Alastair Crooke: Die grundlegenden, sich anhäufenden Widersprüche des Westens
Alastair Crooke*
Die Wahl ist erfolgt; Trump wird im Januar sein Amt antreten; viele der derzeitigen Parteifunktionäre werden ersetzt; es werden verschiedene politische Maßnahmen angekündigt – aber die tatsächliche Übernahme der Macht (und nicht nur der Sitz im Weißen Haus) wird komplexer sein. Die USA haben sich in viele unterschiedliche Lehen – fast Fürstentümer – aufgespalten, von der CIA bis zum Justizministerium. Und auch Regulierungsbehörden wurden eingesetzt, um den Einfluss der Nomenklatura auf das Herzblut des Systems zu bewahren.
Diese ideologischen Gegner zu neuem Denken zu bewegen, wird nicht ganz reibungslos verlaufen.
Die US-Wahl war jedoch auch ein Referendum über den vorherrschenden westlichen intellektuellen Mainstream. Und das wird wahrscheinlich entscheidender sein als die US-Inlandswahl – so wichtig diese auch ist. Die USA haben sich strategisch von der technokratischen Oligarchie abgewandt, die in den 1970er Jahren an die Macht kam. Der heutige Wandel spiegelt sich in den gesamten USA wider.
1970 schrieb Zbig Brzezinski (der später Nationaler Sicherheitsberater von Präsident Carter werden sollte) ein Buch, in dem er die neue Ära vorhersah: Was er damals als „Das technetronische Zeitalter“ bezeichnete,
„das allmähliche Entstehen einer stärker kontrollierten Gesellschaft. Eine solche Gesellschaft … wird von einer Elite beherrscht, die sich nicht von traditionellen Werten einschränken lässt … [und] eine kontinuierliche Überwachung jedes Bürgers … [sowie] die Manipulation des Verhaltens und der intellektuellen Funktionsweise aller Menschen … [werden zur neuen Norm werden].“
An anderer Stelle argumentierte Brzezinski, dass „der Nationalstaat ... nicht mehr die wichtigste schöpferische Kraft ist: Internationale Banken und multinationale Unternehmen handeln und planen in Begriffen, die den politischen Konzepten des Nationalstaats weit voraus sind“.
Brzezinski lag mit seiner Einschätzung der Vorteile einer technikbasierten kosmopolitischen Regierungsführung schlichtweg falsch. Und er lag entschieden und katastrophal falsch mit den politischen Rezepten, die er aus der Implosion der Sowjetunion im Jahr 1991 ableitete – dass kein Land oder keine Gruppe von Ländern es jemals wagen würde, sich der Macht der USA entgegenzustellen. Brzezinski argumentierte in „The Grand Chessboard“ [„Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft“], dass Russland keine andere Wahl haben würde, als sich der Erweiterung der NATO und dem geopolitischen Diktat der USA zu unterwerfen.
Aber Russland hat nicht aufgegeben. Und als Folge der Euphorie der Eliten von 1991 über das „Ende der Geschichte“ begann der Westen einen Krieg in der Ukraine, um seinen Standpunkt zu beweisen – dass kein einzelnes Land hoffen könne, sich gegen das vereinte Gewicht der gesamten NATO zu behaupten. Sie sagten das, weil sie es glaubten. Sie glaubten an das westliche Manifest Destiny. Sie verstanden nicht, welche anderen Optionen Russland hatte.
Heute ist der Krieg in der Ukraine verloren. Hunderttausende sind unnötig gestorben – für eine Einbildung. Der „andere Krieg“ im Nahen Osten sieht nicht anders aus. Der Krieg zwischen Israel und den USA gegen den Iran wird verloren sein und Zehntausende Palästinenser und Libanesen werden sinnlos gestorben sein.
Und die „immerwährenden Kriege“, die der Oberbefehlshaber der NATO nach 9/11 erwartete, um eine Reihe von Staaten zu stürzen (zuerst den Irak und dann Syrien, den Libanon, Libyen, Somalia, den Sudan und den Iran), führten nicht nur nicht zur Festigung der US-Hegemonie, sondern stattdessen zu Kasan und zu BRICS mit seiner langen Reihe von Bewerbern für die Mitgliedschaft, die bereit sind, sich gegen ausländischen Kolonialismus zu wehren.
Der Gipfel von Kasan war vorsichtig. Er brachte keine Flut von Lösungen hervor; einige BRICS-Staaten waren zögerlich (die US-Wahlen standen in der darauffolgenden Woche an). Putins Kommentare zu diesen letzteren Staaten waren sorgfältig abgewogen: Schaut, was die USA euch antun können, wenn ihr ihnen irgendwann in die Quere kommt. Schützt euch.
Alles, was der BRICS-Präsident (Putin) zu diesem Zeitpunkt sagen konnte, war: Hier sind die Probleme, die [wir lösen müssen]. Es ist verfrüht, zum jetzigen Zeitpunkt eine vollständige alternative Bretton-Woods-Struktur einzurichten. Aber wir können den Kern einer umsichtigen Alternative für die Arbeit im Dollarraum schaffen: ein Abwicklungs- und Clearingsystem, BRICS Clear; eine Referenzrechnungseinheit; eine Rückversicherungsstruktur und die BRICS-Karte – ein Einzelhandels-Zahlungskartensystem ähnlich AliPay.
Vielleicht erweisen sich eine Reservewährung und die gesamte Bretton-Woods-Ausstattung als unnötig. Die Finanztechnologie entwickelt sich schnell weiter – und vorausgesetzt, das BRICS-Clearingsystem funktioniert, könnten sich daraus letztlich eine Vielzahl separater Fintech-Handelskanäle ergeben.
Aber „eine Woche ist eine lange Zeit in der Politik“. Und eine Woche später war das westliche intellektuelle Paradigma über den Haufen geworfen. Die Shibboleths* der letzten fünfzig Jahre wurden in den USA von den Wählern auf breiter Front abgelehnt. Die Ideologie, die kulturelle Vergangenheit „ungeschehen zu machen“, die Lehren der Geschichte (weil sie angeblich „falsche“ Perspektiven bieten) beiseite zu schieben und die Ablehnung von ethischen Systemen, die sich in den Mythen und Geschichten einer Gemeinschaft widerspiegeln, wurden selbst abgelehnt!
Es ist wieder in Ordnung, ein „Zivilisationsstaat“ zu sein. Der radikale Zweifel und Zynismus der angelsächsischen Welt wird auf eine Perspektive unter vielen reduziert. Und kann nicht mehr das universelle Narrativ sein.
Nun, nach der US-Wahl muss die Stimmung in den BRICS-Staaten wie ein Turbolader sein. Vorstellungen, die letzte Woche noch undenkbar waren, wurden eine Woche später möglich und denkbar. Historiker werden vielleicht zurückblicken und feststellen, dass die zukünftige Architektur des modernen globalen Finanzwesens und der modernen globalen Wirtschaft in Kasan zwar nur unter Schwierigkeiten geboren wurde, aber jetzt ein gesundes Kind ist.
Wird alles reibungslos verlaufen? Natürlich nicht. Die Unterschiede zwischen den BRICS-Mitgliedsstaaten und den „Partnerstaaten“ werden bestehen bleiben, aber diese Woche hat sich ein Fenster geöffnet, frische Luft ist hereingekommen, und viele werden aufatmen. Wenn es eine Sache gibt, die klar sein sollte, dann ist es, dass eine zweite Trump-Regierung wahrscheinlich nicht das Bedürfnis verspüren wird, einen „Krieg gegen die Welt“ zu führen, um ihre globale Hegemonie aufrechtzuerhalten (wie es in der 2022 National Defence Strategy [der Nationalen Verteidigungsstrategie von 2022] gefordert wird).
Die USA stehen heute vor ihren eigenen internen strukturellen Widersprüchen, auf die Trump regelmäßig anspielt, wenn er über die verdunstete amerikanische reale Wirtschaft aufgrund der ins Ausland verlagerten Produktionsbasis spricht. Ein aktueller Bericht der Organisation RAND stellt jedoch eindeutig fest, dass die US-amerikanische Verteidigungsindustrie nicht in der Lage ist, den Bedarf der USA und ihrer Verbündeten und Partner an Ausrüstung, Technologie und Munition zu decken. Ein langwieriger Konflikt, insbesondere an mehreren Schauplätzen, würde eine viel größere Kapazität [ – und einen drastisch erhöhten Verteidigungshaushalt] erfordern.
Trumps Plan zur industriellen Erholung, der jedoch aus schmerzhaft hohen Zöllen besteht, die die amerikanische Produktion ankurbeln sollen, ein Ende der Verschwendungssucht des Bundes und niedrigere Steuern deuten jedoch auf eine Umkehr zu finanzpolitischer Rechtschaffenheit hin – nach Jahrzehnten der finanzpolitischen Laxheit und unkontrollierten Kreditaufnahme. Nicht hohe Militärausgaben! (Die Verteidigungsausgaben während des Kalten Krieges basierten übrigens auf Spitzensteuersätzen von über 70 Prozent und Körperschaftsteuersätzen von durchschnittlich 50 Prozent – was nicht mit dem übereinzustimmen scheint, was Trump vorhat).
Professor Richard Wolff kommentierte kürzlich in einem Interview, dass der Westen als Ganzes in großen finanziellen Schwierigkeiten steckt, und zwar genau aufgrund solcher unkontrollierten Staatsausgaben:
„Vor ein paar Jahren waren die Anleihegläubiger zum ersten Mal nicht mehr bereit, die Defizite Großbritanniens weiter zu finanzieren, und [die britische Regierung wurde abgewählt]. Herr Macron beschreitet nun genau diesen Weg. Die Anleihegläubiger haben den Franzosen mitgeteilt, dass sie ihre Staatsschulden nicht weiter finanzieren werden.
Und so funktioniert das Ganze: Die Anleihegläubiger sagen den Franzosen, dass sie ihre Ausgaben zügeln müssen ... Die Anleihegläubiger sagen, dass sie aufhören müssen, Defizite zu machen. Und wie jeder Student weiß, könnte man Defizite durch Ausgabenkürzungen in den Griff bekommen. Aber es gibt eine Alternative:Sie heißt Besteuerung. Und sie heißt Besteuerung von Unternehmen und Reichen, denn die anderen haben nichts mehr, was man besteuern könnte – man hat alles getan, was man tun kann [mit Steuern auf normale französische Bürger].
[Allerdings] ist die Besteuerung von Unternehmen und Reichen ... irgendwie nicht nur „nicht machbar“, sondern auch nicht diskutabel. Es kann nicht auf den Tisch gelegt werden: Nichts. (oder etwas so Geringes, dass das Defizit nie ausgeglichen werden kann). Wir haben jetzt zu viele Schulden. Und es stellt sich heraus, dass die Regierung, wie die amerikanische Regierung, in den nächsten Jahren so viel für den Schuldendienst ausgeben muss wie für die Verteidigung. Und das lässt nicht viel für alle anderen übrig. Und alle anderen sagen: Nein, nein, nein, nein, nein, nein.
Und jetzt macht sich der Anleiheninhaber Sorgen, denn eine Möglichkeit, dieses Problem zu lösen, wäre, die Zahlungen an die Anleiheninhaber einzustellen, und das darf natürlich nie passieren. Wir haben es also mit zwei Absurditäten zu tun. Man kann die Zahlungen an die Anleiheninhaber nicht einstellen (obwohl man es natürlich könnte, aber mit schlimmen Folgen). Und man kann Unternehmen und Reiche nicht besteuern. Und natürlich kann man es. Ich denke, wir erreichen einen Punkt, an dem sich diese Widersprüche angesammelt haben. Man muss kein Hegelianer oder Marxist sein, um zu verstehen, dass diese sich anhäufenden Widersprüche sehr tiefgreifend, sehr groß und sehr grundlegend sind.“
Sie sagen uns, dass die Welt einerseits die westliche Vision nicht als universell anwendbar akzeptiert – und andererseits der Westen nicht über die finanzielle Schlagkraft verfügt, um die globale Vorherrschaft anzustreben – falls er sie jemals hatte: Zugzwang (sic!).
*Alastair Warren Crooke CMG, geboren am 30. Juni 1949, ist ein ehemaliger britischer Diplomat. Er ist Gründer und Direktor des Conflicts Forum mit Sitz in Beirut, einer Organisation, die sich für ein Engagement zwischen dem politischen Islam und dem Westen einsetzt. Zuvor war er eine hochrangige Persönlichkeit sowohl im britischen Geheimdienst als auch in der Diplomatie der Europäischen Union.Wikipedia
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* Anmerkung des Übersetzers:
"Shibboleths" bezeichnet Wörter, Ausdrücke oder Bräuche, die charakteristisch für eine bestimmte Gruppe sind und oft genutzt werden, um Mitglieder dieser Gruppe von Außenstehenden zu unterscheiden. Der Begriff stammt vom hebräischen Wort "שִׁבֹּלֶת" (shibbólet) und bedeutet „Ähre“ oder „Strom“. Seine heutige Bedeutung geht auf eine biblische Geschichte zurück, in der die Aussprache von „Shibboleth“ verriet, ob jemand aus der Region Ephraim stammte, da diese den Begriff anders aussprachen als Menschen aus anderen Regionen.
In modernen Kontexten sind Shibboleths sprachliche oder kulturelle Merkmale – wie bestimmter Jargon, Dialekte, Slang oder Traditionen –, die die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe signalisieren. Sie können subtil sein, wie eine spezielle Aussprache, oder breiter gefasst, wie ein kultureller Verweis, den nur Mitglieder einer Gemeinschaft verstehen.
In Politik und Ideologie sind Shibboleths bestimmte Ausdrücke oder Phrasen als Symbole für eine bestimmte politische Einstellung.
- Quelle: Strategic-Culture-su - Mit freundlicher Genehmigung übernommen
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- Übersetzung: Die Übersetzung besorgte Andreas Mylaeus
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