Alastair Crooke: Die Wiedergeburt der Irgun von 1948*?
© Foto: Public domain
Die Wegweiser sind für alle lesbar: Wenn der Westen diese eindeutigen Zeichen bewusst übersieht, kann er sich nicht beschweren oder den daraus resultierenden Konsequenzen entgehen.
Nein, das "Zinn-Ohr" [“tin ear“**] ist keine neue westliche Geisteskrankheit – ein einzigartiger Massenzusammenbruch der Vernunft –, die wir gerade erleben. Es ist etwas Schlimmeres: eine Rückkehr zu einer dogmatischen, autoritären Version der Wahrheit, die, wie der Physiker Eric Weinstein beklagt, (im Westen) auch die wahre Wissenschaft zerstört hat – indem sie ihre wichtigsten abweichenden Stimmen ignoriert und zum Schweigen bringt, während sie die Betrüger der Wissenschaft reichlich belohnt.
Man bedenke: Premierminister Netanjahu sprach am 24. Juli vor dem US-Kongress und sagte in manichäischer Manier, dass der Westen mit einer "Achse des Bösen" (Iran und Verbündete) konfrontiert sei, und die USA müssten mithelfen, sie zu vernichten. Es war ein Aufruf zur Teilnahme an einem zivilisatorischen Krieg.
Seine Einladung wurde mit 58 stehenden Ovationen von US-Parlamentariern gefeiert.
Netanjahu kehrte nach Hause zurück und sah eine Katastrophe in der drusischen Gemeinde auf dem Golan. Dort waren Raketensplitter eingeschlagen, die viele fußballspielende Kinder getötet und verletzt haben (die genauen Umstände sind noch unklar). Die westliche Vernunft ist jedoch durchaus in der Lage, erstens zu folgern, dass Majdal Shams im besetzten Syrien liegt; zweitens, dass die drusische Gemeinde dort nach wie vor überwiegend syrisch ist (und die israelische Staatsbürgerschaft ablehnt) und weitgehend pro-syrisch eingestellt ist. Und dass sie weder Juden noch Israelis sind. Der Westen scheint jedoch nicht in der Lage zu sein, die weitere sehr offensichtliche Schlussfolgerung anzuführen: Warum um alles in der Welt sollte die Hisbollah absichtlich eine syrische Gemeinschaft auf syrischem Boden angreifen, die weitgehend mit dem Widerstand sympathisiert?
Das würden sie nicht tun. Doch diese offensichtlichen Tatsachen werden von einer Rationalität völlig ignoriert, die, wie Weinstein andeutet, aktiv den Betrug der Wahrheit vorzieht. Pressesprecher Kirby sagte, die Hisbollah habe Kinder in Nordisrael angegriffen.
Israels Verteidigungsminister sagt wiederholt: "Wir wollen keinen Krieg." Westliche Führer plappern dasselbe Mem nach: Keiner will Krieg. "Wir sind völlig zuversichtlich, dass Israels Antwort begrenzt und auf militärische Ziele beschränkt sein wird." Das Weiße Haus: "Unserer Ansicht nach gibt es keinen Grund für eine dramatische Eskalation im Südlibanon und es gibt noch Zeit und Raum für Diplomatie."
Also was geschieht dann? Zwei große Attentate: eines in Beirut und das andere in Teheran (d.h. auf einen Gast auf iranischem Hoheitsgebiet). Westliche Führer bringen ihre "Besorgnis" zum Ausdruck. Das Hamas-Ziel in Teheran, Ismail Haniyeh, war, wie der katarische Premierminister feststellte, der wichtigste Verhandlungspartner für die Geiseln im Gazastreifen.
Auch dies wird übersehen, obwohl Netanjahus Absicht, Hamas, Hisbollah und Iran zu einer einzigen "Achse des Bösen" zu verweben – und damit seine These von der gemeinsamen Sitzung des Kongresses zu stützen –, selbst für ein engstirniges Washington offensichtlich sein muss.
Erinnern wir uns an die neue "Gleichung", die auf die Ermordung eines hochrangigen IRGC-Beamten im iranischen Konsulat im April 2024 folgte: Von nun an wird der Iran direkt antworten – und zwar direkt aus dem Iran. Washington sagt, es wolle keinen Krieg mit dem Iran, doch Netanjahu sprach sich ausdrücklich für Letzteres aus. Haben die Abgeordneten seinen Standpunkt nicht verstanden?
Seit fast zehn Monaten ist Israel nicht in der Lage, die Lage an der Nordgrenze zu stabilisieren und die Rückkehr der vertriebenen Israelis in ihre Häuser zu ermöglichen. Selbst wenn der Anschlag in Beirut nicht zu einem größeren Krieg führt, ist die Wiederherstellung einer verhandelten Stabilität an der libanesischen Grenze jetzt außer Reichweite – ebenso wie ein Geiselabkommen für Gaza. "Wie kann eine Vermittlung erfolgreich sein, wenn eine Partei den Verhandlungsführer der anderen Seite ermordet", bemerkte der katarische Premierminister al-Thani wehmütig.
Ebenso "übersehen" wird im Westen, was in Israel am selben Tag geschah, an dem später die Attentate verübt wurden: Rechtsgerichtete Bürgerwehren stürmten aus ihren Siedlungen zwei Militärstützpunkte der IDF. Die anarchischen Szenen der Masseneinbrüche, die von mehreren Mitgliedern der Regierungskoalition angezettelt wurden, von denen einige an den gewaltsamen Eingriffen beteiligt waren, lösten eine wütende Verurteilung durch Verteidigungsminister Gallant aus.
Die Einbrüche wurden von einem Minister und mehreren Knessetmitgliedern unterstützt, die Reservisten befreien wollten, die im Verdacht stehen, einen palästinensischen Häftling schwer misshandelt und zur Sodomie gezwungen zu haben. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen wurde der verletzte Häftling mit schweren Verletzungen, unter anderem an einem intimen Körperteil, in ein Krankenhaus gebracht, weil er nicht mehr laufen konnte.
"Das Spektakel, dass Militärpolizisten kommen, um unsere besten Helden in Sde Teiman zu verhaften, ist nichts weniger als beschämend", sagte Ben Gvir, dessen Ministerium die israelische Polizei und den israelischen Strafvollzugsdienst kontrolliert, über die Erstürmung des IDF-Postens.
Doch das Gesamtbild, das Yossi Melman beschreibt, ist ein anderes:
"Was von Seiten der nationalistischen messianischen Rechten mit der Unterstützung, dem Augenzwinkern oder dem Schweigen von Ministern und MKs der Rechten geschieht, ist ein ‚Putsch‘. Die Jugend, die von den Hügeln des ‚Staates Juda‘ herabsteigt, um mit denselben gewalttätigen Methoden zu agieren, die gegen die Palästinenser angewandt wurden, (aber jetzt) gegen den Staat Israel eingesetzt werden. MK*** Limor Son Har-Malech (Otzma Yehudit) sagte: ‚Das israelische Volk wird gegen Feinde von außen und gegen Feinde kämpfen, die versuchen, uns im eigenen Land zu zerstören‘ [solche wie der Generalstaatsanwalt, der die Folterpraktiken in Sde Teiman untersuchen will]. Das Konzept des Messers im Rücken und des Verrats im eigenen Land erinnert an die Stimmen in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg."
Auch dies wurde übersehen und nicht in den Nachrichten erwähnt: Die Situation in Sde Teiman war weithin bekannt und wurde als "entsetzlicher als alles, was wir über Abu Ghraib und Guantanamo gehört haben" bezeichnet. Ein UN-Bericht hat detailliert beschrieben, wie willkürlich inhaftierte Palästinenser gefoltert und misshandelt wurden. Die Vigilanten aus den Siedlungen bezeichneten die Täter der analen Vergewaltigung dennoch als "Helden" – und bezeichneten die IDF-Ermittler als fünfte Kolonne. Berichte deuten darauf hin, dass die Täter in Sde Teiman hochgradigen Schutz genießen.
Dieser Bericht über systematische Folter folgte auf frühere Enthüllungen, wonach die israelische Armee Zehntausende von Bürgern des Gazastreifens als Verdächtige für die Ermordung markiert hatte, indem sie ein KI-Zielsystem namens Lavender mit wenig menschlicher Aufsicht und einer freizügigen Politik für Opfer einsetzte.
Im gleichen Sinne feierten rechte Kabinettsminister am Mittwochmorgen in den sozialen Medien die Ermordung von Ismail Haniyeh in Teheran: "Dies ist der richtige Weg, um die Welt von diesem Schmutz zu befreien", twitterte Kulturminister Amichay Eliyahu, Mitglied der rechtsextremen Partei Otzma Yehudit von Minister für nationale Sicherheit Itamar Ben Gvir:
"Keine imaginären 'Friedens-'/Aufgabeabkommen mehr, keine Gnade für diese wandelnden Toten. Die eiserne Faust, die sie treffen wird, ist diejenige, die Ruhe und ein gewisses Maß an Trost bringen und unsere Fähigkeit stärken wird, mit denen, die Frieden suchen, in Frieden zu leben. Haniyehs Tod macht die Welt zu einem etwas besseren Ort."
Worin besteht nun diese "Wahrheit", die der Westen ignoriert und die Realität zum Schweigen bringt, während er seine narrativen Betrügereien verstärkt? Das Israel, das sie zu verstehen vorgeben, ist heute etwas ganz anderes. Und dass es eine Denkweise hat, die dem mechanistischen Rationalismus widerspricht.
Eine eschatologische rechte Sekte hat jetzt die Mehrheit im Kabinett – und verfügt über eine Miliz, die bereit ist, das militärische Establishment und den israelischen Staat anzugreifen. Für den Angriff und die Übernahme der beiden Stützpunkte wurde niemand verhaftet. Sie wagen es nicht.
Moshe "Bogie" Ya'alon, ehemaliger Stabschef der IDF, der auch als israelischer Verteidigungsminister diente, sagte dies in einem Videointerview zu den Kräften, die die Macht in Israel übernehmen:
"Wenn man über Smotrich und Ben Gvir spricht: Sie haben einen Rabbiner. Sein Name ist Dov Lior. Er ist der Rabbi des jüdischen Untergrunds, der den Felsendom in die Luft sprengen wollte – und davor die Busse in Jerusalem. Und warum? Um den 'letzten Krieg' zu beschleunigen. Hören Sie nicht, dass sie vom 'letzten Krieg' sprechen, oder von Smotrichs Konzept der 'Unterwerfung'? Lesen Sie den Artikel, den er 2017 in Shiloh veröffentlicht hat. Zunächst einmal beruht dieses Konzept auf einer jüdischen Vormachtstellung: 'Mein Kampf' (sic!) in umgekehrter Form.
Mir stehen die Haare zu Berge, wenn ich das sage – so wie er es gesagt hat.Ich habe gelernt und bin im Haus von Holocaust-Überlebenden und 'nie wieder' aufgewachsen.Es ist 'Mein Kampf' (sic!) in umgekehrter Form:Jüdische Vorherrschaft: und deshalb sagt [Smotrich]: "Meine Frau geht nicht mit einem Araber in ein Zimmer."Es ist in der Ideologie verankert.Und dann strebt er tatsächlich – so schnell wie möglich – einen großen Krieg an.Ein Krieg von Gog und Magog.Wie zündet man die Flammen an?Mit einem Massaker wie der [1994] Höhle der Patriarchen?Baruch Goldstein ist ein Schüler dieses Rabbiners.Ben Gvir hat Goldsteins Bild [in seinem Haus] aufgehängt.
Das ist es, was im Entscheidungsprozess der israelischen Regierung eine Rolle spielt."
Rabbi Dov Lior wurde von Netanjahu aufgrund seines Einflusses und seiner Kontrolle über die Siedlerkräfte als "die Elite, die Israel führt" bezeichnet. Die Irgun von 1948, die sich stark auf die Mizrahim stützte, wird wiedergeboren?
Ist es nicht an der Zeit, dass die westlichen Herrschaftsstrukturen ihre Augen aus ihrer Träumerei erheben und die Runen lesen, die sich überall um sie herum manifestieren? Einige ernstzunehmende Akteure denken nicht so wie ihr Westler; sie streben nach Gog und Magog (die Prophezeiung, dass "die Kinder Israels" in der Schlacht von Armageddon siegreich sein werden). Das ist es, was Sie riskieren.
Quelle: https://strategic-culture.su/news/2024/08/05/the-1948-irgun-re-born/
Die Übersetzung besorgte Andreas Mylaeus
_________________________
Anmerkungen des Übersetzers:
* Irgun, vollständig "Irgun Tzvai Leumi" (National Military Organization), war eine zionistische paramilitärische Organisation, die in Palästina von 1931 bis 1948 operierte. Sie war eine Abspaltung von der Hagana, der Hauptverteidigungsorganisation der jüdischen Gemeinschaft in Palästina, und wurde von Mitgliedern gegründet, die eine aggressivere Vorgehensweise gegenüber den britischen Behörden und den arabischen Gemeinschaften in Palästina befürworteten.
Irgun im Jahr 1948
Im Jahr 1948, während des israelischen Unabhängigkeitskrieges, spielte Irgun eine bedeutende Rolle in verschiedenen militärischen Operationen. Hier sind einige Schlüsselereignisse und -aspekte von Irgun im Jahr 1948:
- Massaker von Deir Yassin (9. April 1948): Irgun, zusammen mit der Lehi-Miliz (auch bekannt als Stern-Bande), führte einen Angriff auf das arabische Dorf Deir Yassin in der Nähe von Jerusalem durch. Dies führte zu einem Massaker, bei dem viele Zivilisten getötet wurden. Dieses Ereignis hat internationale Aufmerksamkeit erregt und bleibt ein umstrittenes und emotionales Thema in der Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts.
- Konflikt um die Kontrolle von Jerusalem: Irgun war aktiv an den Kämpfen um die Kontrolle von Jerusalem beteiligt, einschließlich Operationen zur Verteidigung jüdischer Viertel und Angriffe auf arabische Positionen.
- Begin der Integration in die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF): Nach der Unabhängigkeitserklärung Israels am 14. Mai 1948 wurde Irgun, zusammen mit anderen paramilitärischen Gruppen, in die neugegründeten Israelischen Verteidigungsstreitkräfte integriert. Diese Integration verlief nicht ohne Spannungen und Konflikte, insbesondere bezüglich der Befehlsstruktur und der Anerkennung von Rang und Autorität.
- Schiff Altalena: Ein weiterer bedeutender Vorfall war die Altalena-Affäre im Juni 1948, bei der ein Irgun-Schiff, die Altalena, mit Waffen und Kämpfern an Bord von der neu gegründeten israelischen Regierung unter David Ben-Gurion angegriffen wurde. Ben-Gurion bestand darauf, dass alle bewaffneten Kräfte der neuen Nation unter einer einheitlichen Kommandostruktur stehen mussten, was zu einem bewaffneten Zusammenstoß führte, bei dem das Schiff zerstört wurde.
Irgun wurde von Menachem Begin geführt, der später ein prominenter israelischer Politiker und Premierminister wurde. Die Organisation spielte eine umstrittene, aber entscheidende Rolle in der Geschichte des zionistischen Kampfes und der Gründung des Staates Israel.
** Der Begriff "tin ear" bedeutet wörtlich "Zinn-Ohr". Er wird metaphorisch verwendet, um jemanden zu beschreiben, der ein schlechtes Gehör für Musik oder Töne hat. Im weiteren Sinne kann "tin ear" auch jemanden bezeichnen, der kein gutes Gespür für Sprache oder soziale Nuancen hat. Jemand mit einem "tin ear" für soziale Situationen könnte Probleme haben, die Stimmungen oder Bedürfnisse anderer Menschen zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren.
*** Member of Knesset
Weitere Beiträge in dieser Kategorie
- Bhadrakumar: Russland kompensiert Kursk-Offensive der Ukraine
- Russische Wirtschaft - Putins komplette Rede beim Östlichen Wirtschaftsforum «Eastern Economic Forum» EEF
- ‘Judging Freedom’: Ausgabe vom 5. September
- Andrei Martyanov: Poltawa - Jetzt ist es offiziell bestätigt...
- Ralph Bosshard: Déjà-vu-Erlebnisse in der Ukraine
- Doctorow bei Nima - Dialogue Works: Ausgabe vom 3. September
- Die Türkei will BRICS beitreten, um Bündnisse über den Westen hinaus zu schließen
- Östliches Wirtschaftsforum signalisiert Russlands langfristige Strategie der Ausrichtung auf den Orient
- Doctorow: Moskau: Drei Dörfer in der Ostukraine eingenommen // Iran's Press TV gestern abend
- Alastair Crooke: Die westliche Art des Krieges – Der Besitz des Narrativs übertrumpft die Realität
- Doctorow: Russland als „Arche Noah“ für Menschen aus dem Westen, die Zuflucht vor den Auswüchsen der „liberalen Demokratie“ und des „Transhumanismus“ suchen
- Russland will Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen für (westliche?) Ausländer vereinfachen
- Eine Stimme aus der Ukraine – eine Mutter blickt auf ihre Heimat
- Doctorow: Judging Freedom“ ist zurück auf youtube.com: der heutige Chat mit Judge Andrew Napolitano
- M. K. Bhadrakumar: Der Iran wird Israel angreifen, der Ball liegt im Feld der USA und Israels
- Masoud Pezeshkian: Meine Botschaft an die neue Welt
- Pepe Escobar: Das Imperium schlägt zurück: Farbrevolutionen in Süd- und Südostasien
- Big Serge: Zurück in die Bloodlands: Operation Krepost
- Alastair Crooke: Revisionistische Zionisten fordern die USA auf, ihrer Nakba-Agenda den Stecker zu ziehen
- Kursk: Invasion, Kriegsbeginn, Ablenkung, Pfand?
- Pepe Escobar: Wie ein BRICS-Trio Israel in die Enge treibt
- Wer erinnert sich noch? ... Vor 33 Jahren begann Russlands Katastrophe
- Doctorow: Vom Ende der Welt
- Pepe Escobar: Die Ewigen Kriege werden zum Krieg des Terrors