Globalbridge Dr. Victor BeckerDer Großvater des Autors, Dr. med. Victor Becker (1891-1975; Bildmitte), Mitte November 1939 in Sieradz, Wartheland; sehr wahrscheinlich, nachdem er zuvor unfreiwilliger Zeuge einer öffentlichen Massenexekution örtlicher Honoratioren durch die deutsche Besatzungsmacht war.

Irgendwann wollte ich es wissen. Ich war zeitweise mit einer Russin liiert gewesen und sie hatte mich es nie gefragt. Auch ihre Eltern und Freundinnen nicht. Aber für mich wurde die Frage immer drängender: Wo war mein Großvater in Russland im II. Weltkrieg? Genauer: Wo war er in der Sowjetunion? Plötzlich ging die Weltgeschichte mitten durch die privateste Beziehung.   – Idiotischer Affekt: Er wird doch wohl hoffentlich nicht in der Schwarzerderegion gewesen sein, wo Nataschas Eltern und Großeltern lebten! Als ob im anderen Falle irgendetwas besser gewesen wäre. Der bange Gedanke kam immer wieder: Was hat mein Großvater in Russland gemacht? Was hat er dort gesehen? Was mag er mitbekommen haben von den Verbrechen von Wehrmacht und SS? 

Die Frage hatte schon jahrelang in mir gearbeitet. Spätestens seit mir 1998 klargeworden war, dass ich zehn Jahre zuvor zwar eine Versöhnungsreise in die Sowjetunion nach Minsk, Moskau und Leningrad unternommen hatte, dass ich zwar damals auf russischen und weißrussischen Gedenkstätten bewegende Begegnungen mit Sowjetbürgern hatte   – dass ich jedoch merkwürdigerweise die ganze Reise über und auch noch Jahre später nicht auf die Idee gekommen war, dass mein Großvater in beiden Weltkriegen ja auch in Russland war! Irgendeine Instanz meines Unbewussten hatte offenbar diesen „Link“ blockiert!

Ein Wehrmachtsoffizier, der seinem Land die Niederlage wünschte

Wie bereits im II. Teil dieser Serie (Globalbridge.ch wird noch die ganze Serie bringen. Red.) angedeutet: Mein Großvater mütterlicherseits (Jahrgang 1891), ein hochgebildeter kultivierter Mann, Facharzt für Inneres und Leiter eines katholischen Krankenhauses in Saarbrücken, war kein Nazi. Ein Widerstandskämpfer war er nicht. Ich weiß aber, dass er und seine Frau dem Regime gegenüber soweit auf Distanz gingen wie das damals möglich war, ohne sich und die achtköpfige Familie zu gefährden. Als Vertretern des katholischen Bildungsbürgertums war ihnen die nationalsozialistische rassistische Weltanschauung zuwider. Mein Großvater versuchte seine jüdischen Ärztekollegen solange am Krankenhaus zu halten, bis er selber von der Gestapo vorgeladen wurde. Zusammen mit meiner Großmutter besuchte er die befreundeten und angeheirateten jüdischen Ehepaare noch zu einem Zeitpunkt, als dies für „Arier“ immer gefährlicher wurde. Und ich weiß auch, dass er große Sympathien für das russische Volk hatte.

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