Auf die Lehrer kommt es an!
Michael Felten
Gegen die sich ausbreitende Neigung zu pädagogischer Deregulierung will dieses Buch zu einer dreifachen Wiederbesinnung auf die Kraft des Lehrers – und damit auf die Bedeutsamkeit des Erwachsenen in der Bildungsfrage – anregen:
- Der Lehrer ist derjenige, der eine Lerngruppe selbstbewusst und zugewandt führen muss – dazu braucht es aber mehr als gute Arbeitsblätter und einen Laptop-Wagen.
- Der Lehrer ist derjenige, der Lernprozesse sinnvoll arrangieren und steuern muss –offene Arbeitsformen dagegen sind nur in wohl definierten Situationen lernwirksam.
- Der Lehrer ist derjenige, der Lernschwierigkeiten auflösen kann – nicht durch Ermässigung in den Anforderungen, sondern durch professionellen Einblick in die Schülerpsyche, im Rahmen einer herzlich-haltenden Beziehung.
Dieses Buch möchte also einen entschieden anti-antipädagogischen Akzent setzen, es möchte insbesondere vor der offenen Flanke der Selbstlerneuphorie warnen, und es möchte das verbreitete Beziehungsdunkel der Lehrer-Schüler-Beziehung erhellen. Die Schule braucht eine neue Hinwendung zum Pädagogischen – zu Führungsfreude ebenso wie zu Einfühlsamkeit.
Rehabilitierung des Pädagogischen, das ist eine optimistische Gegenoffensive zu den strukturellen wie technokratischen Sackgassen der Bildungsdebatte. Allerdings bedeutet dies keineswegs einen Kontrapunkt zu schulischer Leistungsethik. Diese mag zwar derzeit (nach jahrzehntelanger Absenz) gelegentlich überborden; tatsächlich aber wollen Kinder auch gerne herausgefordert werden. Ins Blickfeld gerückt werden soll dagegen, dass es beim Lernen und Leisten vor allem auf den Lehrer ankommt. Darauf, dass er eine Klasse souverän und zugleich motivierend leiten kann; dass er die Kompetenzen seiner Schüler nachhaltig mehren kann, ohne sich im Methodenwust zu verlieren; dass er ihre Lernschwierigkeiten verstehen und ihnen bei deren Überwindung helfen kann. Eine hochkomplexe Tätigkeit, wie schon der ehrwürdige Begriff «Schulmeister» deutlich machte.
Auf die Lehrer kommt es an! Diese Losung besagt keineswegs, dass der Lehrer für Lernerfolge oder Minderleistungen allein verantwortlich ist – sie unterstreicht aber seinen Einfluss, und sie dämpft die verbreitete Hoffnung auf institutionelle oder mediale Erlösungen. Insofern versteht sich diese Schrift nicht als Neuerfindung des Rades – eher als Vergewisserung dessen, dass Räder rund sein müssen, wenn sie gut rollen sollen. Sie ist gemeint als eindringliches Plädoyer eines Praktikers: für ein un-verschämtes Besinnen auf Pädagogik, für ein selbst-bewusstes Beurteilen des Methodischen und für ein tiefer-gehendes Bemühen um Psychologie in der Schule.
Keineswegs also ein Votum für plumpe Disziplinpädagogik – wohl aber für feinfühlige Bindungsbildung. Auch kein Rezeptbuch für die Unterrichtsplanung – wohl aber ein Massstab, mit dem sich methodisch Spreu und Weizen voneinander trennen lassen. Für euphorische Berufseinsteiger mag es eine überraschende Orientierung sein, für engagierte Routiniers eine wohltuende Bestätigung – und für unverschuldet Amtsverdrossene die überfällige Rehabilitierung.
Zwangsläufig geht damit auch an Lehrerausbildung und Bildungspolitik eine ernste Mahnung. Nicht um jeden Preis «Die Schule neu denken» (Hartmut von Hentig) darf die Devise sein, sondern forschungsbasiert «Schule richtig denken» – so der bayrische Gymnasiallehrer Hans Maier in seinem Buch «Tatort Gymnasium». Das aber würde heute bedeuten: vordergründigen Reformaktionismus stoppen, die personelle Ausstattung der Schulen erheblich verbessern, die psychologische Qualifizierung der Lehrer ausweiten.
Dies würde Raum geben für eine wirkliche Bildungswende. Der Alltag des Lehrers wäre dabei weiterhin anspruchsvoll – aber nicht länger auslaugend, sondern aufbauend.
Es geht also auch um Geld, um viel Geld. Aber gleichzeitig geht es ums Bewusstsein – um das richtige Bewusstsein.
Auszug aus: Michael Felten. Auf die Lehrer kommt es an! Für eine Rückkehr der Pädagogik in die Schule. Gütersloh 2010. ISBN 978-3-579-06882-4
Quelle:
www.zeit-fragen.ch
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