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von Thomas Röper  – 27.01.2025  – übernommen von anti-spiegel.ru
28. January 2025

Röper: "Europas Rückgrat brechen"  – Was russische Experten ihrer Regierung bei Verhandlungen über die Ukraine empfehlen


(Red.) Statt eines eigenen Kommentars wiederholen wir hier das Schlusswort von Thomas Röper: Bevor nun Kommentatoren und Leser denken, das Gesagte wäre meine Meinung, sage ich es hier noch einmal: Ich übersetze solche Texte, um deutschen Lesern zu zeigen, wie in Russland berichtet und gedacht, worüber diskutiert wird. Das, was Karaganow geschrieben hat, ist keineswegs meine Meinung. Auch wenn ich manchem zustimme, bin ich in manchem aber auch anderer Meinung als er. (am)

Was russische Experten ihrer Regierung bei Verhandlungen über die Ukraine empfehlen

In Russland wurde ein Artikel darüber veröffentlicht, welche Verhandlungsposition zum Ukraine-Konflikt russische Experten für ihre Regierung ausarbeiten. Wenn diese Strömung die Oberhand gewinnt, werden die Verhandlungen mit den USA schwierig, und Europa verschwindet endgültig in der Bedeutungslosigkeit.

Auch wenn westliche Medien Russland als ein Land darstellen, in dem der „Diktator“ Putin alles alleine entscheidet, ist das ganz und gar nicht so. Ja, Putin hat als Präsident das letzte Wort, so regelt es die Verfassung in präsidialen Staaten, aber der Weg der Entscheidungsfindung ist in Russland kompliziert, denn Putin lässt kompetente Berater Strategien ausarbeiten, die hinter verschlossenen Türen hart und kontrovers diskutiert werden, um am Ende ganz pragmatisch die für Russland beste Lösung für ein Problem zu bekommen.

Und das funktioniert, wie die Jahre seit 2014 gezeigt haben, denn es war eben dieser Ansatz sehr ergebnisoffener und kontroverser Diskussionen von Fachleuten, der zu den Lösungen geführt hat, dank derer Russland heute trotz aller Bemühungen des Westens so gut da steht.

Im militärischen und geopolitischen Bereich ist Professor Sergej Karaganow in Russland ein wichtiger, erfahrener und einflussreicher Experte, dessen Wort gehört wird. Ich habe schon über ihn berichtet (siehe hierhier oder hier) und er ist eine der treibenden Kräfte hinter der gerade stattfindenden Änderung der russischen Atomdoktrin.

Karaganow ist auch einer der Experten, die derzeit an der russischen Verhandlungsposition in Sachen Ukraine arbeiten, wobei natürlich allen klar ist, dass es um Verhandlungen mit den USA geht, bei denen die Europäer und erst recht die Ukraine nicht nach ihrer Meinung gefragt werden.

Karaganow hat im Zuge der Diskussionen über die Verhandlungsposition Russlands einen Artikel veröffentlicht, in dem er seine Sicht der Dinge dargelegt hat. Darauf bin ich bei RT-DE gestoßen, die seinen ausgesprochen interessanten Artikel seinen jedoch nicht komplett übersetzt, sondern „übersetzt und bearbeitet“ haben. Herausgekommen ist dabei eine stark verkürzte Zusammenfassung von Karaganows Artikel.

Karaganows Artikel ist sowohl in seinem Inhalt als auch in seinen Formulierungen jedoch für jeden, der sich für die russische Sicht auf Geopolitik und vor allem für Geopolitik selbst interessiert, so interessant, dass ich beschlossen habe, den Artikel von Karaganow komplett zu übersetzen. In meinen Augen interessante Aussagen habe ich fett hervorgehoben.

Beginn der Übersetzung:

Europas Rückgrat brechen: Wie die russische Politik gegenüber dem Westen aussehen sollte

Die Wahl Trumps hat der Entwicklung unserer Politik gegenüber dem Westen, einschließlich des laufenden Krieges in der Ukraine, eine vorübergehende Pause verordnet. Wir haben (zu Recht) nicht allzu heftig auf die Provokationen der Biden-Leute reagiert, aber unsere Soldaten setzten ihre offensiven Operationen und die Zermürbung der westlichen Söldnertruppen in der Ukraine fort.

Jetzt wird auf allen Seiten über die Möglichkeit eines Kompromisses gesprochen, über seine Konturen. Und wir haben, zumindest in den Medien, begonnen, die Varianten zu diskutieren.

Gemeinsam mit Kollegen bereiten wir derzeit eine groß angelegte Studie und Situationsanalyse vor, die der Entwicklung von Empfehlungen für die russische Politik in Richtung Westen gewidmet ist. Ich werde die Ergebnisse der Diskussion nicht vorhersagen, sondern lediglich einige vorläufige Gedanken mitteilen. Sie können während der Erstellung des Berichts nützlich sein und sollen die Grundlage für eine breitere Diskussion bilden.

Die Trump-Administration hat im Moment keinen ernsthaften Grund, mit uns zu den von uns festgelegten Bedingungen zu verhandeln. Der Krieg ist für die USA wirtschaftlich vorteilhaft, weil er es ihnen ermöglicht, die Verbündeten mit verdoppeltem Elan auszurauben, ihren militärisch-industriellen Komplex zu erneuern und ihre wirtschaftlichen Interessen durch systematische Sanktionen gegen Dutzende von Ländern auf der ganzen Welt durchzusetzen. Und, selbstverständlich, um Russland weiterhin Schaden zuzufügen, in der Erwartung, es zu zermürben, und Russland   – in der für die USA optimalen Variante   – als militärstrategischen Dreh- und Angelpunkt der aufstrebenden und sich befreienden Weltmehrheit und als mächtigen strategischen Pfeiler des Hauptkonkurrenten China, zu Fall zu bringen oder aus dem Spiel zu nehmen. Obwohl dieser Krieg unnötig und sogar ein wenig schädlich für Trumps Innenpolitik ist, spricht die Interessenabwägung eher für seine Fortsetzung.

Ich versetze mich in Trumps Lage. Er ist ein amerikanischer Nationalist mit Elementen des traditionellen Messianismus, aber ohne das globalistisch-liberale Ausmaß der letzten drei oder vier Jahrzehnte und ohne Bidens Verwicklung in ukrainische Korruptionsfälle. Nur drei Dinge können diesen Trump zu Vereinbarungen bewegen, die uns passen.

Erstens ist das die Gefahr eines Afghanistan 2.0, also die vollständige Niederlage und schändliche Flucht des Kiewer Regimes und das demonstrative Versagen des Westens unter Führung der USA. Zweitens ist das die Abkehr Russlands von seinem De-facto-Bündnis mit China. Und drittens ist das die Gefahr eines Übergreifens der Kampfhandlungen auf US-Territorium und lebenswichtige US-Besitztümer, was mit massenhaften amerikanischen Todesopfern (einschließlich der Zerstörung von Militärbasen) einhergehen würde.

Sie brauchen eine vollständige russische Niederlage, aber ohne eine viel aktivere Nutzung des Faktors der nuklearen Abschreckung wird sie extrem   – wenn nicht gar unerschwinglich   – teuer und den Tod von Abertausenden der besten Söhne unseres Vaterlandes erfordern. China aufzugeben ist für uns absurd kontraproduktiv. Wenn die Trumpisten der ersten Amtszeit versucht haben, uns dazu zu überreden, so scheinen sie jetzt zu erkennen, dass Russland dieser Sache nicht zustimmen wird. Zum nuklearen Faktor kommen wir später.

Die derzeitigen Euro-Eliten, die Euro-Integratoren, brauchen den Krieg dringend. Nicht nur wegen der Hoffnung, den traditionellen geopolitischen Rivalen zu untergraben und sich für die Niederlagen der letzten drei Jahrhunderte zu rächen, sondern auch wegen der Russophobie. Diese Eliten und ihre Eurobürokratie scheitern in fast allen Bereichen. Das Europaprojekt ächzt im Gebälk.

Die seit mehr als einem Jahrzehnt andauernde Verwendung Russlands als Schreckgespenst und nun als echten Feind ist das wichtigste Instrument zur Legitimierung ihres Projekts und zur Aufrechterhaltung der Macht der europäischen Eliten. Hinzu kommt der „strategische Parasitismus“, also die fehlende Angst vor dem Krieg, die in Europa viel stärker ausgeprägt ist als in den USA. Darüber, was er für sie bedeuten könnte, wollen die Europäer nicht nur nicht nachdenken, sondern sie sind gar nicht mehr in der Lage dazu, darüber nachzudenken.

Seit den Zeiten der Sowjetunion und aufgrund der Erfahrungen, die wir in der Zusammenarbeit mit de Gaulle, Mitterrand, Brandt, Schröder und anderen gemacht haben, haben wir uns daran gewöhnt, die Amerikaner als die Hauptverursacher der Konfrontation und der Militarisierung der Politik im Westen zu betrachten.

Das ist nicht ganz so, und jetzt ist es überhaupt nicht mehr so. Es war Churchill, der die USA in den Kalten Krieg hineingezogen hat, als dieser für ihn günstig erschien. Es waren europäische Strategen (die es damals noch gab), nicht die Amerikaner, die die Raketenkrise der 1970er Jahre ausgelöst haben. Die Liste der Beispiele ließe sich noch lange fortsetzen.

Jetzt sind die Euro-Eliten die wichtigsten Sponsoren der Kiewer Junta. Sie vergessen, dass es ihre Vorgänger waren, die zwei Weltkriege ausgelöst haben, und treiben Europa und die Welt auf einen dritten zu. Während sie ukrainisches Kanonenfutter auf die Schlachtbank schicken, bereiten sie neue Osteuropäer aus einer Reihe von Balkanstaaten, Rumänien und Polen vor. Sie haben damit begonnen, mobile Stützpunkte einzurichten, in denen sie Kontingente potenzieller Landsknechte ausbilden. Sie werden versuchen, den Krieg nicht nur bis zum „letzten Ukrainer“, sondern bald auch bis zum „letzten Osteuropäer“ fortzusetzen.

Die antirussische Propaganda der NATO und der EU übertrifft bereits die von Hitler. Selbst persönliche menschliche Beziehungen zu Russland werden systematisch abgebrochen. Diejenigen, die für normale Beziehungen eintreten, werden gemobbt und aus ihren Jobs gejagt. De facto wird die totalitäre liberale Ideologie aufgezwungen. Sie vergessen sogar den Anschein von Demokratie, auch wenn sie noch von ihr sprechen. Jüngstes Beispiel ist die Annullierung der Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen in Rumänien, die ein Nicht-Brüssel-Kandidat gewonnen hat.

Die europäischen Eliten bereiten ihre Bevölkerungen und Länder nicht nur eindeutig auf einen Krieg vor. Sie nennen sogar ungefähre Daten, wann sie bereit sein könnten, ihn zu entfesseln.

Wie kann man die Verrückten aufhalten? Wie kann man das Abgleiten in den Dritten Weltkrieg aufhalten, zumindest in Europa? Wie ein Ende des Krieges erreichen?

Die Gespräche über Kompromisse, über einen Waffenstillstand drehen sich um ein Einfrieren an der derzeitigen Kontaktlinie. Das wird es ihnen ermöglichen, die Reste der Ukrainer wieder aufzurüsten und mit Kontingenten aus anderen Ländern eine neue Runde der Kampfhandlungen zu beginnen. Wir werden erneut kämpfen müssen. Und zwar aus einer weniger günstigen politischen Position heraus. Wir werden einen solchen Kompromiss als Sieg darstellen können und müssen, wenn es unbedingt sein muss. Aber es wird kein Sieg sein, sondern, um es unverblümt zu sagen, ein Sieg des Westens. So wird es in der ganzen Welt wahrgenommen werden. Und in vielerlei Hinsicht auch bei uns.

Ich werde nicht alle Instrumente aufzählen, mit denen ein solches Szenario vermieden werden kann. Ich werde nur die wichtigsten nennen. Erstens: Wir müssen uns selbst, der Welt und unseren Gegnern endlich das Offensichtliche sagen. Europa ist die Quelle aller großen Unglücke der Menschheit, zweier Weltkriege, Völkermorde, menschenfeindlicher Ideologien, des Kolonialismus, des Rassismus, des Nationalsozialismus, und so weiter und so fort. Die Metapher eines berühmten europäischen Beamten über Europa als „blühenden Garten“ klingt viel realistischer, wenn wir es ein mit fettem Unkraut überwuchertes Feld nennen, das auf dem Humus von Hunderten von Millionen Ermordeten, Beraubten und Versklavten gedeiht. Und ringsherum erhebt sich ein Garten aus den Ruinen unterdrückter und ausgeraubter Zivilisationen und Völker. Europa muss beim Namen genannt werden, damit die Drohung, Atomwaffen gegen Europa einzusetzen, glaubwürdiger und gerechtfertigter wird.

Zweitens, um auf eine weitere offensichtliche Wahrheit hinzuweisen, jeder Krieg zwischen Russland und der NATO/EU wird unweigerlich nuklear werden oder auf die nukleare Ebene eskalieren, wenn der Westen in der Ukraine weiterhin gegen uns Krieg führt. Dieser Hinweis ist unter anderem notwendig, um das sich entwickelnde Wettrüsten zu begrenzen. Es ist sinnlos, riesige Arsenale an konventionellen Waffen zu horten, wenn die damit ausgerüsteten Armeen und die Länder, die diese Armeen entsandt haben, unweigerlich von einem nuklearen Tornado hinweggefegt werden.

Drittens müssen wir noch ein paar Monate weiter vorrücken und den Gegner zermalmen. Aber je früher, desto besser ist es notwendig, zu erklären, dass unsere Geduld, die Bereitschaft, für den Sieg über diesen Bastard unsere Männer zu opfern, bald zu Ende sein wird, und wir werden den Preis verkünden: für jeden getöteten russischen Soldaten werden tausend Europäer sterben, wenn sie nicht aufhören, ihre Herrscher zu dulden, die Krieg gegen Russland führen.

Wir müssen den Europäern klipp und klar sagen: Eure Eliten werden aus Euch die nächste Portion Kanonenfutter machen, und wir werden die Zivilbevölkerung Europas nicht, wie wir es in der Ukraine zu tun versuchen, schützen können, falls der Krieg in einen Atomkrieg ausartet. Wir werden vor Angriffen warnen, wie Wladimir Putin versprochen hat, aber Atomwaffen sind noch weniger selektiv als konventionelle Waffen. Natürlich müssen die europäischen Eliten gleichzeitig mit der Tatsache konfrontiert werden, dass sie und ihre Wohnorte die ersten Ziele eines nuklearen Vergeltungsschlags sein werden. Sie werden es nicht aussitzen können.

Und den Amerikanern muss man einfach sagen, dass, wenn sie weiterhin Holz in den Ofen des Ukraine-Konflikts werfen, wir den nuklearen Rubikon in wenigen Schritten überschreiten, ihre Verbündeten bombardieren und, wenn es eine nicht-nukleare Antwort gibt, wie sie angedroht haben, ein nuklearer Angriff auf ihre Basen in Europa und der ganzen Welt folgen wird. Wenn sie es wagen, mit Atomwaffen zu antworten, werden sie einen Atomschlag auf ihr eigenes Territorium erhalten.

Viertens müssen wir unsere militärische Stärkung, die in dieser äußerst turbulenten und krisengeschüttelten Welt notwendig ist, weiter verstärken. Aber dabei müssen wir nicht nur die Nukleardoktrin ändern, was Gott sei Dank bereits begonnen hat, sondern auch, wenn die Amerikaner und ihre Lakaien nicht verhandlungsbereit sind, die Stufenleiter der nuklearen Eskalation entschieden hinaufsteigen, um die Wirksamkeit unserer nuklearen Abschreckungs- und Vergeltungskräfte zu erhöhen. „Oreschnik“ ist eine großartige Waffe, ein Lob an ihre Schöpfer, aber sie ist kein Ersatz für Atomwaffen, sondern nur eine weitere wirksame Sprosse auf der Leiter der Eskalation.

Fünftens müssen wir den USA über verschiedene Kanäle vermitteln, dass wir sie nicht demütigen wollen und bereit sind, ihnen zu einem würdigen Ausstieg aus dem ukrainischen Desaster zu verhelfen, in das die Amerikaner von den Liberal-Globalisten und den Europäern hineingezogen wurden.

Aber das Wichtigste ist, dass wir erkennen müssen, dass wir vor unserem Land, unserem Volk und der Menschheit keine Unentschlossenheit zeigen können und dazu kein Recht haben. Es geht nicht nur um das Schicksal Russlands, sondern auch um das Schicksal der menschlichen Zivilisation in ihrer jetzigen Form.

Wenn sich die Amerikaner zurückziehen, wird die Ukraine ziemlich schnell besiegt sein. Ihr Osten und Süden werden an Russland fallen. In der Mitte und im Westen der heutigen Ukraine muss ein entmilitarisierter, neutraler Staat mit einer Flugverbotszone gebildet werden, in den jeder gehen kann, der nicht in Russland leben und unsere Gesetze befolgen will. Es wird ein Waffenstillstand geschlossen werden.

Und nach dem Waffenstillstand müssen wir mit den Freunden aus der Weltmehrheit an einer gemeinsamen Lösung der Probleme der Menschheit arbeiten. Und sogar mit den Amerikanern, wenn sie doch noch zur Vernunft kommen. Gleichzeitig ist es dringend notwendig, Europa für eine Weile aus der Lösung der Probleme der Welt herauszunehmen. Es würde nur wieder zur größten Bedrohung für sich selbst und die Welt.

Frieden kann es auf dem Subkontinent nur geben, wenn Europa wieder das Rückgrat gebrochen wird, wie es durch unsere Siege über Napoleon und Hitler geschehen ist, und wenn es einen Generationswechsel der jetzigen Eliten gibt. Und das wird dann nicht mehr in einem engen europäischen Kontext sein, der gehört der Vergangenheit an   – sondern in einem euro-asiatischen Kontext.

Ende der Übersetzung

Bevor nun Kommentatoren und Leser denken, das Gesagte wäre meine Meinung, sage ich es hier noch einmal: Ich übersetze solche Texte, um deutschen Lesern zu zeigen, wie in Russland berichtet und gedacht, worüber diskutiert wird. Das, was Karaganow geschrieben hat, ist keineswegs meine Meinung. Auch wenn ich manchem zustimme, bin ich in manchem aber auch anderer Meinung als er.


Quelle: Anti-Spiegel
Mit freundlicher Genehmigung übernommen