Demokratie unter Beschuss: Donald Trump und der apokalyptische Populismus
Sie sagt u.a.:
«Beschuldigen nun all diese weißen Trump-Wähler Minderheiten und Migranten für ihre eigene empfundene Erniedrigung oder den Niedergang des Landes? Nein. Allerdings machte es ihnen die Trump-Kampagne allzu leicht, eine Verdrängung der eigentlichen Ursachen ihrer Lage vorzunehmen – ganz im Sinne von Nietzsches Überlegungen zum Ressentiment oder jenen Freuds zur narzisstischen Kränkung. Sie verlangen geradezu nach einem beliebigen Objekt, auf das die eigene Erniedrigung und das eigene Leid projiziert werden können.»
Oder an anderer Stelle:
«Ich beginne mit den „ängstlichen Autoritären“. Wer von autoritärer Herrschaft angezogen wird – das zeigen sozialwissenschaftliche Studien – verspürt tiefere Ängste als der Rest der Wählerschaft. Die Autoritären fürchten insbesondere die Unordnung und die Veränderungen, die etwa vom Feminismus, von queeren Menschen oder vom Multikulturalismus ausgelöst werden, aber auch von technologischen Entwicklungen, vom Finanzsektor und von der Globalisierung. Aber sie fürchten auch Fremdartigkeit und Bedrohungen, etwa in Gestalt des sogenannten Islamischen Staates oder von Migranten.
Die „ängstlichen Autoritären“ fühlen sich daher besonders von Angst machenden Darstellungen angesprochen, in denen die Welt als chaotisch und gefährlich erscheint – und in denen sie von Drogen, Kriminalität und Terror bedroht sind, aber auch vom rasanten Wandel unmittelbar vor der eigenen Haustür, in der Nachbarschaft, im eigenen Land, in ihrer Ethnie oder ihrer Psyche. Sie sehnen sich nach Recht und Ordnung, zugleich aber wollen sie all das, worauf Trumps Kampagne gründete: Stärke, Entschlossenheit und die Bereitschaft, Gewalt einzusetzen. Politisch und sozial stellen diese Menschen Schutz und Stabilität, die Macht und Hierarchien bieten, über alles. Was sie nicht schätzen, sind demokratische Verfahren oder Institutionen.»
(…)
«Schauen wir uns die zweite Gruppe an: die apokalyptischen Populisten. Für die Grollenden und Gedemütigten, die ich auch die „sozial Kastrierten und Wutentbrannten“ nenne, sind Furcht und Gefahr nicht das leitende Motiv. Sie streben vielmehr offen die Wiederherstellung – oder zumindest Bestätigung – ihrer weißen Ansprüche an, selbst wenn sich diese materiell nicht wiederherstellen lassen und sie das letzte sein sollten, was sie noch besitzen, während die Welt um sie herum untergeht.»
(…)
«Trump bestärkte politisch und persönlich den Anspruch, ein Rüpel und ein Bombenwerfer zu sein, weil Rüpelhaftigkeit und Bombenwerfen das Vorrecht weißer Männlichkeit sind, wie wenig diese auch sonst noch besitzen mag. Es ist wichtig festzuhalten, dass keine andere Gruppe in den Vereinigten Staaten – weiblich, braun, schwarz oder queer – sich öffentlich so ausdrücken und gebärden könnte wie Trump, ohne sich der Lächerlichkeit preiszugegeben, ohne pathologisiert und zensiert sowie vermutlich kriminalisiert und weggesperrt zu werden.
Ein solches Sprechen und Verhalten ebnet einer bestimmten Form weißer Vorherrschaft erneut den Weg. Indem Trump auf diese Weise kriegerische weiße Männlichkeit und kriegerisches Amerikanischsein re-legitimierte, hat er diese zugleich wieder miteinander verwoben. Sein klassisch populistischer Schlachtruf verkündete: „Ihr allein seid die echten Amerikaner. Ihr seid weit davon entfernt, vergessen zu sein. Ihr seid Amerikas Kern!“ Daher verkennt das Kopfzerbrechen liberaler Kommentatoren darüber, wie Trumps unkontrollierte Impulse und seine Ignoranz eigentlich ein Versprechen auf Ordnung und Schutz verkörpern konnten, dass gerade Trumps Schamlosigkeit die Wunde kastrierter weißer Männlichkeit im 21. Jahrhundert linderte. Und es verkennt die Provokation, die Hillary Clinton darstellte: Sie ist eloquent, smart, kenntnisreich und stark. Sie ist leidenschaftlich, wenn auch konventionell feministisch. Und sie geht in der Welt von Macht, Wissen und Verbindungen ein und aus. Sie verkörpert all das, wovon sich diese Gruppe entthront und kastriert fühlt. Und darum hasst sie Clinton so sehr.»
(…)
«Also: Furcht und Gefahr für die Autoritären; Rüpelhaftigkeit, Kampfeslust und politische Inkorrektheit für die grollenden, wütenden weißen Kerle; und dann, für die dritte Gruppe, die sozioökonomisch Frustrierten, die Bilder von „Gemetzel und Untergang“, verloren gegangenen Jobs und „abgewrackten Städten“, dieser sich aus entthrontem Weißsein speisenden Strömung, die völlig verzweifelt ist über ihren ökonomischen Niedergang und ihre Entwurzelung.»
(…)
Und meine letzte Frage, mit der wir uns derzeit alle beschäftigen, lautet: Wie können wir in diesen Zeiten linke Ziele erreichen? Wie etwa können wir einen moderaten Egalitarismus fördern, die größten Ungerechtigkeiten, die schlimmsten Leiden und die brutalste Gewalt beseitigen? Wie erhalten wir eine Aussicht auf eine selbstverwaltete, nachhaltige und demokratische Produktions- und Konsumweise? Diese Ziele stehen im Widerspruch zur neoliberalen Vernunft und dem Nihilismus, der aus ihr spricht. Zentristen und Realisten, Rechte und Autoritäre verhöhnen derlei Ziele gleichermaßen. Tatsächlich würden sie das Ende einer sehr langen Geschichte bedeuten, in der Weißsein mit Privilegien und Macht verbunden war. Diese Ziele zu erreichen, stellt auf globaler Ebene eine immense Herausforderung dar – und bereits auf lokaler Ebene sind sie nach ihrer Umsetzung überaus prekär. Aber sie müssen verwirklicht werden – global und lokal zugleich.
In der Tat: Niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit war ein Wandel der sozialen, politischen und ökonomischen Verhältnisse komplexer und schwieriger zu erreichen als der von uns angepeilte. Und zugleich bedurfte es niemals zuvor dringlicher eines solchen Wandels, um die Zukunft dieses Planeten und des Lebens auf ihm zu sichern.
Nachfolgend finden Sie Wendy Browns Vortrag in ungekürzter Fassung sowie auf https://www.blaetter.de/aktuell/democracy-lecture-2017 können Sie sich zudem die Videoaufzeichnung der Veranstaltung (siehe: https://www.blaetter.de/aktuell/democracy-lecture-2017) anschauen.
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