Mann von der Macht zu bringen und das hat ja dann am Schluss nie funktioniert.
Und jetzt das große Problem in Deutschland ist, dass ja viele Wähler, viele Bürger, die unzufrieden sind, AFD wählen. Und jetzt macht man das einfach so, wenn man in der herrschende Klasse ist, man sagt: AFD, das sind alles Nazis und Rechtsextreme und die sind inakzeptabel. Und die großen Parteien sagen, mit denen machen wir nicht mit und die haben ja teilweise praktisch die Mehrheit in östlichen Ländern. Das hat überhaupt nichts damit zu tun, ob diese Parteien rechtsextrem sind oder nicht. Das wären genau die Parteien, die eine Loslösung aus dieser Kolonialherrschaft anstreben würden. Die AFD hat große Zuläufe, großen Zugang. Ich glaube, der Stimmenanteil der AFD wird sich erhöhen und es geht gar nicht um die Frage, ob die rechtsextrem sind oder nicht. Wenn Sie das Parteiprogramm lesen, sehe ich da überhaupt nichts Rechtsextremes. Denen wird einfach dieser Label gegeben.
Und die großen Parteien, das heißt, jetzt gibt es ja nur noch eine Partei, die größer ist, die CDU/CSU, die sagen einfach, wenn Sie das wählen, sind Sie ein Nazi und mit denen koalieren wir nicht. Das hat nichts mit dem zu tun, was sie denken über die AFD. Das hat nur damit zu tun, die eigene Macht zu erhalten. Das ist komplett lächerlich.
Aber ich bin aus verschiedenen Aspekten mit Andreas einer Meinung. Da wird sich... Also, ich weiß nicht, was passieren müsste, dass sich da irgendetwas ändert. Ich sehe da keinen Hoffnungsschimmer. Das muss ich sagen.
Marina Zakamskaya:
Aber was glauben Sie, woher kommt diese Eigenschaft von Deutschen eigentlich, alles zu ertragen, bis es zu spät ist?
Andreas Mylaeus:
Ich weiß nicht, ob das eine deutsche Eigenschaft ist. Wenn ich mir das psychologisch überlege: Was passiert, wenn die Menschen in Bedrängnis kommen, wie reagieren sie dann? Es gibt sicher welche, die sich dann auflehnen und überlegen, wo kommt die Ursache eigentlich her? Wer ist eigentlich der, der da uns die Probleme macht?
Aber wenn sie z.B. jetzt unsere deutschen Gewerkschaften anschauen: Wir haben jetzt diese Situation: Aufgrund der ganzen politischen Situation, die wir haben, Nord Stream-Sprengung, die ganze Wirtschaftsmisere, die wir haben usw., gehen deutsche Firmen weg. Volkswagen ist ein Herzstück der deutschen Exportindustrie. Wenn Volkswagen Schmerzen hat, dann merkt es die ganze Republik. Und jetzt werden bei Volkswagen Leute entlassen – Tausende. Und die Gewerkschaften versammeln sich vor dem Vorstandsgebäude mit Trillerpfeifen und schimpfen auf den Vorstand und sagen, der Vorstand soll aber die Arbeitsplätze erhalten. Und keiner von den Führern der Gewerkschaft stellt überhaupt nur die Frage: Wie kommt es dazu? Sollten wir nicht eine Stufe weiter oben anfangen mit dem Problem?
Das machen die Menschen nicht. Sie zucken und gucken, wo ist mein Problem? Ich habe kein Geld! Von wem sollte ich es bekommen? Also schimpfe ich auf den und dann kriege ich keins und: „Oh je, jetzt bin ich arbeitslos!“ Und dann verkrümeln sich die Leute und es kommt kein Aufstand. Dieser revolutionäre Impuls aus dem Elend wird nicht passieren.
Peter Hänseler:
Das ist schon ein großer Unterschied zu den Schweizern. Du hast ja lange in der Schweiz gewohnt – und er spricht perfekt Zürichdeutsch, das beeindruckt. Das ist der einzige Deutsche, den ich kenne, der das kann... Die Schweizer – das weiß ich auch nicht, woher dass das kommt – ich bin jetzt zwar Schweizer, aber ich weiß es auch nicht woher – wir sind irgendwie skeptischer, etwas skeptischer, und etwas anarchistischer eingestellt. Ich glaube, wir würden schneller reagieren. Außenpolitisch gesehen fahren wir ja mehr oder weniger die gleiche, nicht mehr oder weniger, leider wirklich in die gleiche Richtung und die gleiche von den gleichen Befehlshabern aus Washington und Brüssel. Aber so lange würden die Schweizer nicht zuschauen. Das glaube ich schon.
Das ist wirklich was... Das ist schon was Deutsches, diese... Ihr habt so eine Obrigkeitshörigkeit. Das ist in der Schweiz weniger der Fall. Es wird schwieriger, wir werden auch staatsgläubig. Aber die Obrigkeitshörigkeit, die Staatsgläubigkeit der Deutschen, die sind schon bedeutend höher angesiedelt. Und das Vertrauen auf den Staat – ich habe einen guten Freund in der Schweiz. Er ist auch ein Deutscher, der ist jetzt Schweizer, der seit über 20 Jahren in der Schweiz wohnt und wir sind beide Anwälte und wenn wir jeweils Probleme diskutieren – er hat jetzt natürlich auch einen Gesinneswandel gehabt in letzten paar Jahren, aber der Glaube an die Führung, der Glaube an den Gesetzgeber, der ist in Deutschland schon sehr ausgeprägt. Aus der Froschperspektive eines Schweizers ist das auffallend.
Marina Zakamskaya:
Ich muss sagen, ich habe auch dieses Gefühl gehabt, als ich in Deutschland gelebt habe, das der Glaube der Deutschen z.B. an die demokratischen Institution wirklich sehr stark ist. Aber glauben Sie, dass die Deutschen wirklich nicht realisieren was passiert oder sie wollen nicht realisieren, wo das Problem wirklich liegt?
Andreas Mylaeus:
Also ein Großteil der Bevölkerung wird so von der Propaganda gehirngewaschen, dass sie nicht auf die Idee kommen, wo wirklich die Probleme sind. Die Menschen sehen es eigentlich nicht. Sie leiden dran, ja. Wenn Sie bei uns in unserem Dorf die Tafeln sehen – ich weiß nicht, ob ob sie das kennen: Wenn arme Leute Nahrungsmittel gespendet bekommen. Die Anzahl der Menschen, der armen Menschen in Deutschland, die auf Nahrungshilfe angewiesen sind, die steigt und man sieht es überall. Aber die Menschen schimpfen, sie schimpfen vielleicht auf die Regierung. Aber den gedanklichen Hintergrund, was sich da wirklich abspielt, haben sie nicht. Sie haben den intellektuellen und den politischen Überblick nicht. Die Propaganda wirkt so stark, dass sie das überhaupt nicht in den Griff kriegen und dann sind wir beim Psychologen, der sagt: Ja, aber um das Denkvermögen wirklich in Gang zu kriegen, braucht man schon ein gewisses Werkzeug im Gemüt und die meisten Menschen in Deutschland sind doch sehr brav und deshalb ist das sehr schwer.
Ich habe einen Verwandten aus dem Geschäftsbereich. Wenn ich ihm z.B. einen Artikel schicke vom Blog von Peter oder andere – ich mache ja viele geopolitische Analysen, die ich dann verschicke und ich schicke ihm das und weil wir verwandschaftlich verbunden sind, ist er dann so freundlich und sagt: Ja, interessant. Und dann schickt er mir einen Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen oder aus der Zeit, wo dann auf einer ganzen Seite im illustrierten Teil dargestellt wird, was Putin für einer ist. Ja und dann kommt die ganze Geschichte vom KGB Agenten, der Deutschland ins Unglück stürzen will, und dieser ganze Müll wird in die Köpfe der Menschen transportiert und der glaubt das. Der glaubt das.
Marina Zakamskaya:
Aber warum? Was denken Sie, warum funktioniert diese Propaganda so effektiv in Deutschland?
Andreas Mylaeus:
Weil die Menschen das Denkvermögen nicht trainiert haben. Sie haben nicht gelernt, wenn eine Meinung besteht, die autoritär vorgetragen wird, dann auch auf die andere Seite zu schauen. Dieser Reflex ist nicht da. Der Wunsch, genauer zu schauen, wissenschaftlicher genauer das zu untersuchen, der ist nicht gelegt. Der ist nicht entstanden und unsere Schulen sind nicht so eingerichtet. In den Familien gilt das Prinzip des Glaubens. Der Vater sagt: „So ist es!“ Und der Bub muss es glauben und dann stellt man sich in Frage. Der Vater müsste anders reagieren: Der Sohn z.B. sagt: „Ja aber, warum?“ Und der Vater sagt: „Ja, das weiß ich jetzt auch nicht so genau. Jetzt müssen wir vielleicht mal schauen. Jetzt gucken wir mal ins Lexikon und dann schauen wir uns diese Meinung an und diese und dann werden wir das schon rausfinden.“ Dieser Forschungsprozess, der dem Kind schon anerzogen werden müsste, findet nicht statt. Es wird einfach gesagt: „So ist das und das hast du zu schlucken und Ruhe ist!“ Und wenn nicht, dann wird geschimpft. Das ist ein psychologischer Vorgang. In der Erziehung, da geht das schief.
Und das ist eben offenbar in anderen Kulturen anders und ich bin sehr gespannt, wenn ich dann wirklich mehr Einblick bekomme – ich habe ja jetzt überhaupt keinen – aber dass in Russland das anders ist, dass da die Erziehung und auch die Schule wieder so, wie das in der Sowjetunion eigentlich war, dass das Schulsystem interessanter war als unser westliches und dass man vielleicht jetzt anfängt wieder das Schulsystem ein bisschen mehr in diese Richtung auch wieder aufzubauen. Aber da gehe ich schon auf die Äste hinaus, wo ich eigentlich noch gar nichts zu suchen habe, weil ich das ja doch gar nicht kenne.
Marina Zakamskaya:
Nein, aber das ist eigentlich ein sehr interessantes Thema. Ich habe es selber erlebt, dass ich mit Deutschen geredet habe über das Bildungssystem und ich habe tatsächlich sehr viele Unterschiede bemerkt, dass z.B. die Russen also in den Universitäten und auch in den Schulen, sie lernen auch ganz viele Fächer sozusagen, die vielleicht nicht so wichtig für den Beruf sind. Z.B. ich möchte Anwalt werden, aber ich muss trotzdem Literatur studieren. Ich muss die Weltgeschichte lernen und das ganze und ich glaube das beeinflusst auch trotzdem das Verhältnis zum Beruf in der Zukunft. Z.B also wir haben schon Diplomatie erwähnt und ich habe das Gefühl, dass unsere Diplomaten in diesem Sinne auch manchmal anders sind, weil sie auch...
Peter Hänseler:
Eure Diplomaten haben eine Ausbildung. Ja, das hilft! Wenn Sie ein Restaurant eröffnen und kochen können, ist das auch ein Vorteil, oder? Aber bei uns sind die Diplomaten ja nicht ausgebildet. Das ist also in Deutschland ganz extrem. In Amerika, wenn Sie eine große Spende machen für die Präsidentschaftswahl, dann kriegen sie ein – weiß nicht was – Sie hatten eine Marketing Agentur und haben ein paar hundert Millionen verdient und jetzt haben sie dem Herrn Trump ein großen Scheck geschickt und dann sagt er: „Ja, was willst Du dafür?“ – „Ja, ich will Botschafter in der Schweiz werden.“ Du wirst der Botschafter in der Schweiz. Der hat früher irgendwas verkauft, wird Botschafter in der Schweiz. Das ist in Russland absolut ausgeschlossen.
Marina Zakamskaya:
Vielleicht ein bisschen mehr zu Propaganda. Glauben Sie, dass es in Deutschland auch irgendwie gefördert wird, alternative Meinungen zu beschimpfen, bzw. dass die Leute vielleicht Angst haben, nicht akzeptiert zu werden, wenn Sie eine andere Meinung haben?
Andreas Mylaeus:
Ja, unbedingt, unbedingt. Unser ganzes politisches System in Deutschland ist ja so, dass die die Parteien dafür sorgen, dass alternative Meinungen oder kritische Meinungen schon beim Aufstellen der Kandidaten in der Parteiliste aussortiert werden, wenn man eine andere Meinung hat. Ein gutes Beispiel dafür habe ich gerade jetzt letzte Woche erfahren. Diese Alternative für Deutschland, die jetzt als Alternative zur westlichen deutschen Politik betrachtet wird, die auch mehr Stimmen bekommt jetzt und wo man schon die Hoffnung haben könnte – manche Kommentatoren sprechen davon, dass das ein Hoffnungsschimmer für Deutschland sei – diese Partei beginnt gerade damit, die Spitze der Partei und die Kader der Partei auszusortieren, damit sie stromlinienförmiger sind, damit sie mehr zum politischen System passen.
Da geht es jetzt nicht um die Rechtsextremen, um die Leute, die da irgendwelche Naziparolen brüllen und in den Kneipen irgendwelche dummen Sprüche sagen. Um die geht es nicht, sondern es geht um die Intellektuellen, die tatsächlich kritisch und informiert andere Meinungen vertreten. Da war einer aus dem Bundestag, der jetzt in Russland Kontakte versucht hat aufzubauen und mehr Beziehung zwischen Deutschland und Russland herzustellen und der wurde von der AFD Parteispitze dafür scharf kritisiert, dass er ohne die die Erlaubnis der Partei, Parteivorstandes solche Reisen unternimmt, eigeninitiativ etwas zu verbessern an der Situation und solche Leute werden aussortiert. Der ist zwar in den Bundestag gewählt, aber ihm droht das Parteiausschlussverfahren und das ist unser System.
Da geht es nicht bloß darum, dass die Bevölkerung vielleicht falsch informiert wird. Sondern das politische System sortiert kritische Gedanken aus. In den Blockparteien – in den Blockflöten hat es früher geheißen – da wird alles stromlinienförmig nach oben transportiert und selbverständlich funktioniert das nach dem Drehbuch aus Langley. Da gibt es keine deutsche eigene Idee. Das sind alles Drehbücher für die Marionettenspieler, dass die Puppen, die da unten stehen, dass das auch die richtigen sind und ja nicht was Falsches sagen und das ist unser deutsches politisches System und da wird sich nichts ändern solange nicht – ich sage jetzt mal – BRICS und die ganze internationale Gemeinschaft diesem Hegemon einmal den Stecker zieht. Und den Stecker zieht man finanziell. Und da sind sie ja gerade dran, ein alternatives Finanzsystem zu schaffen, damit diese Macht dann mit der Zeit irgendwann einmal bröselt. Und dann werden in Deutschland auch einmal irgendwann die Lichter ausgehen und dann muss man dann von unten wieder neu aufbauen.
Aber sonst sehe ich da jetzt keine große Hoffnung.
Marina Zakamskaya:
Aber diese Politiker, die sie erwähnt haben, die da oben sind und die praktisch alternative Meinungen aussortieren, glauben die wirklich daran, dass ihre Position so richtig ist oder haben sie einfach Angst, Macht zu verlieren?
Andreas Mylaeus:
Beides. Man müsste mit den einzelnen einmal unter vier Augen sprechen, nach drei Gläsern Wein, ob er das wirklich glaubt oder nicht. Dann könnten Sie das vielleicht erfahren. Aber am Schluss des Tages ist es eigentlich egal. Denn viele von den Leuten in den Parteien leben davon. Wir haben ja in Deutschland keine Korruption! Bitte nicht! Die haben wir nicht! Sondern, die Politiker leben einfach vom System und „wehe du!“ Der muss doch seine Kinder durch die Schule bringen. Wie soll er seine Hypotheken denn bezahlen, wenn er den Job verliert? Er wird aussortiert...
Also fängt er an – und das ist psychologisch interessant. Das finden wir beim Alfred Adler. Der Mensch weiß, dass es so ist. Aber er will nicht, dass es so ist, weil das Ziel ist: Ich muss ja irgendwie meinen Weg machen. Und dann fängt der Mensch an, sein eigenes Gedächtnis auszublenden. Er vergisst, dass er das gewusst hat. „Nein, das glaube ich... Habe ich das vorgestern gesagt? Nein, das kann nicht sein. Nein, nein. Ich glaube das jetzt.“ Dann können sie den Menschen fragen: „Weißt Du, glaubst Du das oder glaubst Du das nicht?“ – „Gestern wusste ich es, heute weiß ich es nicht mehr.“ Sie haben ein solches System, wo die Menschen so abhängig sind, dass sie nicht klar denken können.
Marina Zakamskaya:
Jetzt kommen wir zur wichtigsten Frage für mich eigentlich.
Die meisten Deutschen, also laut den aktuellsten Umfragen, verstehen doch, was nächstes Jahr kommen kann und sie sind dagegen, den Krieg in der Ukraine fortzusetzen. Sie sind gegen die Waffenlieferungen. Wie kann das sein, dass Friedrich Merz eigentlich der beliebteste Politiker, also der beliebteste Kandidat heutzutage ist. Wie ist es dazu gekommen?
Peter Hänseler:
Ich mache das nicht aus deutscher Sicht. Wenn sie Deutschland von außen sehen: Also der Wirtschaft geht es wirklich schlecht und der Mensch hat die Tendenz, wenn es dann irgendwo langsam ein Problem gibt im Portemonnaie, oder es gibt Angst, dass man den Job verliert und – wie Andreas gesagt hat, das bezieht sich ja nicht nur auf die Politiker. Das bezieht sich ja auf jeden, dass du dort dein Haus hast mit der Hypothek und das willst du nicht verlieren. Du hast eben Familie mit zwei Kindern und weiß ich was und so. Es ist absolut menschlich. Die schauen an: Wer wird meinen Job sichern? Und dass die CDU/CSU, die große Nachkriegspartei, selbstständlich prädestiniert dafür ist, das glauben die Leute. Viele Leute glauben, dass Herr Merz die wirtschaftliche Sicherheit geben kann. Das ganze Geopolitische, da sind sie zwar nicht einverstanden damit. Aber das eigene Portemonnaie, die eigene Geldbörse, die ist einem am nächsten.
Und ich meine, das Paradebeispiel für dieses Wahlverhalten ist Adolf Hitler. Adolf Hitler hat den Deutschen versprochen: Keine Arbeitslosigkeit mehr und die Wirtschaft wird sich gut entwickeln! Und das hat er am Anfang dann auch – also mit geborgtem Geld – aber das hat er ja verwirklicht. Das heißt, die Leute wählen nach ihren eigensten Interessen und daher das ist einer meiner Gründe, wenn ich jetzt das von außen anschaue und jetzt kommt Andreas, und Du machst das jetzt aus deutscher Warte. Ich weiß nicht, das ist meine Warte, wenn ich das von außen anschaue, ist das wahrscheinlich die einzige Begründung die Sinn macht – weil für Sie als Russin macht das offensicht keinen Sinn. Jetzt bist du dran!
Andreas Mylaeus:
Man muss auch da wieder unterscheiden: Was denkt, was will die Bevölkerung? Was wollen die Durchschnittsmenschen und die verschiedenen Schichten innerhalb der Gesellschaft und was wollen welche Eliten? Was wollen die politischen Eliten? Was wollen die wirtschaftlichen Eliten? Die Meinungen gehen da sehr auseinander. Ich kann das nicht unterstützen, dass Friedrich Merz so beliebt sei oder unbedingt als Hoffnung angesehen wird. Das kann ich nicht sehen. Sondern es ist ähnlich wie in Amerika: Man wählt dann das kleinere Übel.
Aber es ist ja offensichtlich, was Herr Hänseler schon gesagt hat: Die deutsche Wirtschaft ist ja wirklich am Abserbeln. Ich meine, die Wirtschaftspolitik war katastrophal. Gerade diese ganze Energiewende und dieses ganze Zeugs ist ja furchtbar für Deutschland und wenn jetzt da eine Alternative käme... Da gibt es Kreise in der deutschen Wirtschaft, die denken: „Na ja, also dann schaffen wir uns wenigstens den Habeck vom Hals und vielleicht gibt es dann eine große Koalition. Mit Scholz kann man ja noch wenigstens irgendwie klar kommen – mit ihm persönlich nicht, aber mit der anderen zweiten großen Partei – dann kann man vielleicht noch retten, was zu retten ist. So, in diesem Sinn. Aber Euphorie ist da nirgends.
Ich meine... Die Wirtschaft ist ja so, dass... Ich meine, stellen Sie sich mal vor: BASF, die große Chemiefirma, die eine Stütze der deutschen Wirtschaft ist, eines der Zentren, verlagert seine Produktion nach China. Was soll die deutsche Politik dann noch machen, damit die Verhältnisse sich ändern sollen?
Die deutsche Wirtschaft will dann mehr Kredite. Dann geht es um die Frage: Soll man noch mehr Schulden machen und die Wirtschaft noch mehr finanzieren, noch mehr subventionieren? Der Staatshaushalt geht kaputt. In Amerika geht das durch die Decke. Die Amerikaner merken langsam, dass das ganze tönerne Gebäude bröselt, und das sollen wir jetzt nachmachen?
Aber sie sehen keinen Ausweg. Es gibt kaum einen Ausweg. Also natürlich, die Wahl wird wahrscheinlich schon so sein, dass dann da Merz als Kandidat gekürt wird, als Kanzlerkandidat. Aber Euphorie ist in Deutschland da keine.
Marina Zakamskaya:
Was bedeutet das für Deutschland für die nächsten vier Jahre?
Andreas Mylaeus:
Ja, weiter wie bisher. Weiter mit Volldampf auf den Abgrund zu. Wir werden keinen Frieden bekommen. Nicht mit dieser Regierung.
Frieden in Europa werden wir nur bekommen, wenn es sich in Amerika wirklich durchsetzt, dass Oreschnik Ernst ist. Vorher wird das keinen Frieden geben in Europa und sie werden alles versuchen, Russland so zu schwächen, damit die Situation so weitergeht wie bisher. Und in Deutschland gibt es keine ernsthafte Gegenwehr dagegen. Leider.
Marina Zakamskaya:
Sind Sie damit einverstanden?
Peter Hänseler:
Leider. Ja, praktisch einverstanden. Wenn wir uns einig sind, dass die Deutschen, dass Deutschland eine Kolonie der Amerikaner ist, dann hängt das also davon ab, ob Donald Trump überhaupt die Außenpolitik der USA verändern will. Das nehme ich ihm wenigstens bezüglich Europa ab, bezüglich dem Nahen Osten ganz sicher nicht. Und ob er es kann. Das ist ein Deep-State-Problem. Noam Chomsky hat ja gesagt, seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich die Außenpolitik der Vereinigten Staaten nie geändert, ganz gleich ob ein Demokrat oder ein Republikaner an der Macht war, weil die amerikanischen Präsidenten sind am Schluss eben auch fast nur Marionetten, die ein schönes großes Flugzeug und ein Weißes Haus haben in Washington. Aber die haben auch nicht viel zu sagen.
Das Bewusstsein im Westen sollte da sein, dass die wirklichen Kräfte und die wirklichen Mächte in den Vereinigten Staaten vom Deep State, also aus dem Hintergrund von nicht gewählten Menschen, die sehr viel Geld und politische und militärische Macht haben, gelenkt werden. Und der Deep State ist eben nicht nur in Amerika. Der ist überall zu Hause und Herr Merz ist ja eine Verlängerung des amerikanischen Deep State.
Also ich bin leider, leider, mit ihm einer Meinung. Das wird keine Besserung bringen.
Marina Zakamskaya:
Damit wir nicht in so einer pessimistischen Stimmung das Gespräch beenden, was würden Sie den Deutschen dann für das kommende Jahr wünschen?
Andreas Mylaeus:
Na, das es tatsächlich soweit kommt, dass sich die Erkenntnis wirklich durchsetzt, dass nur Frieden und Kooperation in Europa mit allen Nachbarn eine Lösung der Probleme bringen kann. Das würde ich mir wünschen. Aber das ist ein frommer Wunsch. Ich bin aber doch durchaus der Meinung, dass sehr viele in der deutschen Bevölkerung diesen Wunsch teilen. Darauf kann man schon bauen. Aber die Kräfte, die das jetzt im Moment verhindern, sind so stark, dass es sehr schwierig wird für Deutschland und es braucht sehr viel Ausdauer auf der anderen Seite.
Wir haben diesen Spruch in Deutschland, wir sagen: Der friedlichste Nachbar kann nicht in Frieden leben, wenn es dem Nachbarn nicht gefällt. Und Russland hat einen solchen Nachbarn, der keinen Frieden will. Und da braucht man die Ausdauer und ich persönlich setze meine Hoffnung darauf, dass da die Hartnäckigkeit besteht, dass das tatsächlich hält, dass sie das durchziehen, so wie sich jetzt das ja anbahnt. Das ist die Hoffnung.
Marina Zakamskaya:
Glauben Sie auch daran?
Peter Hänseler:
Ja, also ich bin als geborener Mensch mit gewissen anarchistischen Zügen: Ein Aufruf zum Ungehorsam, zum Ungehorsam im kleinen, dass man sich nicht weiter duckt in der Familie, im Schießverein, im Gesangsverein, im Geschäft, sagt, was man denkt, und sich nicht weiter scheut davor, seine Meinung zu sagen. Das ist das größte Problem. Weil, wenn Sie eine Änderung wollen, dann müssen sie eine Diskussion anfachen und die findet nicht mehr statt. Das ist ja das große Problem.
Wenn Sie in einer in einer Bank – das betrifft selbstverständlich auch die Schweiz – also, wenn Sie einen Job haben, der relativ gut bezahlt ist, nehmen wir an, in einer Bank – es ist jetzt gleich wo – und Sie eine andere Meinung, geopolitisch andere Meinung vertreten, sind Sie den Job los. Und das ist der Aufruf zum Ungehorsam im kleinen, dass die Leute wieder miteinander diskutieren, dass man akzeptiert: Ich habe eine andere Meinung wie Sie, aber lassen Sie uns das diskutieren. Dass diese Angst, dass man schweigen muss, dass das weggeht. Ich glaube, das wäre die erste Stufe.
Weil ganz oben – da bin ich einverstanden mit Andreas – da nichts zu machen ist.
Andreas Mylaeus:
Vielleicht noch als Hoffnungsschimmer: Ich trage das immer so in meinem Gemüt spazieren. Da sage ich: „Ex oriente lux“ – aus dem Osten kommt das Licht – also BRICS und die Partner werden eine bessere Welt schaffen für uns. Das ist unsere Hoffnung.
Marina Zakamskaya:
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Peter Hänseler:
Herzlichen Dank für die Einladung.
Andreas Mylaeus:
Ja, herzlichen Dank.
Das Interview auf Deutsch:
Das Interview auf Russisch:
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Man beachte die Logo-Animation als Intro mit dem stilisierten Wappenadler: Das zentrale Symbol der Bundesrepublik (es geht auf das römische Reich und das Heilige Römische Reich zurück und wurde später vom Deutschen Kaiserreich sowie der Weimarer Republik übernommen) zerstört mit einem Laserstrahl die Energie-Souveränität der Bundesrepublik – ein selbstmörderischer Akt im Auftrag des Kolonialherrn – und installiert anschließend einen Piraten, der die Kolonie kapert.
Die Videobeschreibung: Die Gesprächspartner in diesem Video sind Andreas Mylaeus und Peter Hänseler.
Mylaeus wurde in Deutschland geboren. Nach dem Abitur studierte er in Freiburg, Köln und München Jura und schloss die Zweite Juristische Staatsprüfung ab. Außerdem studierte er an der Universität Zürich Psychologie und Psychopathologie und schloss dieses Studium mit dem Lizentiat ab. 1983 promovierte er (Dr. iur.) in München und führte danach eine eigene psychologische Beratungspraxis in Zürich. Nachdem er 1995 nach München übergesiedelt war, arbeitete er als Partner in einer Anwaltskanzlei in München, ab 2006 als Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht. Seit 2015 ist er freier Analyst für internationale Beziehungen.
Hänseler stammt aus Zürich, ist Rechtsanwalt, Manager, Unternehmer und ein leidenschaftlicher Reisender. Er studierte US-Recht an der Georgetown University und arbeitete später in einer New Yorker Anwaltskanzlei. Zum ersten Mal kam er 1997 aus beruflichen Gründen nach Russland, aber eine Geschäftsreise endete mit einem Umzug. In den letzten Jahren schreibt Hänseler in seinem Blog "Stimme aus Russland" in drei Sprachen über aktuelle geopolitische Themen.