Der Leserbrief einer besorgten Mutter zum neuen Computerspiel GTA5
Der Leserbrief einer besorgten Mutter zum neuen Computerspiel GTA5
Der Leserbrieg nimmt bezug auf den Artikel "Eine neue Dimension des Computerspiels", TA vom 18. September
Eine neue Dimension des Computerspiels
Tages-Anzeiger, 2013-09-18
Darauf haben Millionen in aller Welt lange gewartet: Gestern erschien das Computerspiel «Grand Theft Auto V» (GTA 5). Mit Produktionskosten von weit über 100 Millionen Dollar ist GTA 5 das teuerste Computergame der Geschichte. Es wird erwartet, dass es innert eines Jahres rund 1,5 Milliarden Franken an Einnahmen generiert. Das Game bildet eine riesige, Los Angeles nachgeahmte Parallelwelt ab. Wie in den ersten vier Folgen der «Grand Theft Auto»-Serie ist diese Welt auch im fünften Teil eine äusserst brutale: Es wird gestohlen, geschossen, gemordet. GTA 5 geht noch einen Schritt weiter, in dem es den Spielern ermöglicht, «Terroristen» zu quälen und mittels Waterboarding zu foltern. Obwohl das Spiel in der Schweiz erst ab 18 Jahren zugelassen ist, sind viele Eltern besorgt. Sie sollten solche Games mit ihren Kindern spielen, statt sie grundsätzlich zu verbieten, rät der Jurist und Videospiel-Experte Marc Bodmer. (TA)Kommentar Seite 2, Berichte Seite 2, 3
Folgende Leserbriefe gingen daraufhin beim Tages-Anzeiger ein.
Beschönigend und verharmlosend.
Wann immer ich versuche, ein besonders verabscheuungswürdiges Produkt unserer hemmungslosen Märkte wie GTA 5 zu verbieten, bin ich nicht nur mit meinem Sohn, sondern einer ganzen Reihe weiterer Faktoren konfrontiert: einer skrupellosen Industrie und ihrer gewaltigen PR-Maschinerie, deren Produkte an Zynismus kaum zu überbieten sind, mit untätigen Behörden und Politikern, gleichgültigen Eltern oder Vätern, die nebst ihren Söhnen auch gleich noch deren Schulklassen mit GTA 5 versorgen. Und nicht zuletzt mit den wie immer beschönigenden und verharmlosenden Kommentaren allerlei Medien- und Video-Experten, die mir doch tatsächlich raten, selbst zum Joystick zu greifen, um zusammen mit meinem Sohn Zähne herauszubrechen, Kniescheiben zu zertrümmern und Blut fliessen zu lassen. Ich kann sehr wohl zwischen Realität und Fiktion unterscheiden, und natürlich kann das auch mein Sohn, aber ich bin entgegen allen Beschwichtigungen ausserordentlich besorgt um eine Gesellschaft, in deren Kinderzimmern zum Spass (und sei es virtuell) gefoltert und getötet wird.
Katharina Mathis, Zürich
Das Waterboarding wird im Spiel noch um eine Stufe brutaler
Tages-Anzeiger, 2013-09-13
von Walter Niederberger, San Francisco
Wo sind die Grenzen? GTA 5 gibt dem Spieler die Möglichkeit, die Gegner zu foltern, um seine Ziele zu erreichen.
Die Aufforderung zur Folter ist die brutalste Sequenz im neuen «Spiel» «Grand Theft Auto V». Sie überschreitet die Grenze zum realen Krieg, den die USA führen. Und zur Erniedrigung der Opfer. Die ersten Rezensionen in den USA sehen über dies hinweg. GTA 5 habe seine Schock-Qualitäten verloren, schreibt die «New York Times», die Zeitung lobt das Spiel als eine «wunderschöne, verführerische Lüge». Ist der kompromisslose Kampf gegen den Terror tatsächlich nur eine Lüge? Der Gamer hat im Spiel erstmals eine Option, die Folter von muslimischen Terrorverdächtigen zu üben – ganz legal, wird ihm vorgemacht. Das Opfer ist auf einem Stuhl festgebunden. Zunächst darf ihm der Spieler die Zähne mit einer Beisszange herausbrechen. Als Nächstes steht eine aufgepeppte Version des Waterboardings an. Statt mit Wasser wird mit einer feuergefährlichen Flüssigkeit gefoltert. Zum Abschluss werden dem Opfer die Kniescheiben zertrümmert und Stromstösse verpasst.
Zugelassen ist GTA 5 in den USA ab 17, ein Jahr früher als in Europa. Klar ist, dass Kinder in viel früherem Alter in die «immense, parodistische Vision von Südkalifornien» («New York Times») eintauchen werden. Dies zeigt die Erfahrung mit den früheren GTA-Versionen, und dies zeigt die Reaktion in Europa. Die britische Lehrergewerkschaft erliess gestern einen Aufruf und warnte davor, das Spiel jüngeren Kindern in die Hände zu geben. Die Folterszene, so die Gewerkschaft, «geht einen Schritt zu weit». Kinder hätten keinen Sinn für die Differenz zwischen Realität und Fiktion. «Sie ahmen nach, was sie sehen.»
Kaum Debatte über Gewalt
Frühere Kritiken in den USA kamen dagegen oft aus der politisch konservativen Ecke. Sie richteten sich indessen weniger gegen die Brutalität. Getrieben wurde sie von der Furcht vor einer Gegenreaktion in Form von einschränkenden Absatzbestimmungen. So war es Clint Eastwood, der sich kürzlich heftig gegen ein brutales Videospiel wandte und sogar ein Verkaufsverbot für Kinder verlangte. «Ich weiss, dass jedermann diese Spiele liebt, aber sie entfremden die Kinder und Jugendlichen sich selber und der Gesellschaft.» Was den Republikaner Eastwood aber wirklich erbost hatte, war die Forderung nach einem verschärften Waffentragrecht. «Wenn Obama dies tut, dann wird dies zu einer Serie von Attacken auf alle Freiheitsrechte führen. Und der Sozialismus ist nicht mehr aufzuhalten.»
Eine breite Debatte über die Gewaltverherrlichung in Videospielen ist in den USA nie in Gang gekommen. So wie eine Debatte zum Waffentragrecht nie über Schlagworte hinausgeführt hat. Die Folterszene in GTA 5 liefert dafür – unfreiwillig und ironisch – ein mögliches Motiv.
Die Videospielbranche wäre ohne die immensen Rüstungsinvestitionen während und nach dem Vietnamkrieg nicht denkbar. Die erste Spielkonsole etwa wurde 1972 von einem Zulieferbetrieb des Pentagons entwickelt. Die Technologie der ersten Flug- und Panzersimulatoren fand Eingang in die Spielindustrie, wie umgekehrt die Armee heute kommerzielle Videospiele für die Ausbildung verwendet. Der Gamer in der Rolle des Folterknechts kann als grauenhafte, aber auch logische Fortsetzung des modernen Krieges gesehen werden.
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