Opium fürs Heidenvolk

Oh Gott, oh Gott: Fromm sein ohne Gott
Von Roberto J. De Lapuente
30. November 2019
Es ist ein neues religiöses Zeitalter angebrochen. Eines ohne klassische Religionen  – jedenfalls in der westlichen Welt. Dort herrscht eine Religiosität ohne Gott und Sachlichkeit. Sie stößt in ein Vakuum hinein, das der Liberalismus hinterlassen hat.

Neulich trat Frank-Markus Barwasser, einem breiten Publikum bekannt als Erwin Pelzig, mal wieder in Frankfurt auf. Auf der Bühne berichtete er dann von seinem Metzger: Mit dem kam er neulich ins Gespräch über das Klima. Der Fleischexperte glaube ja nicht an den Klimawandel, sagte er dem Kabarettisten, der darauf erwiderte, dass man das nun wirklich nicht mehr beanstanden könne. Nur noch das wirkliche Ausmaß stelle sich als zentrale Frage. Aber die Wissenschaft sei sich doch ziemlich einig darüber, dass er menschengemacht sei. Der Metzger meinte, er zweifle die Wissenschaftler überhaupt nicht an, das stimme sicher alles auch, da seien ja Experten am Werk, was die sagen und erforschen, würde er nie anzweifeln   – aber er glaube es halt einfach trotzdem nicht.

Die Szene ist, wenn sie sich so nicht ganz genau zugetragen haben mag, zumindest sehr gut erfunden. Denn um Glaubensfragen geht es in der heutigen Zeit mehr als noch vor Jahren. Die einen glauben nicht an einen Klimawandel, der von Menschen verursacht wird (oder glauben an überhaupt keinen Wandel des Klimas)   – die anderen glauben an ihn so sehr, dass sie im zelotischen Eifer den radikalen Abbruch der uns bekannten Ordnung favorisieren.

Oh Gott, oh Gott: Fromm sein ohne Gott

Den Kirchen schwinden die Gemeinden. Ob katholische oder evangelische Kirche: Die Austritte sind enorm, gehen jährlich in die Hunderttausende. Diese Schwemme kann das bisschen Esoterik, das nach wie vor boomt, nicht spirituell auffangen. Das Zeitalter der Religiosität, so könnte man für Deutschland, aber wohl für die Industrieländer ganz generell, als quasi beendet betrachten. Und trotzdem zeigt sich hin und wieder dann doch, dass es sowas wie eine Sehnsucht nach Glauben, nach einer unverbrüchlichen Wahrheit gibt. Wenn freilich auch ohne Gott und transzendente Riten.

Nehmen wir doch neulich den recht unkritischen Umgang mit Extinction Rebellion, einer ursprünglich britischen Klimaschutz-Gruppierung, die nicht ganz zu falsch in den Ruch geriet, einen Hang zu eschatologischer Weltsicht und esoterischen Praktiken zu pflegen. Aber selbst im sich aufgeklärten gebenden Juste Milieu des Liberalismus erntete die Gruppe dafür keine Kritik, im Gegenteil, hier habe man es ja mit Mitstreitern zu tun, die wollten doch was Gutes bewirken, den Klimaschutz erzwingen. Wenn das mit Teestunden und autogenen Training möglich ist: Warum denn bitte nicht?

Wie sehr bereit man ist zu glauben, erkennt man fast in diesem gesamten Komplex namens Klimadebatte. Man suggeriert dem Publikum, dass man es nur wollen, genug erzwingen wollen muss, dann ist die Kehrtwende ein Klacks. Was anderes als profaner Glaube ist es bittschön, wenn »Klimastreiter« von der Kanzel predigen, dass es nur eine Bekenntnisfrage sei, um auf den richtigen Pfad zu gelangen?

Das alles klingt letztlich wie das spirituelle Motivationstraining von Geistlichen, die einem einreden wollen, dass man bloß inbrünstig bleiben muss, auch wenn dies zugegeben manchmal nicht so einfach ist. Das hat was Messianisches, dringt auf Sendung, riecht nach einem neuen Evangelium. Für alternative Fakten   – und damit seien an der Stelle mal nicht die wirren Vorstellungen von »Klimakritikern« gemeint   – ist man nicht zu sprechen. Stichwort zum Beispiel: Starker CO2-Ausstoss afrikanischer Tropenwälder. Die absolute und radikale Reduktion des Kohlenstoffmonoxids als neue Sittenmoral ist die Glaubenslehre; sie duldet kein Abbild neben sich.

Die Welt als Wille und Vorstellung

Das Paradies am Ende des Weges nennt sich dann: Klimaneutralität. Das hohe Ziel, der Garten Eden einer sauber-mobilen Zukunft, das selbst die Politik dann und wann beschwört. Wer Zweifel an der Klimaneutralität hegt, wird zurechtgerückt. Wie ich neulich, als ich in den sozialen Netzwerken als Gegenargument zu meinem klimaneutralen Defätismus serviert bekam: Natürlich würde es Klimaneutralität irgendwann geben   – weil es das geben muss nämlich. Die Welt wirkt hier als eiserner Wille, orientiert sich nicht an etwaigen Realismen, sondern an Vorstellungen.

Man muss ja nicht gleich so pessimistisch sein, wie der Philosoph Karl Jaspers, der mal behauptete, dass »dieser Sprung des Menschseins, der die Geschichte zur Folge hat, […] aufgefasst werden [kann] als das Unheil (…) Alles, was Geschichte bewirkt, zerstört am Ende den Menschen; die Geschichte ist ein Vernichtungsprozess in der Erscheinung eines vielleicht grandiosen Feuerwerks.« Aber man kann zumindest mit Alexander von Schönburg festhalten, dass es ab dem Punkt, da der Mensch sesshaft wurde, größere Mengen an Nahrung und Energie benötigte, »kein Zurück mehr [gibt]. Wer einmal sitzt …«

Über Generationen war man sich einig, dass Energie nicht aus dem Nichts kommen kann, ein Perpetuum Mobile sei daher undenkbar. Plötzlich straft man massenwirksam diese Erkenntnis Lügen, jetzt muss aus dem Nichts Mobilität erzwungen, daran geglaubt werden.

Der klassische Gott war ein Lenker, im Grunde eine Art transzendenter Lokomotivführer, ein Mobilitätsexperte. Er bewegte Menschen, Dinge und alles, was man nicht verstand. Diese neue diffuse Religiosität hat erneut die Mobilität im Zentrum. Sie nennt das unerklärliche Abstraktum, dem man sich vertrauensvoll in die Hände legt, nur nicht mehr göttlich. Das entspricht nämlich nicht dem Zeitgeist.

Seufzer bedrängter Kreaturen

Was aber irgendwie jedem Zeitgeist entspricht: Das menschliche Bedürfnis nach jemanden, der uns beschützt, nach Gewissheiten, die auch Gewissheiten bleiben und nicht bröckeln oder gar wegbrechen. Kontinuität, Orientierung: Lange Jahre des Flexibilisierungswahns haben nicht bewirkt, dass man diese Werte einfach verschmähen würde. Ganz im Gegenteil, die Sehnsucht danach ist stärker als je zuvor. Nur die klassische Religion als Träger einer Kontinuität hat keinen guten Stand mehr, sie baut auf Geschichten, die den Menschen heute kaum mehr etwas sagen.

Erwin Pelzig hat an jenem Abend in Frankfurt noch mehr erzählt. Er entwarf eine Parallele zwischen dem aktuellen Zeitgeist und dem, der in der Romantik vorherrschte. Die war eine Reaktion auf die oft kühlen Ansätze der Aufklärung, der Verwissenschaftlichung und Abkehr von der Religion. Das hat die Menschen verunsichert, ihnen brach die bekannte Welt weg. Plötzlich kannte man Zukunftsangst, fremdelte mit der Gegenwart. Die Romantik flüchtete sich in die Vergangenheit.

Für den Philosophen und Schriftsteller Jürgen Safranski ist die Romantik im Grunde sogar nur »eine Fortsetzung der Religion mit ästhetischen Mitteln« gewesen. Wie die Religion, so urteilt er weiter, sollte sie sich daher von der politischen Macht fernhalten: Denn »Phantasie an die Macht!   – das war wohl doch keine so gute Idee.«

Die neue Romantik schreibt keine Gedichte. Sie nutzt soziale Netzwerke und PR-Strategien, um Phantasie und Phantastisches an die Macht zu bringen. Sie ist dabei eine Spielart religiösen Bewusstseins, moderner Seufzer bedrängter Kreaturen, die das verwechseln was sein soll mit dem, was sein kann   – und die damit letztlich ein Glaubensbekenntnis, ein Credo entwickeln, das nicht lösungsorientiert auf realistische Möglichkeiten setzt, sondern auf Autosuggestion und Motivation. Die Klimadebatte, wie sie im Moment geführt wird, schafft weniger Bewusstsein für die Sache, als ein neues Verständnis religiöser Beseelung.

Lapuente

Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb von 2008 bis 2016 den Blog "ad sinistram". Er ist Mitherausgeber des Weblogs neulandrebellen, seit 2012 Kolumnist beim Neuen Deutschland und schreibt seit 2018 regelmäßig für Makroskop. De Lapuente hat eine Tochter und wohnt mit seiner Lebens­gefährtin in Frankfurt.

Quelle: https://makroskop.eu/2019/11/opium-fuers-heidenvolk/

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