Die Funktion des Psychischen aus der Sicht der Evolution
Unsere Welt ist gekennzeichnet von Kriegen, Ausbeutung, Elend, Hunger und Folter. Liegen die Ursachen dafür in der Bösartigkeit des Menschen? Oder sind es andere Gründe, welche ein Zusammenleben der Menschen in Frieden und Freiheit verunmöglichen?
Die Autoren des vorliegenden Sammelbandes versuchen, eine Antwort auf diese Fragen zu geben, indem sie die Natur des Menschen beschreiben. Der Mensch wird als Ergebnis der natürlichen Evolution verstanden und deshalb mit naturwissenschaftlichen Methoden, ohne jegliche irrationale und mystische Überlegungen untersucht. Entscheidend für den Menschen sind seine soziale Natur und seine Lernfähigkeit. Da diese Faktoren durch eine unsachgemässe Erziehung, eine ungerechte Gesellschaftsordnung und eine vom mystischen Denken beeinflusste Kultur eingeschränkt und verunstaltet werden, ist unsere Welt in einem Zustand, der nicht als human bezeichnet werden kann.
Alle Menschen sind biologisch grundlegend gleich
Der Mensch, als biologisch erfassbare Spezies, hat sich in mehr als hunderttausend Jahren nicht merklich verändert. Das neugeborene Menschenkind ist also, was sein Erbgut betrifft, ein wahrhaft 'prähistorisches' Wesen.1 Augenfällig ist die Variationsbreite der menschlichen Art. Die Vielfalt äusserer Unterscheidungsmerkmale tangiert jedoch den integrierenden Aufbau und die Grundfunktionen des Leibes nicht. Auch die organischen Voraussetzungen höherer Funktionen, des Psychischen und des Geistigen, sind bei allen vollsinnigen Menschen gleichartig und ebenbürtig.
Die naturgegebene Gleichheit der Menschen ist kein idealistisches Postulat, sondern ein biologischer Befund.
Es besteht in der Fachwelt der naturwissenschaftlichen Anthropologie völlige Klarheit, dass individuelle oder rassische Unterschiede äusserlich und irrelevant sind gegenüber der entscheidenden anatomischen und physiologischen Übereinstimmung.2 Die Anmassungen weisser 'Herrenrassen' und bevorrechteter Klassen entbehren jeder wissenschaftlich haltbaren Rechtfertigungsgrundlage.
»Weder auf dem Gebiet der Vererbungsmöglichkeiten betreffend die allgemeine Intelligenz und die Fähigkeit zur kulturellen Entfaltung noch auf dem Gebiet physischer Merkmale gibt es irgendeinen Grund für den Begriff ‘minderwertiger’ oder ‘unterlegener’ Rassen.«3
Die Abstammung des Menschen
Der Mensch in seiner heutigen Gestalt, wie wir seit Charles Darwins bahnbrechenden Untersuchungen wissen,4 ist Produkt des natürlichen Auslesevorgangs, der über Jahrmilliarden die lebendige Substanz in Abertausende von Arten aufgespalten und einer wechselnden Umwelt adaptiert hat. Anpassung und Differenzierung der Lebewesen, die in meist unscheinbar winzigen Schritten vor sich ging, ist durch kleine Unregelmässigkeiten bei der Kopie der Erbsubstanz (Mutationen) bedingt. Varianten, die zufällig unter bestimmten Umständen erhöhte Überlebenschancen hatten, breiteten sich aus und verdrängten die benachteiligten Konkurrenten. So bildeten sich fortschreitend divergierende Lebensformen unterschiedlicher Gestalt und Funktion, die sich den ökologischen Nischen einer gegebenen Umwelt durch den Rückkoppelungseffekt von Mutation und Selektion immer präziser einfügten. Lebensräume sind hochkomplexe Bezugssysteme vielfältiger Organismen, zwischen denen sich ein relativer Gleichgewichtszustand eingependelt hat.5
Die natürliche Auslese »führt unvermeidlich zum allmählichen Fortschreiten der Organisation der überwiegenden Zahl der Lebewesen.«6
Ein Irrtum wäre es, die »Tendenz zur Vervollkommnung«7 im Sinne einer Zielstrebigkeit (Entelechie) oder Vorsehung auszulegen, als ob im Lebendigen eine geheimnisvolle und unerklärliche »Wirkkraft« am Werke wäre oder die Evolution planmässig, nach verborgenen Regieanweisungen, sich abwickelte. Wissenschaftlich korrekt kann die Bildung lebendiger Substanz unter physikalisch-chemischen Verhältnissen, wie sie in Urmeer und Uratmosphäre gegeben waren, als statistische Möglichkeit von hohem Wahrscheinlichkeitsgrad geschätzt werden.8 Die Selbstreproduktion des Lebendigen führte nicht bloss zur Vermehrung, sondern – durch den Prozess der natürlichen Auslese innerhalb gewaltiger Zeiträume – zur Aufgliederung und Ausstrahlung der lebendigen Substanz in den weitverzweigten Stammbaum der Entwicklungsgeschichte.
In dieses umfassende Geschehen ist auch die Abstammung des Menschen einzuordnen: allen Schmähungen zum Trotz9 hat sich die Evolution als einzige wissenschaftlich stichhaltige Erklärung der Herkunft des Menschen durch zahllose Untersuchungen unabweisbar bestätigt. Die Erkenntnis der Evolution, die Rückführung der menschlichen Entwicklung auf einen allgemeinen Naturvorgang, machte alle supranaturalistischen Deutungen und Schöpfungsgeschichten als Mythologien kenntlich.
Die Evolution funktioniert ohne mysteriöse Kräfte
Die Erkenntnis der biologischen Evolution war für die Erforschung der Natur ein Durchbruch von weittragender Konsequenz, sie lieferte den Schlüssel zu einer umfassenden Schau der Organismen und machte den Zusammenhang zwischen Einzellebewesen, Arten, Gattungen, Familien usw., bis zum Reich des Lebendigen insgesamt, als reale Verwandtschaft am Stammbaum der Entwicklungsgeschichte erklärlich. Das Resultat der Evolution sind tausenfältige Lebensformen, funktionierend innerhalb von Oeko-Systemen,10 deren Gesamthaushalt das eingependelte Gleichgewicht aufeinander abgestimmter Organismen innerhalb physikalischer Umweltsbedingungen darstellt.
Die Entstehung der Arten, als natürlicher Prozess, bedarf zur Erklärung keiner Anleihen bei übernatürlichen (metaphysischen) Kräften.
Mystische Spekulationen tragen nichts zur Erhellung von Naturvorgängen bei. Begriffe wie Telos (Teleologie=Lehre von der Zweckbestimmtheit), Entelechie (innere Zielgerichtetheit, Formkraft, bei Aristoteles), Vervollkommnungsstreben (Lamarck), Lebensschwungkraft ('élan vital' Bergsons, 'Vitalismus' Drieschs) entspringen irreführenden und unklaren Vorstellungen; sie müssen aus der wissenschaftlichen Diskussion ausgeschieden werden. Der Biologe bewegt sich auf gesichertem Terrain: wenn auch noch nicht alle Regelkreise des Lebens biochemisch lückenlos beschrieben werden können, so kann er doch auf das Eingreifen mysteriöser Wirkkräfte verzichten.11 Die Erforschung der Welt des Lebendigen, in ihren genetischen, zellulären, biochemischen, morphologischen, physiologischen, ökologischen, evolutionsbiologischen Aspekten, ist heute weitgehend frei von spekulativen Relikten. Einer naturwissenschaftlichen Erkenntnis der psychischen Funktionen des Menschen stellt sich das uralte Erbe mythologischer Seelenlehren entgegen. Haben wir gelernt, die Geschichte der Natur zu beschreiben, ohne auf Schöpfungsmythen zurück zugreifen, so steckt die Seelenkunde halbwegs noch im Mittelalter, der Zeit des Geisterglaubens und Dämonenspuks. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Psychologie sind den Laien grösstenteils unbekannt und werden dem Volk sogar absichtlich vorenthalten.
Vom Dualismus der Religion zum Monismus der Wissenschaft
Religiöse Deutungen der menschlichen Herkunft und Bestimmung, wie sie sich im jüdisch - christlich - abendländischen Kulturkreis tradiert haben, stellen über die sinnlich erfahrbare Welt eine übersinnliche Wirklichkeit, über das Reich des Materiellen eine Sphäre des Spirituellen; die irdische Welt wird als Schöpfung eines geistigen Wesens, das hinter oder über der Welt waltet, aufgefasst. In verschiedenen Spielarten hat sich dieser religiöse Mythos auch in der Philosophiegeschichte bewahrt: Am Anfang der idealistischen Konstruktionen steht Platons Ideenhimmel der als wahre Wirklichkeit über dem Irdisch-Faktischen, Unzulänglich-Vergänglichen in ewigem Glanze erstrahlt. Die uns sichtbare Welt ist ein Abglanz, ein Schatten (Höhlengleichnis Platons).
Die Tradition der idealistischen Philosophie hat diesen Grundsatz aufrechterhalten:
Geist und Seele sind Wesenheiten höherer Abkunft, ihre Heimat ist das Ewige, während der Leib der Vergänglichkeit alles Irdischen anheimfällt: Das Bild vom Odem, der dem geistlosen Leib eingehaucht wird, ist beibehalten. Die Lehre von den zwei Welten hat Descartes, der als Vater der modernen Philosophie gerühmt wird, in aller Schärfe formuliert: Der Körper ist eine Maschine, der Geist ist eine Wesenheit anderer Provenienz, die nichts mit dem Materiellen zu schaffen hat – wodurch das Rätsel entstand, wie die Gleichzeitigkeit und (scheinbare) Abhängigkeit geistiger und materieller Vorgänge erklärt werden soll. Idealistische Philosophen haben – mehr oder weniger absolut – den Primat oder die Selbstherrlichkeit des Bewusstseins, des souveränen Ichs, betont, wobei einige soweit gingen, die Realität einer materiellen Welt schlicht weg zu leugnen, d.h. als Produkt der subjektiven Einbildungskraft zu deklarieren. Philosophen des 20. Jahrhunderts, die sich als Phänomenologen, Ontologen, Existentialisten verstehen; versuchen teilweise noch immer, die Subjektivität des Bewusstseins dem realen Sein (der Materie) voranzustellen oder überzuordnen, ja das Universum als Fiktion zu behandeln, das nur in unserem Bewusstsein – keineswegs unabhängig von ihm – Bestand habe:
als ob es gleicherweise 'metaphysisch' sei, die Materie als Ausgeburt des Geistes zu erklären oder das materielle Sein als Grundlage psychisch-geistiger Funktionen vorauszusetzen.12 Das dualistische (zweiteilige) Weltbild: die Setzung eines Geistes, als 'Wesenheit aus eigenem Recht',13 kontradiktorisch zur Materie, ist unvereinbar mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen.
Die Wegbereiter wissenschaftlicher Naturerforschung versuchten dagegen die Fülle verschiedenartiger Erscheinungen zusammenhängend, einheitlich (monistisch) zu erfassen. Schon antike Materialisten und Atomisten hielten den 'Stoff der Welt' für fähig, Lebewesen, Empfindungen und sogar Gedanken hervorzubringen; sie fanden es durchaus nicht logisch zwingend, einen immateriellen Geist vor, über oder hinter die sinnlich erfahrbare Welt zu stellen. Die wissenschaftliche Forschung statuiert keine Geister. Die verschiedenen Aspekte der Wirklichkeit stehen in natürlichem Zusammenhang, der empirisch untersucht und exakt formuliert werden kann. Für übernatürliche Eingriffe, 'Wunder' bleibt kein Raum. Die Natur gilt als erforschbares 'Laboratorium', nicht als Tummelfeld nach Gutdünken eingreifender Geister.
Kausalität und Prognostik
Die moderne Naturwissenschaft vermeidet es, von Ursache und Wirkung zu sprechen: sie stellt lediglich Funktionen und Parameter (Beziehungsverhältnisse zwischen abhängigen Grössen) fest.
Dennoch können wir in der praktischen Anwendung im Bereich von Physik und Chemie, solange die Komponenten übersichtlich sind, das Wenn-dann-Schema anwenden: Wenn ich Wasser auf ein Feuer stelle, wird das Wasser sich erwärmen. Sind mir die Faktoren quantitativ bekannt, so kann ich, in Kenntnis physikalischer Punktionen, zuverlässig und exakte Prognosen stellen. In vielen Fällen liegen jedoch die Verhältnisse anders: das Bezugssystem ist derart verwickelt und unabgrenzbaren Einflüssen ausgesetzt, dass eine sichere Voraussage im konkreten Einzelfall unmöglich ist. Es lässt sich nur mit statistischen Wahrscheinlichkeiten rechnen.
Der Verzieht auf zwingende Prognostik bedeutet aber nicht, dass der Boden streng wissenschaftlichen Vorgehens verlassen werden soll.
Finalität
Im biologischen und insbesondere im psychischen Bereich gelte nicht die gewöhnliche Ursache, sondern die Zweckursache: nicht die Frage 'warum?', sondern 'wozu?' führe zu einer brauchbaren und sinnvollen Erkenntnis. Alles Lebendige, zumal in seiner psychischen Funktion, sei zielgerichtet. Der Begriff der Kausalität (Ursache) soll ersetzt werden durch Finalität (Zweckbestimmung): dieses 'Axiom' psychologischer Betrachtungsweise bedarf der Klärung. Vorerst sei daran erinnert, dass das Ursache-Wirkung-Schema die physikalischen Gegebenheiten nicht rein objektiv wiedergibt sondern, einer häufigen praktischen Situation entspricht: 'wir suchen nach den Ursachen unerwünschter oder erwünschter Wirkungen.
Die Frage nach Ursache, Folge oder Zweck hängt vom Standpunkt des Betrachters ab.
Die physikalische Natur kennt nur Abläufe, reversible (umkehrbare) oder irreversible (nicht umkehrbare) Prozesse, die unter bestimmten Voraussetzungen experimentell nachvollzogen, beliebig wiederholt oder abgewandelt werden können.
Die Natur fragt nicht nach Ursachen und bezweckt nichts, nur aus menschlichem Blickwinkel scheint die Frage nach den Gründen, die je nachdem in der Vergangenheit (warum? woher?) oder in der Zukunft (wozu? wohin?) gesucht werden, berechtigt. Herkunft und Ziel lassen uns nicht gleichgültig. Ist nun aber Zielstrebigkeit tatsächlich ein Erbteil alles Lebendigen, oder handelt es sich um eine perspektivische Täuschung?
Komplexe Prozesse, zumal innerhalb der Welt des Organischen, erscheinen unter dem Gesichtspunkt der Finalität (Zielgerichtetheit) oft als überraschend einfach, geordnet und sinnvoll.
So sind Lebensvorgänge und Bewegungsabläufe von Tieren derart aufeinander abgestimmt, dass sie ein bestimmtes Resultat, etwa das Auffinden, Erhaschen und Einverleiben von Nahrung, sicherstellen. Nun ist der 'Zweck' der Ernährung zugleich die 'Bedingung' der Existenz einer bestimmten Lebensform, d.h. die Lebensprozesse stehen in einem Funktionszusammenhang, der sich selber regelt und reproduziert, ohne auf sonstige 'Zwecke' zu verweisen. Organismen funktionieren als ein Insgesamt von Regelungsvorgängen.14 Sie halten sich dadurch in einem stabilen Fliessgleichgewicht. Diese Selbststeuerung der Lebewesen erweckt den Eindruck der Zweckmässigkeit, denn alle Einzelfunktionen können im Rahmen der Erhaltung und Reproduktion des Gesamtorganismus als 'sinnvoll' verstanden werden. Der Betrachter koordinierter Lebensvorgänge ist also versucht, eine Absicht im Hinblick auf ein angestrebtes Ziel zu vermuten. Die 'Automatik des Lebens', das selbstregulierende System, macht den Anschein der Zielstrebigkeit. Der Gesichtspunkt der Finalität ist von praktischern Nutzen, vom Ziel her sind Abläufe überschaubar und verständlich. Wir dürfen aber bei einer solchen Betrachtungsweise nicht übersehen, dass die angenommenen 'Ziele' nur 'Stationen', Durchgangspunkte auf der Linie des Lebens sind – mindestens solange wir uns auf der Ebene des Organischen (nicht des Psychischen) bewegen. Lebendige Prozesse verlaufen teils zyklisch (in Kreisläufen), in Wiederholungen, dennoch unumkehrbar.
Kein Stadium: weder Wachstum, noch Aufblühen, noch Erhaltung, noch Fortpflanzung, noch Altern, noch der Tod, kann – ausserhalb der Poesie – als Ziel des Lebens angesprochen werden.
Historiker und Philosophen wollten in geschichtlichen Ereignissen – und in der Weltgeschichte als Ganzem – die Vorsehung, den Weltgeist, die 'List der Vernunft' (Hegel) walten sehen.15 Analog kann man in den Vorgang der Evolution eine 'geheime Absicht', eine 'schöpferische Kraft', ein 'Vervollkommnungsstreben', eine 'Lebensschwungkraft' hin einlegen.
Die vermutete Zielstrebigkeit ist jedoch eine Projektion, eine perspektivische Täuschung: wir schliessen vom Produkt auf einen Plan.
Die Perfektion der Organismen ist nicht bezweckt,16 sondern hat sich im 'Schleifprozess' der natürlichen Auslese ergeben, dem schliesslich jede 'Unebenheit' zum Opfer fiel. Die scheinbare 'Voraussicht' ist 'Macht der Gewohnheit': Die überlebenden Organismen sind in der Vergangenheit gegen alle Eventualitäten derart geeicht worden, dass sie 'auch in Zukunft' (sofern sich die Verhältnisse nicht ein schneidend ändern) alle Chancen haben, durchzukommen. Was den Wechselfällen der Vergangenheit nicht standhielt, ist längst von der Bühne des Lebens verschwunden.
»Der Organismus funktioniert. Wozu existiert er? Um sich zu reproduzieren? Um sich am Leben zu erhalten? Keineswegs. Er funktioniert.«17
Die Herkunft des Psychischen
Der Primat des Geistes ist evolutionsgeschichtlich unhaltbar. Wer das Bewusstsein an den Anfang stellt, bleibt beim Schöpfungsmythos stehen – entgegen aller wissenschaftlichen Erkenntnis.
In der Entwicklungsgeschichte des Lebens taucht das Bewusstsein spät auf, am Ende, nicht am Anfang.
In ältere Schichten hinab reicht die Funktion des Psychischen: Was wir wissentlich tun, ist nur ein Gekräusel auf den Gründen des Unbewussten,18 das unser Handeln bestimmt. Und der Organismus funktionierte längst bevor das Bewusstsein seine Kontrolle auszuüben begann und endlich einer 'cogito, ergo sum' (ich denke, also bin ich) zu sich sagte.19 So hat sich der Leib während Jahrmilliarden der Evolution zu einer 'grossen Vernunft' heran gebildet.
»Der Leib ist eine grosse Vernunft, eine Vielheit mit einem Sinn (...). Werkzeug deines Leibes ist auch deine kleine Vernunft, mein Bruder, die du 'Geist' nennst, ein kleines Werk und Spielzeug deiner grossen Vernunft.
'Ich' sagst du und bist stolz auf dieses Wort. Aber das Grössere ist – woran du nicht glauben willst – dein Leib und seine grosse Vernunft: die sagt nicht Ich, aber tut Ich.«20
Die hier (in Nietzsches Worten) ausgesprochene Erkenntnis, dass die seelisch-geistige Funktion im Organischen basiert, das sich autonom und automatisch im Fliessgleichgewicht hält (und in eben dieser Selbstregulierung seine 'grosse Vernunft' beweist), lässt sich wissenschaftlich nicht widerlegen, stiess aber auf desto erbitterteren Widerstand von Theologen, Spiritualisten und Metaphysikern. Das Glaubensdogma, im Zeitalter geistlicher und weltlicher Oberherrschaft der Kirche mit Gewalt, Inquisition, Religionskriegen diktiert,21 setzte den Geist als mystische Wesenheit absolut. Der Glaubensterror würgte jeden Ansatz einer anderen Meinung ab und setzte seinen Absolutheitsanspruch blutig durch. Idealistische Philosophen, von Platon bis in unsere Tage, vom Dogmatismus scheinbar abrückend und ihn durch einen spekulativen Apriorismus22 ersetzend hielten am Primat des Geistes fest – selbst wenn sie ihre feinfädigen Gespinste mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen verwoben.23 Mit Spiegelfechtereien und geistigen Taschenspielerkünsten wird 'bewiesen', dass der Geist unabhängig von der Materie existieren muss. Als im 17. Jahrhundert John Locke, ein englischer Empirist und Vorkämpfer der Aufklärung, der sich unermüdlich gegen die religiöse Intoleranz wehrte24, in seinem 'Versuch über den menschlichen Verstand'25 die Ideen von Sinneseindrücken herleitete (sensualistisch), musste er sich von einem Abbé Pluche vorwerfen lassen, er hätte 'die Seele so weit erniedrigt', dass er sie 'für eine Seele von Kot' halte, und er wage es dennoch, 'die Vernunft als souveräne Richterin über die Mysterien des Glaubens aufzustellen'.26 Seither haben die Anwürfe gegen die angeblich 'niedrig gesinnten' philosophischen Materialisten seitens der 'Siegelbewahrer des Geistes' nichts an Infamie eingebüsst, sind aber z.T. subtiler, also hinterlistiger, geworden.
Idealisten haben die Materialisten, die sich um eine einheitliche (monistische) Erfassung aller Naturerscheinungen – der Mensch miteinbegriffen – bemühten, wie ,selbstverständlich' auf 'tote Materie' festgenagelt – um alle positiven Eigenschaften dem lebendigen Geiste zuzuschanzen.
Die Materie der Idealisten, »ein Produkt ihrer falschen Abstraktion ist tatsächlich ein dummes, unbelebtes, unbewegliches, zu allem unfähiges Ding, ein toter Rückstand, eine hässliche Einbildung, jener schönen Einbildung gegenübergestellt, die sie Gott, das höchste Wesen nennen, demgegenüber die Materie, die Materie der Idealisten, von ihnen selbst all dessen beraubt, was ihre wirkliche Natur ausmacht, notwendig das höchste Nichts darstellt. Sie nahmen der Materie die Intelligenz, das Leben, alle bestimmenden Eigenschaften, tätigen Beziehungen oder Kräfte, selbst die Bewegung...«.27 Solange einer sich im Leerraum abstrakter Spekulation bewegt, mag er den Materialismus als 'Metaphysik mit umgekehrtem Vorzeichen' hinstellen28. Sobald wir aber die Ergebnisse der Naturwissenschaft zur Kenntnis nehmen, ohne sie in einen Traum des Subjekts zu verdrehen, ist es nicht länger möglich, die physikalischen und organischen Voraussetzungen seelisch-geistiger Lebensäusserungen zu negieren.
Vorstufen des Psychischen
Empfindlichkeit (Reizbarkeit) finden wir schon bei den primitiven Einzellern und einfach gebauten Vielzellern: es ist möglich oder wahrscheinlich, dass selbst bei niedrigen Lebensformen die Reaktionsfähigkeit mit einem Schimmer von Empfindungen verbunden ist29 Ein ausgebildetes und in einer Zentrale zusammenlaufendes Nervensystem bietet mehr Gewähr, dass Reizbarkeit und Reaktionsbereitschaft auch von Empfindungen der Lust oder des Schmerzes wachgehalten wird. Obwohl wir Gefahr laufen, menschliche Erlebnisweise in Tiere hineinzuprojizieren, scheint es doch berechtigt, Ausdrucksformen der Angst oder der Freude als 'echt empfunden' gelten zu lassen.30 Wenn wir nicht streng beweisen, sondern nur erfühlen können, was in einem anderen Lebewesen – sei es ein Tier oder ein Mensch – vorgeht (wobei wir umso ahnungsloser sind, je fremder und unbekannter eine Lebensform uns ist), spricht dennoch vieles dafür, dass Lebewesen mit einem hochentwickelten Zentralnervensystem nicht nur auf Reize reagieren, sondern dabei auch etwas empfinden. Lernfähigen Tieren mit einem differenzierten Sozialleben werden wir auch gewisse Gefühle zutrauen.
Analogien zwischen tierischem und menschlichem Verhalten sind oft vordergründig und eine Quelle dreister Vergleiche und Gleichsetzungen, wie sie in populären Darbietungen mancher Verhaltensforscher – wissenschaftlich unseriös, dafür unkritisch tendenziös – beliebt sind.31 Auch Publikationen mit imponierendem wissenschaftlichem Anstrich enthalten bedenkliche Übergriffe, die von grober Unkenntnis der modernen psychologischen Forschungsergebnisse zeugen. – In Ermangelung eindeutiger Kriterien und um uns nicht dem Vorwurf der Spekulation und des Anthropomorphismus (unzulässiger Vermenschlichung) auszusetzen, belassen wir die Frage tierischer bzw. vor menschlicher Gefühle im Unbestimmten.32 Ob wir (höheren) Organismen eine Art Selbstbewusstsein oder Ichgefühl – wenigstens ansatzweise – zu billigen, hängt einesteils davon ab, was wir unter solchen Begriffen verstehen wollen, andernteils spielt religiöse Befangenheit herein, wenn wir einzig den Menschen, als 'Krone der Schöpfung', mit Geist ausgezeichnet sehen möchten.
Die Menschwerdung
Vergegenwärtigen wir uns einige markante Schritte der Evolution im Vorfeld der Menschwerdung. Unspezialisierte spitzmausähnliche Insektenfresser waren die frühesten Säuger, von deren Linie die sogenannten Primaten (Halbaffen, Affen) abzweigten und beim Übergang zum Baumleben sich gestaltlich wandelten, indem neue Fähigkeiten und Fertigkeiten selektionswirksam wurden. Die Schnauze, als Trägerin des Geruchsinns, der an Bedeutung verlor, bildete sich zurück, während der Gesichtssinn mehr und mehr dominierte. Die frontale Gleichrichtung der Augen erlaubte den zielsicheren Griff in den Raum. Die Fähigkeit des Farbensehens war für Früchte-Esser ein Vorteil. Greiffüsse ermöglichten nicht nur das Anklammern an Ästen und senkrechten Stämmen, man konnte mit ihnen auch Früchte und anderes heranholen und untersuchen. Dazu war eine allseitig freie Beweglichkeit der Gliedmassen günstig.
Weitere Eigenschaften der späteren menschlichen Konstitution bildeten sich erst nach Preisgabe des Baumlebens aus: die Entwicklung von Gehfüssen, die die Fortbewegung auf unterschiedlichem Terrain ermöglichten. Auf dem Boden – zumal im hohen Steppengras – war die Fähigkeit des Sich-Aufrichtens wichtig, um Sicht und Überblick zu gewinnen – galt es doch, lauernde Gefahren rechtzeitig zu entdecken oder selber Beute zu machen.33
Der aufrechte Gang, das 'würdigste' Privileg des Menschen, ist also aus der Not geboren (und im übrigen auch nicht so ganz neu und einzigartig: Manche Saurier hielten sich aufrecht auf zwei Beinen, und die Pinguine zeigen ebenso stramme Haltung). Wir wiederholen, dass die Entwicklung zum Menschen hin weder geradlinig verlief, noch als zielgerichtet oder gar 'vorsätzlich' gesehen werden kann. Aber der menschliche Eigendünkel, nachdem er sich zuerst über die 'Beleidigung' einer 'niedrigen' Abstammung, 'vom Affen', wie es hiess, entrüstet hatte, will sich wenigstens zum Endzweck der Evolution erküren.
Hirnentwicklung und geistige Fähigkeiten
Das Tier-Mensch-Übergangsfeld34, dokumentiert durch zahlreiche Knochenfunde – wobei Schädel und Kieferbildung (Gebissform) besonders aufschlussreich sind – erstreckt sich über einen Zeitraum von ungefähr 30 Millionen Jahren. Der aufrechte Gang sowie andere typisch menschliche Merkmale prägten den Körperbau und die Schädelstruktur lange bevor die Hirnkapazität über die Grössenverhältnisse bei Menschenaffen hinaus wuchs. Innerhalb von ungefähr einer Million Jahren verdreifachte sich der Fassungsraum des Hirnschädels, so dass der Kopf die Proportionen annahm, die für den heutigen Menschen kennzeichnend sind. Dieser Stand war vor rund 200'000 Jahren erreicht.
Hirnentwicklung und Geistestätigkeit stehen in Korrelation zueinander.
Lange bevor wir das Tier-Mensch-Übergangsfeld betreten, hat die Ausbildung höherer Hirnfunktionen (welche die Lernfähigkeit betreffen) in der Evolution eine selektive Rolle gespielt: Lebewesen mit besser entwickeltem Grosshirn sind überlegen in ihrer Fähigkeit, individuelle Erfahrungen zu verwerten, also ihr Verhalten zu ändern, neuen Umständen anzupassen.35 Zwar sind sogar hirnlose Tiere wie der Regenwurm imstande, primitive Dressur zu nutzen, aber eine Ratte erweist sich demgegenüber als wahres 'Genie': Wo der Wurm nach vielen 'schmerzlichen' Erfahrungen lernt, zwischen links und rechts zu unterscheiden, kann eine Ratte ein ganzes Labyrinth bemeistern, wenn es gilt, zu einem Leckerbissen zu gelangen. Eine hochentwickelte Merkfähigkeit ist bei der Lebensweise der Ratte anscheinend eine Frage auf Leben und Tod, also selektionswirksam, wogegen der Regenwurm ohne dergleichen Künste auskommt.
Geistestätigkeit oder schlichter: verbesserte Lernfähigkeit, die mit Vergrösserung und verstärkter Furchung des Grosshirns einhergeht, muss als evolutionswirksamer Faktor begriffen werden. Der Trend zur Verbesserung der Gehirnleistung lässt sich an der entwicklungsgeschichtlichen Linie der Wirbeltiere eindrücklich dokumentieren. Da sich in der Evolution nur durchsetzen kann, was von selektivem Nutzen ist, muss der Ausbildung geistiger Fähigkeiten eine lebenswichtige Funktion zugesprochen werden.
Die Entwicklung des Gehirns, an der Schwelle der Menschenwerdung, hat als dominierender evolutionärer Vorgang zu gelten:
Die Verstärkung der Verstandeskräfte war in der Phase eine Notwendigkeit – keinesfalls ein 'Luxus', ein überflüssiges Nebenprodukt' oder 'Geschenk des Himmels'.36 Spezialisierungen verschiedenster Art führten in Sackgassen, da die Hochleistung mit Einseitigkeit und mangelnder Anpassungsfähigkeit erkauft war.
Die höhere Hirnfunktion bewies dagegen ihre Überlegenheit gerade in der Befähigung zu immer neuer Anpassung, zu aktiver Bewältigung wechselnder Umstände und Entdeckung überraschender und unbegrenzter Lebensmöglichkeiten.
Erfindergeist und gegenseitige Hilfe
»Nach den Gewohnheiten der Naturvölker und der meisten Säugetiere zu urteilen, lebte der Mensch (und sogar sein affenähnlicher Vorfahr) wahrscheinlich gesellig. Bei völlig sozialen Tieren wirkt die natürliche Zuchtauswahl zuweilen auf das Individuum durch Erhaltung von Variationen, die der Gemeinschaft nützen. Eine Gemeinschaft, die eine grosse Anzahl gutbegabter Individuen umfasst, nimmt an Zahl zu und ist siegreich über minderbegünstigte, selbst wenn das einzelne Glied keinen Vorteil von den andern Gliedern derselben Genossenschaft voraus hat (.,) Was die höheren sozialen Tiere betrifft, so ist mir keine Eigentümlichkeit bekannt geworden, die nur zum Besten der Gemeinschaft modifiziert worden wäre, obgleich manche für die Gemeinschaft von sekundärem Nutzen sind. Die geringe Kraft und Behendigkeit des Menschen, sein Mangel an natürlichen Waffen usw. werden mehr als aufgewogen: erstens durch seine intellektuellen Kräfte, mit deren Hilfe er sich schon im Zustand der Barbarei Waffen, Werkzeuge u.dgl. schuf; zweitens durch seine sozialen Eigenschaften die ihn dazu führten, seinen Gefährten zu helfen oder Hilfe von ihnen zu erhalten.«37
Schon Darwin war sich, wie unser Zitat belegt, im klaren, dass der Mensch (bzw. Vor-Mensch), als physisch schwaches, scheinbar benachteiligtes Lebewesen38, dennoch Überlegenheit erlangte durch sozialen Zusammenhalt, d.h. gegenseitige Hilfe39, und geistige Fähigkeiten, die die körperliche Schwäche 'mehr als aufwogen'. »Ein grosses, kräftiges, wildes Tier (wäre) vielleicht nicht sozial geworden (...), und das hätte am meisten den Erwerb höherer geistiger Qualitäten, wie Sympathie und Liebe für seine Mitgeschöpfe, verhindert.«37 Darwin konnte in der physischen Schwäche des Menschen keinen Widerspruch zum Grundgesetz der natürlichen Auslese sehen.40 Mit Nachdruck hebt er einen 'bewundernswerten Aufsatz' von Wallace hervor, worin aufgezeigt wird, dass »der Mensch, nachdem er sich zum Teil diejenigen geistigen und moralischen Fähigkeiten, die ihn von dem Tier unterscheiden, angeeignet hatte, zu körperlichen Modifikationen durch natürliche Zuchtwahl oder andere Mittel nur wenig geneigt sein konnte. Denn der Mensch ist infolge seiner geistigen Fähigkeiten imstande, 'sich mit seinem unveränderten Körper mit dem veränderlichen Weltall in Einklang zu setzen'.37
Die natürliche Selektion bedarf riesiger Zeiträume, um durch körperliche Umgestaltung einer veränderten Umwelt sich anzupassen41, sie ist ein langwieriger und wenig elastischer Vorgang. Die biologische Ausstattung des Menschen dagegen befähigte ihn, auf alle erdenklichen Umstände mit entsprechenden Erfindungen zu reagieren und schliesslich durch immer wirkungsvollere Techniken sich eine eigene Umwelt zu schaffen.42 Doch nur Kooperation ermöglichte grössere Unternehmungen, und hierzu war eine hochdifferenzierte Verständigungsfähigkeit vonnöten: die Sprache. Sie ist weder ein 'Geschenk' noch eine einmalige Erfindung, sondern hat sich aus simplen Anfängen allmählich angereichert.
Die Funktion des Psychischen
Die Evolutionsgeschichte lehrt uns, die Psyche nicht als ein mysteriöses Geschenk des Himmels zu betrachten, das eine Zeitlang ('in dieser Welt', aber nicht 'von dieser Welt') hinieden weilt, sondern das Pychische ist eine natürliche Funktion, die sich im Laufe der Entwicklung des Lebendigen herausgebildet hat.
Wie das Verhalten vieler Organismen mit erstaunlicher Exaktheit (und scheinbarer Voraussicht) durch Instinkte gesteuert ist, so hat sich für das Funktionieren vieler sozial lebender Tiere eine elastische Lernfähigkeit und ein differenziertes Kommunikationsvermögen als überlegen durchgesetzt.
Endlich im menschlichen Bereich wurde Intelligenz, getragen von Gemeinschaftsgefühl, Bedingung sozial effizienten, also lebenserhaltenden und lebensfördernden Handelns. Das Seelische im Menschen ist nicht die Krönung der Evolution im Sinne einer nutzlosen Zierde, eines 'Status-Symbols', das die 'höhere Geburt' signalisiert – das Seelische ist kein Luxus, sondern tragendes Lebenselement des gesellschaftlichen Wesens Mensch.
Kybernetisch43 gesprochen ist damit eine neue Stufe der Informationsübertragung eingeführt: Beruht die Erhaltung und Fortpflanzung allen Lebens auf einem Kodex, der in die Erbsubstanz jeder Zelle chemisch 'eingraviert' ist, so hat die Evolution auf der menschlichen Stufe andere Informationsträger bereitgestellt. Das ungeheure Speicher- und Verarbeitungsorgan des Zentralnervensystems: das Grosshirn, befähigt den Menschen, sich in einer zwischenmenschlichen Umwelt zurechtzufinden und sinnvoll zu antworten. Die Übertragung der Sprache (als akustisches Zeichensystem) in optisch fixierte Schriftzeichen ermöglichte die Aufbewahrung und Tradierung der Information ausserhalb des organischen Speichers, des Gehirns.
Aber bevor der Mensch Verstand hat, hat er Gefühle: sie sind älter und grundlegender als die rationale Fähigkeit logischer Verknüpfung.
Das Denken schwimmt gleichsam auf einem Meer grossteils unbewusster Gefühle, die das Erbe unserer frühen Eindrücke sind, welche unser Seelenleben geprägt, 'programmiert' haben.44
Die Zielstrebigkeit des Psychischen
Wir haben gesehen, dass die Regelungsvorgänge, die für die Erhaltung des Fliessgleichgewichts in der lebenden Substanz kennzeichnend sind, Grundfunktionen alles Lebendigen darstellen, welche sich in der von organischen Verbindungen wimmelnden Ursuppe einspielten.45 Das Auswechseln von Stoffen geschieht nach Mustern, die ein Programm steuern. So fungiert bei der Zellteilung die Erbsubstanz als chemische Matrize (DNS, RNS), die eine exakte Rekonstruktion gewährleistet. Die 'Überwachung' geschieht automatisch. Kleine Ungenauigkeiten in der Reproduktion führten zur Aufspaltung in die vielfältig angepassten Lebensformen. Sämtliche überlebenden Organismen sind das Resultat unablässiger Bewährungsproben. So ist auch die biologische Ausrüstung der Gattung Homo das Produkt des nach Jahrmillarden zählenden Ausleseprozesses.
Bis hieher von Zweckmässigkeit keine Spur: »Die ganze Teleologie (Lehre von der Zweckmässigkeit M.G.) hat ihre Wurzel in der Ansicht, dass der Baumeister der Welten so verfährt, dass der Mensch nach Analogie menschlichen Vernunftgebrauchs sein Ver-fahren zweckmässig nennen muss. (...)
Wenn ein Mensch, um einen Hasen zu schiessen, Millionen Gewehrläufe auf einer grossen Heide nach allen Richtungen abfeuerte; wenn er, um in ein verschlossenes Zimmer zu kommen, sich zehntausend beliebige Schlüssel kaufte und alle versuchte; wenn er, um, ein Haus zu haben, eine Stadt baute, und die überflüssigen Häuser dem Wind und Wetter überliesse: so würde wohl niemand dergleichen zweckmässig nennen, und noch viel weniger würde man irgendeine höhere Weisheit, verborgene Gründe und überlegene Klugheit hinter diesem Verfahren vermuten. (...) Der Untergang der Lebenskeime, das Fehlschlagen des Begonnenen ist die Regel; die 'naturgemässe' Entwicklung der Spezialfall; es ist die Ausnahme, und diese Ausnahme schafft jene Natur, deren zweckmässige Selbsterhaltung der Teleologie kurzsichtig bewundert.«46
»Dasselbe gilt nun auch für die menschliche Spezies. Gewiss verfügt die Menschheit über ein Nervensystem, mit dem sie ihr Funktionieren bis zu einem gewissen Grad kontrollieren kann. Und es ist klar, dass diese Kontrollmöglichkeit fortwährend die Idee nahelegt, die Menschheit müsse auch einen Zweck haben.«47
Die höhere, ausserhalb menschlicher Zielsetzungen liegende Zweckmässigkeit scheint also eine Selbsttäuschung zu sein. – Über die 'innere Zweckmässigkeit' organischer Funktionsgefüge (der Lebewesen also) haben wir oben ('Finalität') schon einige Bemerkungen gemacht. Die Summierung und Vervielfältigung gegenseitig vermittelter Regelungsvorgänge erwecken in ihrem zeitlichen Verlauf den Eindruck der Planmässigkeit und Zielstrebigkeit.
Der Mensch verfügt nun nicht über ein organisch fixiertes 'Programm', das die Körperfunktionen steuert und 'Verhaltensanweisungen' gibt, welche die Erhaltung der Art sicherstellen, ihre Zukunft also durch die Selektion in der Vergangenheit garantiert scheint – sondern in Analogie zu dieser (vorgetäuschten) Zielstrebigkeit instinktiver Muster wiederholt der Mensch in seinem Leben Verhaltensschemata, die Leitmotive einer Kindheit variieren.
Die 'Zielstrebigkeit' im Leben ist so gesehen Wiederholungszwang', der Mensch repetiert und perfektioniert lediglich ein 'Programm', das er in seiner Kindheit einstudiert hat, er bewegt sich gleich einer Spinne im Netz, immer in Richtung auf jenen virtuellen Zielpunkt, in dem alle Fäden seines Sinnens und Trachtens, realer und irrealer Strebungen, des Wachens und Träumens, der Wirklichkeit und des Wahns, zusammenlaufen.
So eignet unserem Seelenleben eine uns teils verborgene Dynamik, es strebt nach Herstellung einer Situation, die je nachdem Ausdruck gesunden Gemeinschaftsgefühls oder aber übersteigerten kompensatorischen Strebens ist, das die Zusammenarbeit stört.
»Das Ziel der Überlegenheit ist für jedes Individuum ein persönliches und einmaliges Ziel. Es hängt von dem Sinn ab, den es dem Leben gibt. Dieser Sinn ist keine Sache von Worten. Er wird im Lebensstil eines Menschen aufgebaut und zieht dann durch ein ganzes Leben wie eine seltsame Melodie, die er selbst geschaffen hat, hin. In seinem Lebensstil drückt das Individuum das Ziel aber nicht so aus, dass wir es für alle Zeiten formulieren können. Es bringt das Ziel nur vage zum Ausdruck, so dass wir es aus Andeutungen, die der Mensch uns gibt, erraten müssen.«48
In den ersten Lebensjahren stellt sich in uns der Kompass ein, der dem Seelenleben die Richtung weist; unsere Erlebnisse und Eindrücke werden nun nach dieser Leitlinie orientiert. Der menschliche Organismus verarbeitet also nicht nur Nahrung in körpereigenes Protein, sondern auch seelische Eindrücke werden 'einverleibt', angeeignet und nach realen oder fiktiven Bedürfnissen ausgerichtet.49 Unter diesem Blickpunkt zeigen auch scheinbar widersprüchliche Tendenzen ihre geheime Zielrichtung, die 'Situation zu beherrschen', je nachdem als Machtanspruch oder als 'treibende Kraft', mitzuspielen im Feld zwischenmenschlicher Beziehungen.
»Und alle Richtungen nach einem Ziel der Überwindung sind anders für jedes Individuum und in tausend Nuancen verschieden, so dass uns die Worte fehlen, in jedem Fall mehr als das Typische zu benennen, und wir gezwungen sind, zu weitläufigen Beschreibungen Zuflucht zu nehmen. Wohin sein Weg geht, kann das Individuum selbst ohne individualpsychologische Einsicht kaum je deutlich sagen. Oft sagt es das Gegenteil. Erst das erkannte Bewegungsgesetz gibt uns den Aufschluss.«50
Psychische Funktion und menschliche Natur
Eine menschliche Sozietät funktioniert nur unter der Bedingung, dass die Einzelindividuen ihre lange Wachstumsperiode damit zubringen, eine Vielzahl von Verhaltensweisen und Fertigkeiten zu erlernen. Menschliche Lebensform kann also gerade nicht als instinktive Fixierung51 mitgeliefert werden, sondern die biologische Mitgift besteht in einer allseitig offenen Ansprechbarkeit und Lernbereitschaft. Dieses biologische Potential ist nun nicht mit völliger Willkür 'programmierbar' sondern das 'psychische Organ' bildet sich nach menschlichen, humanpsychologisch erfassbaren Gesetzmässigkeiten. Der Mensch reagiert auf Eindrücke zwar unvorhersehbar, aber nicht beliebig: individuell, doch artspezifisch. Das Funktionieren ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, Verstösse gegen die Natur ziehen unweigerlich Folgen nach sich, machen das Individuum krank. So stellt sich uns am Ende erneut die Frage nach der menschlichen Natur. Wir haben aufgezeigt, dass der Mensch ein Glied der natürlichen Evolution ist und nur aus Befangenheit und Eitelkeit meint, eine Sonderstellung 'jenseits der Natur' behaupten zu müssen. Ein alter Irrtum schleppt sich durch die Geschichte, der trennt den Geist vom Leibe und entzweit den Menschen mit der Natur, weil er sie missversteht.
»Der Mensch ist ein Werk der Natur; er existiert mit der Natur, ist ihren Gesetzen unterworfen, kann sich nicht von ihr losmachen und nicht einmal in Gedanken darüber hinausgehen... Darum soll der Mensch aufhören, ausserhalb der Welt, die er bewohnt, Wesen zu suchen, die ihm das Glück verschaffen sollen, das die Natur ihm verweigert. Statt dessen sollte er diese Natur ergründen, ihre Gesetze erlernen, ihre Energie und ihre unveränderliche Handlungsweise betrachten. Dann soll er diese Entdeckungen zu seinem eigenen Wohlergehen ausnützen...«52
Inzwischen hat der Mensch die Natur erforscht, hat ihr die Geheimnisse entrissen und sich die Kenntnisse zunutze gemacht. Nur seine eigene Natur verkennt er noch immer. Die Wissenschaft vom Menschen, die Anthropologie, befrachtet und in ihrem Fortschreiten gehindert von altem Aberglauben, hat Mühe, sich von vorwissenschaftlichen Meinungen zu befreien. Die Erkenntnisse über die menschliche Natur können sich im Bewusstsein der Bevölkerung nur schwer ausbreiten, weil Vorurteile von massiven Interessen wohlweislich gepäppelt werden. Solange aber mit Berufung auf ein von Unwissenheit und Gewalt gezeichnetes Menschenbild die Befunde einer nichtspekulativen, den Naturwissenschaften verpflichteten psychologischen Athropologie missachtet sind, wird der Mensch trotz technischer Erfolge unwürdigen und unmenschlichen Zuständen verhaftet bleiben.
Was heisst aber Naturwissenschaftlichkeit im psychologischen Bereich?53 Soll es bedeuten, dass wir mit den Behavioristen54 unter Ausschaltung aller Gefühle eine 'streng objektive' Verhaltensforschung durchführen? Ist das Gefühlsleben einem 'schwarzen Kasten'55 zu vergleichen, dessen Inneres wir nicht kennen? – Der Psychologe, zumal in der Psychotherapie, bleibt nicht aussenstehender Beobachter, sondern er fühlt sich ein. Seine Anteilnahme, die auf Einfühlung beruht, macht erst die Gefühlsübertragung möglich, welche in zwischenmenschlichen (und speziell therapeutischen) Beziehungen spielt. Wir verneinen durchaus nicht, dass es sich auch bei der intuitiven Einfühlung um einen Vorgang der 'Information' handelt56, nicht um einen mysteriösen Akt.
Das Ursache-Wirkung-Schema, wie wir gesehen haben, ist unbrauchbar im Bereich psychischer Funktionen. Eine linear-eindimensionale Verknüpfung (»wenn – dann«) führt im Seelenleben zu Abstrusitäten, mindestens zu Schematismen. Mit dieser Einsicht weichen wir nicht ab von einem naturwissenschaftlichen, streng em1pirischen Vorgehen. Wir überantworten das Seelische nicht einer geheimnisvollen Unbestimmbarkeit und einem rätselhaften Ungefähr. Die 'Unberechenbarkeit' des Psychischen ist nichts 'Unerklärliches', Mystisches, sondern entspricht der Offenheit und Komplexität eines biologischen Systems, das Eindrücke individuell verarbeitet und beantwortet – keineswegs willkürlich und 'nach Gutdünken'.
Die Unvorhersehbarkeit hat nicht das Geringste mit Willensfreiheit zu tun, welche der idealistischen Spekulation entspringt und mit naturwissenschaftlicher Psychologie nicht zu vereinbaren ist. Auch in den verklausulierten Formulierungen der 'freien Entscheidung', der 'Willensstärke', der 'Entschlusskraft', der 'Zurechnungsfähigkeit' spukt die Idee der Willensfreiheit weiter. Zwar ist die Tiefenpsychologie vom mechanistisch-energetischen Triebmodell Freuds57, das ausgesprochen spekulative Züge trägt, abgerückt: aber nicht, um einem idealistischen Subjektivismus Raum zu geben. Mag man die Aktivität des Kindes schöpferisch nennen – sie ist nicht 'frei' im Sinne bewusster Entscheidung. Es 'erfindet' wohl seinen Lebensplan in der Auseinandersetzung mit der Umwelt, aber es hat keine 'Wahl'.
All die schönklingenden Formulierungen, wonach der Mensch 'sich selber setze' und 'seinem Wesen nach Freiheit' sei, täuschen nur über die schreckliche Tatsache hinweg, dass das Kind den verheerenden Erziehungspraktiken schutzlos ausgeliefert ist und keine Wahl hat.
Zwar reagiert das Kind individuell und agiert sogar erfinderisch – aber mit 'freier Entscheidung', wir wiederholen, hat dies nichts zu tun. Wer behauptet, der Mensch könne wählen, möchte ihm eine Verantwortung zuschieben – um ihn dafür zu bestrafen.
Die Doktrin vom freien Willen entstammt einer vorwissenschaftlichen Vergeltungsmoral, die eine zutiefst unmenschliche Praxis in Erziehung, Justiz, Politik und in der Behandlung (seelisch) Kranker legitimiert.
Die Geschichtlichkeit des Menschen, seine Gewordenheit im biologischen und psychologischen Sinne, wurde idealistisch umgedeutet. Losgelöst von seiner natürlichen Herkunft hat man den Menschen als 'Geisteswesen' definiert, ihn zum Träger und Vollstrecker des 'Weltgeistes' (Hegel) erkoren und die Geschichte als eine Kette 'freier Entscheidungen' interpretiert. Hatte ein gläubiger Dogmatismus den Menschen dem Walten der Vorsehung unterworfen, so hat die spekulative Philosophie den 'Heilsplan' beibehalten, indem sie an Stelle der Vorsehung die 'List der Vernunft' (Hegel) einsetzte.58
Wie wir uns von derlei spekulativen historischen Konstruktionen abwenden, so müssen wir gleicherweise den vitalistischen Überhöhungen des Evolutionsgeschehens den Abschied geben.59 Wenn wir die psychische Entwicklung des Menschen aus der Sicht der Evolution besser begreifen, werden wir aufhören, nach 'höheren Sphären' zu schielen (beispielsweise nach der 'Noo-Sphäre' eines Teillard de Chardin60) und das Seelische als ein natürliches Agens des Lebens verstehen, wie es dem sozialen Charakter des Menschen entspricht.
»Der Mensch ist nur unglücklich, weil er die Natur missversteht. Sein Geist ist so von Vorurteilen angekränkelt, dass man glauben könnte, er sei für immer dem Irrtum verfallen. Die Hartnäckigkeit, mit der er sich an die undurchsichtigen Meinungen klammert, die ihm von Kindheit an eingeflösst werden, (...) und die daraus entstehende Beeinträchtigung seines Geistes, scheinen ihn ein für allemal dem Irrtum zu weihen. (...)Er lässt sich seine Ideen von andern vorschreiben, die selbst im Irrtum befangen sind oder ein Interesse daran haben, ihn zu betrügen. Um den Weg aus dieser Düsternis, aus diesem kretischen Labyrinth zu finden, braucht es einen Ariadnefaden und all die Liebe, die sie für Theseus empfand. (...) Das verlangt unerschütterlichen Mut (...) und entschlossene Ausdauer.«61
Literaturnachweise und Anmerkungen:
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Vgl. Jean Rostand, Das Abenteuer des Lebens
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Unterschiede in Hautstruktur, Pigmentierung, Behaarung u.a. lassen sich z.T.als Anpassung an verschiedenartige klimatische Bedingungen er klären. Die biologische Differenzierung der Geschlechter impliziert keinerlei spezifisch männliche oder weibliche psychisch-geistige Fähigkeiten – die Vorstellungen hierüber sind kulturabhängig.
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Georghi F. Debetz, Die menschliche Rasse, Unesco Kurier 65/4, S.5. An einem Kongress von Anthropologen aus der ganzen Welt, die ihre Erkenntnisse über die biologischen Aspekte der Rassenfrage darlegten, wurden 12 Thesen einstimmig angenommen. Die darin »dargestellten biologischen Gegebenheiten stehen in offenem Widerspruch zu den Glaubenssätzen des Rassismus.«
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Charles Darwin, Die Entstehung der Arten, 1859; Die Abstammung des Menschen, 1871
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Vgl. A.F. Thienemann, Leben und Umwelt, Hamburg 1956 (rde Nr. 22)
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Charles Darwin, zitiert nach J. Huxley, Entfaltung des Lebens, S. 40, Hamburg 1954 (fibü Nr. 61).
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Charles Darwin, l.c. S. 40.
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Vgl. z.B.Albrecht Egelhaaf, Vom Molekül zur Zelle, in»Vom Ursprung der Arten«,, S.58ff, Hamburg 1969 (roro tele Nr.6) - »Die lebende Zelle«, roro-Time-Life, 1969, S. 76ff
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Die Abstammungslehre wurde von 'Hütern des Geistes' in höchst unsachlicher Weise verunglimpft und als 'moralisch anrüchig' denunziert.
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Die Oekologie befasst sich als wissenschaftliche Disziplin mit den Beziehungen der Organismen zur Umwelt.
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Eine anschauliche Einführung in Molekularbiologie, Genetik u.a. gibt HJ. Bogen in »Knaurs Buch der modernen Biologie«, München/ Zürich 1967 (Buchklub ex libris)
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Vgl. z.B. J.P. Sartre, Situationen, »Materialismus und Revolution«, S.29, Hamburg 1956. Der Grundansatz des Existentialismus, die ))Existenz der »Essenz« voranzustellen (d.h. das Dasein kommt vor der Sinngebung), entspricht der naturwissenschaftlich-entwicklungsgeschichtlichen Sicht.
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Vgl. J. Huxley, l.c., S.89f.
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Manche Regelungsmechanismen sind genau bekannt und z.T. steuerbar, doch lässt die Komplexität des Gesamtsystems eine sichere Prognose häufig nicht zu. (Vgl. oben: 'Kausalität und Prognostik')
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Vgl. Karl Löwith, W eltgeschichte und Heilsgeschehen, Stuttgart, l 961
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Vgl. J. Huxley, l.c., S. 63ff: 'Biologische Vervollkommnung.
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Michel Foucau1t, Von der Subversion des Wissens, München, 1974, S.29 (Reihe Hanser 150).
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Sigmund Freud (1856-1939) hat die Lehre vom Unbewussten wissenschaftlich begründet.
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Rene Descartes (1596-16.50), Discours sur la methode, 1637. Descartes, der von systematischem Zweifel zur Selbstvergewisserung durch das Denken gelangt, schliesst hieraus auf ‘ein Etwas, eine Substanz, deren ganze Natur und Wesen ausschliesslich im Denken besteht und die zu ihrer Existenz weder des Raumes bedarf noch von irgend etwas Materiellem oder Körperlichem abhängt. Mithin ist dieses Ich, d.h. der Geist, durch den allein ich bin, was ich bin, vom Körper durchaus verschieden...’
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Friedrich Nietzsche, Zarathustra: »Von den Verächtern des Leibes«,
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Vgl. z.B. KH. Deschner, Abermals krähte der Hahn – Eine kritische Kirchengeschichte, Stuttgart 1962
Joachim Kahl, Das Elend des Christentums, Hamburg 1968 (roro 1093, S. 42ff: 'Blutige Verfolgung der Christen untereinander.') -
Apriorismus: Philosophische Lehre, die eine von der Erfahrung unabhängige Erkenntnis annimmt.
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Vgl. z.B. Henri Bergson, Materie und Gedächtnis, Frankfürt/M. '64 (Übers.)
Für Bergson ist das Gehirn ein 'Bild' unter 'Bildern': 'Das Gehirn zur Bedingung des Gesamtbildes machen wollen, heisst sich selbst widersprechen, da das Gehirn laut Hypothese ein Teil dieses Bildes ist. Also: Weder die Nerven noch die Nervenzentren können das Bild des Universums bestimmen.' (S.54) -
Vgl. John Locke (1632-1704), Ein Brief über Toleranz (1685), Hamburg 1957 A Letter concerning Toleration (engl.-deutsch)
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John Locke, Essay concerning Human Understanding, geschr. um 1670 Locke lehnt die Annahme angeborener Ideen ab: 'Nichts ist im Verstand, was nicht zuerst in der Sinneswahrnehmung war.' Der Mensch, wenn er zur Welt kommt, ist 'ein unbeschriebenes Blatt'.
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zitiert nach EA. Lange, Geschichte des Materialismus, Bd.1, S.356, Frankfurt/M. 1974 (Erstausgabe 1866)
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M. Bakunin, Philosophie der Tat, S.102, Köln 1968, aus 'Gott und der Staat' (1871)
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Vgl. J.P. Sartre, l.c. S. 27ff.
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Auch leblose Substanzen reagieren u.U. ähnlich wie Lebewesen.
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Die Behavioristen: Watson (1878-1950), Skinner (*1904), im Bestreben, streng naturwissenschaftlich vorzugehen, klammern Begriffe wie Bewusstsein, Empfindung, Wahrnehmung, Aufmerksamkeit aus und versuchen mit Reiz-Reaktions-Modellen durchzukommen.
Vgl. I.B. Watson, Psychology from the Standpoint of a Behaviorist, 1919 -
Bekannte Namen wie Lorenz, Leyhausen, Eibl-Eibesfeldt, haben sich psychologisch diskreditiert durch unqualifizierbare Sprünge aus der Verhaltensforschung in die Humanpsychologie.
Vgl. A. Kaiser, Fragwürdige Verhaltensforscher, Psychologische Menschenkenntnis, Jg. 6/1 -
Schon Darwin trägt in seiner 'Abstammung des Menschen' recht eindrückliche Beispiele von Gemütsbewegungen bei Säugern vor. Ausserdem schrieb Darwin ein heute noch lesenswertes Werk: »Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei den Menschen und den Tieren«.
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Manche Affen sind durchaus fähig sogar längere Strecken aufrecht zu laufen, wenn sie Beute in den Händen tragen. – Der Übergang zu andauernd aufrechter Haltung bedingte jedoch eine Anpassung des Körperbaus, speziell des Skeletts. Die Beine wurden länger und kräftiger als die Arme. Das Becken verbreiterte sich zu einer Schüssel, die das Gedärme trug. Die Wirbelsäule erhielt eine leichte doppelte S-Krümmung. Der Schädel richtete sich senkrecht zur Wirbelsäule in eine Gleichgewichtslage. Der Brustkorb wurde flacher. –
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Der Ausdruck aus der Fachliteratur deutet an, dass wir mit zahlreichen Zwischenstufen und Nebenlinien zu tun haben, die jede Abgrenzung illusorisch machen.
Vgl. z.B. Gerhard Heberer, »Die Herkunft des Menschen«, S. 130ff. in »Vom Ursprung der Arten«, Hamburg 1969, (roro tele Nr.6) -
'Wer lernt, ändert sein Verhalten.' Dies die lapidare Formel der Behavioristen (Verhaltensforscher). Das Kriterium der Verhaltensänderung ist stichhaltig, aber die streng naturwissenschaftlichen Versuchsanordnungen bleiben im Vorfeld von Lerntheorien (z.B. Pawlows 'Bedingter Reflex'), die wohl Dressurleistungen zu erklären vermögen, den komplexen Funktionen des Psychischen indessen ziemlich hilflos gegenüberstehen.
Vgl. z.B. W.E Fuchs, Knaurs Buch vom neuen Lernen: »Auf dem Weg zu den Lerntheorien«, S.193ff.(München/Zürich, 1969, ex libris)
Vgl. auch Anm. 51 -
Vgl.J.Huxley, l.c., S.91: ,,Ich fühle mich zu der Annahme gedrängt,(...) dass alle lebendige Substanz geistige – oder besser: geistähnliche – Eigenschaften hat. (...) Unter der Voraussetzung, dass die natürliche Auslese die einzige Kraft ist, die Veränderungen in der biologischen Evolution hervorbringt, könnten ein hoher Grad von Geistestätigkeit und Geistesorganisation nur dann wirksam gewesen sein, wenn er von biologischem Vorteil für seine Besitzer wäre.«
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Charles Darwin, Die Abstammung des Menschen, 1871 (Übers., Leipzig, 1949), S.70f
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Darwin nennt den nackten, ungeschützten Zustand des Körpers, den Mangel grosser Zähne und Klauen, die geringe Kraft und Schnelligkeit, den mangelhaften Geruchssinn und das Unvermögen, rasch zu klettern.
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Vgl. Peter Kropotkin, Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt, Leipzig, 1910
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Sozial-Darwinismus' als 'Kampf aller gegen alle' ist eine hinterhältige Verdrehung, denn Darwin hebt den Erfolg der Zusammenarbeit in tierischen und menschlichen Gemeinschaften und die Beständigkeit 'sozialer Instinkte' hervor.
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Bei kurzlebigen Kleinlebewesen (Mikroben, Insekten) mit ungeheuren Fortpflanzungsraten vollzieht sich der Anpassungsprozess überraschend schnell. Resistente Mutanten trotzen den Bakteriziden und Insektiziden und vermehren sich ungehemmt.
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'Technische' Leistungen sind zwar kein absolutes Novum in der Evolution, wie etwa Termitenbauten beweisen. Webervögel und der Biber sind ebenso erstaunliche Beispiele für die Fertigkeit, sich 'häuslich einzurichten'. (Vgl. KV. Frisch, Tiere als Baumeister.) Sie sind indessen mehr oder minder fest 'programmiert', auf Instinkte fixiert – nur der Mensch kann sich immer Neues einfallen lassen.
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Der Mathematiker Norbert Wiener (1894-1964) begründete die moderne Kybernetik, welche die Struktur von Regelungsvorgängen, der Selbststeuerung (Automatik), im technischen und biologischen Bereich, untersucht.
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'Programmierung' des Seelischen darf nicht wörtlich verstanden werden, weil die Reaktionen lebender Organismen, speziell auf psychischer Ebene, nicht sicher voraussagbar sind. (Vgl. oben: 'Kausalität und Prognostik') Immerhin kann auch für den 'offenen Spielraum' der Verarbeitungs- und Reaktionsmöglichkeiten ein kybernetisches Modell gegeben werden – wir brauchen keine 'unerklärlichen Seelenkräfte' zu bemühen.
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Vgl. HJ. Bogen, l.c. S.291ff.
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F.A. Lange, l.c„ S.691 (Bd.2)
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M. Foucault, 1.c. S.30
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Alfred Adler (1870-1937). What life should mean to you, Boston 1931, S. 57 (zitiert nach Ansbacher. Individualpsychologie, München/ Basel 1972, S.181) Taschenbuchausgabe »Der Sinn des Lebens«, fibü 6179
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Vgl. H. Vaihinger. Die Philosophie des Als Ob. Berlin 1911
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A. Adler, Der Sinn des Lebens, Wien; Leipzig 1933, S.49/50
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Auch Tiere, bei denen die Instinkte vorherrschen, haben ein beschränktes Lernvermögen. Vgl. S.A. Barnett, Instinkt und Intelligenz, :Hamburg 1971 (Übersetzg.), fibü 6067
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Holbach (1723-1789), Das Natursystem, 1770, zitiert nach W. u. A. Durant, Kulturgeschichte, Bd. 28, S.350. Der Ansatz des franz. Philosophen der Aufklärung bedeutet eine konsequente Einordnung des Menschen in das Naturgeschehen.
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Vgl. A. Cho, Tiefenpsychologie auf naturwissenschaftlicher Grundlage, Psychologische Menschenkenntnis, Jg. 1971, S.411ff
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Vgl. Anm. 30) und 35)
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Die Black-Box-Theorie befasst sich mit der Erkenntnis von Systemen (physikalischen oder biologischen), in die man nicht 'hineinschauen' kann, deren Informationsverarbeitung und Reizbeantwortung jedoch wichtige Aufschlüsse erteilt.
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Intuitiv nennen wir ein ganzheitliches Erfassen, eine simultane Schau, ohne dass wir Einzelheiten mühselig zusammenklauben müssen. Diese Fähigkeit ist keineswegs unerklärlich.
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Der Aggressions-, Destruktions- oder Todestrieb ist eine unhaltbare Konstruktion. Vgl. A. Kaiser, Aggressivität als anthropologisches Problem, in »Der Mythos vom Aggressionstrieb«, München 1973. Eine Kurzdarstellung von Freuds Trieblehre findet sich im »Abriss der Psychoanalyse« (1938) (fibü 47)
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Vgl. Karl Löwith, l.c. S.55ff.
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So endet Bergson, der seinen 'elan vital' metaphysisch ausmünzt, in spiritualistischen Verstiegenheiten. (Vgl. Anm. 23)
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Teilhard de Chardin (geb. 1881), Jesuit und Paläontologe, verbindet die Evolution mit visionären Spekulationen. Die Noo-Sphäre (Geistes Sphäre) soll im 'Punkt Omege' die 'Christogenese' hervorbringen. 'Le Phenomene Humain', 1938)
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Holbach, l.c„ S. 346
- Quelle: https://seniora.org/administrator/index.php?option=com_content&view=article&layout=edit&id=2878