Pepe Escobar: Warten auf die Oreschniks, während das Istanbuler Kabuki* „nicht negativ“ verläuft

(Red.) Der Drohnenangriff auf die strategische Bomberflotte Russlands, der glücklicherweise nur zu geringen Verlusten geführt hat, ist ein klarer Terrorangriff. Haarspalterische Analysten sagen, weil Militäranlagen getroffen wurden und Russland sich mit der Ukraine praktisch „im Krieg“ befinde, sei dies nach der international anerkannten Definition kein „Terrorangriff“. Haarspalterischer Unsinn: Dieser Angriff galt nicht einer Kriegspartei seitens einer anderen Kriegspartei (weil er fast keinen Einfluss auf die Kriegshandlungen hat). Dieser Angriff war ein Angriff auf die weltweite Sicherheit, weil der seit dem Kalten Krieg bestehende Konsens über das Gleichgewicht des Schreckens zum Nachteil der gesamten Welt zerstört werden sollte. Dieser Angriff soll Angst und Schrecken in der ganzen Welt verbreiten, um die Kriegshysterie weiter anzuheizen – abgesehen davon, dass Russland dazu provoziert werden sollte, nuklear zu reagieren. Diese Aktionen werden von denjenigen Kräften gesteuert, die sich immer noch wahnsinnigerweise ausrechnen, sie könnten einen Atomkrieg gewinnen – insbesondere, wenn er vorwiegend auf europäischem Boden ausgetragen wird.
Gut informierte Kreise weisen zudem darauf hin, dass diese Aktionen auf eine präsidiale Anordnung (Verfügung) Joe Bidens zurückgehen. Seinerzeit hat die Biden Administration die CIA entsprechend beauftragt, Russland eine strategische Niederlage zuzufügen. Dieser Auftrag – diese präsidiale Verfügung – ist bisher von Donald Trump nicht zurückgezogen worden, sodass es völlig neben der Sache liegt, ob Trump konkret über Details informiert war oder nicht. Plausible deniability (plausible Abstreitbarkeit) ist ein alter geheimdienstlicher fauler Trick.
Dass die Trump Administration den Krieg gegen Russland (und gegen Gaza) unvermindert fortsetzt, zeigt dass hier von Frieden keine Rede sein kann. Leider wird erst der Ausgang auf dem Schlachtfeld den Westen in seine Schranken weisen.(am)
Das war die Stimmung in informierten Kreisen in Moskau – nur wenige Stunden vor dem erneuten Istanbuler Kabuki* zu den „Verhandlungen“ zwischen Russland und der Ukraine. Drei wichtige Punkte.
- Der Angriff auf russische strategische Bomber – Teil der nuklearen Triade – war eine gemeinsame Operation der USA und Großbritanniens. Insbesondere des MI6. Die gesamten technischen Investitionen und die Strategie wurden von diesem Geheimdienst-Duo bereitgestellt.
- Es ist völlig unklar, ob Trump wirklich das Sagen hat – oder nicht. Dies wurde mir in der Nacht von einer hochrangigen Geheimdienstquelle bestätigt; er fügte hinzu, dass der Kreml und die Sicherheitsdienste aktiv alle Möglichkeiten untersuchten, insbesondere, wer die endgültige Freigabe erteilt hatte.
- Nahezu allgemeiner Konsens in der Bevölkerung: Freilassung der Oreschniks. Plus Wellen von ballistischen Raketen.
Wie zu erwarten war, kam und ging das Istanbuler Kabuki wie ein billiges Spektakel, komplett mit der ukrainischen Delegation in Militäruniformen und Verteidigungsminister Umarov, der bei einer chaotischen Pressekonferenz nach dem kurzen 1:15-stündigen Treffen nicht einmal mittelmäßiges Englisch sprechen konnte. Das türkische Außenministerium beschrieb das Kabuki episch als „nicht negativ“ abgeschlossen.
Es wurde nichts Strategisches oder politisch Substanzielles besprochen, sondern lediglich der Austausch von Gefangenen. In Moskau herrschte zudem die Meinung, dass der russische Verhandlungsführer Medinsky ein Ultimatum hätte stellen sollen, statt ein Memorandum zu präsentieren. Dies wurde, wie zu erwarten war, vom Bettler von Banderastan als Ultimatum interpretiert; doch was Medinsky den Ukrainern tatsächlich überreichte, war ein de facto Roadmap-Memorandum in drei Abschnitten mit zwei Optionen für die Bedingungen eines Waffenstillstands und 31 Punkten, von denen viele seit Monaten von Moskau detailliert dargelegt worden waren.
Beispiele: Die erste Option für einen Waffenstillstand sollte ein vollständiger Rückzug der ukrainischen Streitkräfte aus der DVR, der LVR, Cherson und Saporischschja innerhalb von 30 Tagen sein; die internationale Anerkennung der Krim, des Donbass und Noworossija als Teil Russlands; die Neutralität der Ukraine; die Abhaltung von Wahlen in der Ukraine und die anschließende Unterzeichnung eines Friedensvertrags, der durch eine rechtsverbindliche Resolution des UN-Sicherheitsrats (Hervorhebung von mir – PE) gebilligt wird; sowie ein Verbot der Aufnahme und Stationierung von Atomwaffen.
All das wird natürlich niemals von den Terroristen in Kiew, den sie kontrollierenden Neonazi-Gruppen und den verschiedenen, zersplitterten, kriegstreiberischen Unterstützern des Westens akzeptiert werden. Die SMO wird also weitergehen. Möglicherweise bis 2026. Zusammen mit weiteren Versionen des Istanbul-Kabuki: Die nächste dürfte Ende Juni stattfinden.
Das aktuelle Kabuki ist übrigens die letzte Chance für Kiew, ein gewisses Maß an – zerbrechlicher – „Souveränität“ zu bewahren. Wie Außenminister Lawrow wiederholt betont hat, wird alles auf dem Schlachtfeld entschieden werden.
Wie man den New START-Vertrag zerstört
Nun zum Angriff auf einen Teil der strategischen Triade Russlands – der die westlichen Propagandamedien in eine stratosphärische Hysterie versetzt hat.
Es wurde immer wieder betont, warum Russland seine strategischen Bomber ungeschützt auf dem Rollfeld stehen ließ: Weil dies eine Auflage des New START-Vertrags ist, der 2010 unterzeichnet und bis Februar nächsten Jahres verlängert wurde (wo er angesichts der jüngsten Ereignisse wohl begraben werden kann).
Der New START-Vertrag schreibt vor, dass strategische Bomber für „nationale technische Verifizierungsmittel (NTM) wie Satellitenbilder sichtbar sein müssen, um eine Überwachung durch die andere Partei zu ermöglichen“. Ihr Status – ob mit Atomwaffen bestückt oder für konventionelle Zwecke umgerüstet – sollte also jederzeit überprüfbar sein. Eine „Überraschung“ durch einen Erstschlag sollte somit ausgeschlossen sein.
Diese Operation hat im Alleingang das zerstört, was bis jetzt ein anständiges Relikt des Kalten Krieges war und durch einen einfachen Mechanismus den Beginn des Dritten Weltkriegs verhindert hat. Die damit verbundene Rücksichtslosigkeit ist unfassbar. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die höchsten Machtkreise in Russland – vom Kreml bis zum Sicherheitsapparat – fieberhaft daran arbeiten, herauszufinden, ob Trump eingeweiht war oder nicht. Und wenn nicht, wer hat dann die endgültige Genehmigung erteilt?
Kein Wunder, dass die obersten Kreise bislang schweigen.
Eine Quelle aus Sicherheitskreisen teilte mir mit, dass es US-Außenminister Marco Rubio war, der Lawrow angerufen hat – und nicht umgekehrt –, um sein Beileid für den Terroranschlag auf die Brücke in Brjansk zu bekunden. Die strategischen Bomber wurde mit keinem Wort erwähnt. Parallel dazu verfolgte der ehemalige Zugführer im Irak, der später Fox-News-Kommentator und schließlich Chef des Pentagon wurde, die Drohnenangriffe auf die russischen Stützpunkte in Echtzeit.
Zur Wirksamkeit solcher Angriffe – jenseits des fröhlich verbreiteten Nebels des Krieges: Mehrere widersprüchliche Schätzungen deuten darauf hin, dass möglicherweise drei strategische Bomber vom Typ Tu-95MS – bekannt als „The Bears“ – auf der Belaya-Basis in Irkutsk getroffen wurden, wobei einer davon teilweise beschädigt wurde, sowie drei weitere T-22M3, von denen zwei irreparabel beschädigt wurden. Bei den drei Tu-95MS scheint es sich um lokale Brände zu handeln, sodass sie möglicherweise repariert werden können.
Auf der Olenya-Basis in Murmansk wurden möglicherweise vier weitere Tu-95MS sowie eine An-12 getroffen.
Bis zum vergangenen Wochenende verfügte Russland über 58 Tu-95MS. Selbst wenn fünf davon endgültig verloren sein sollten, wären das weniger als 10 % ihrer Flotte. Und dabei sind 19 Tu-160 und 55 Tu-22M3M noch nicht einmal mitgezählt. Von den fünf Stützpunkten, die angegriffen werden sollten, waren nur bei zwei die Angriffe teilweise erfolgreich.
Diese Verluste, so schmerzlich sie auch sein mögen, beeinträchtigen zukünftige Angriffe seitens der russischen Luft- und Raumfahrtstreitkräfte nicht.
Beispiel: Die Standardwaffe einer T-95MSM ist die Marschflugkörper X-101.
Maximal 8 pro Einsatz. Bei den jüngsten Angriffen wurden nicht mehr als 40 Raketen gleichzeitig abgefeuert. Das bedeutet, dass nur 6 Tu-95 im Einsatz waren. Russland benötigt also nur 6 flugbereite Tu-95MSM, um Angriffe mit derselben Intensität wie in den vergangenen Tagen und Wochen durchzuführen. Tu-160 werden bei den jüngsten Angriffen gar nicht eingesetzt.
Bewertung der maximalen Strategie
Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels ist die unvermeidlich verheerende Reaktion Russlands noch nicht genehmigt worden. Die Lage ist äußerst ernst. Selbst wenn es stimmt, dass der US-Präsident nicht informiert wurde – und das wollen der Kreml und die Sicherheitsdienste unbedingt sicherstellen, bevor sie die Hölle auf Kiew herabbeschwören –, sind die Konturen einer NATO-Operation – USA/Großbritannien – unter direkter Leitung des Geheimdienstduos CIA/MI6 klar erkennbar, wobei Trump eine plausible Ausrede geboten wird und die Ukraine massiv gegen das START-Protokoll verstößt.
Hätte Trump diese Angriffe genehmigt, wäre dies nichts weniger als eine Kriegserklärung der Vereinigten Staaten an Russland. Das wahrscheinlichste Szenario bleibt also, dass Trump von den Neokonservativen, die in privilegierten Silos verstreut über den Beltway verteilt sind, überrumpelt wird.
Genauso wie der Angriff auf das Frühwarnradarsystem Voronezh-M im Mai letzten Jahres passt ein Angriff auf Russlands strategische Bomber in das Szenario, das russische System zunehmend zu provozieren, um es vor einem nuklearen Erstschlag außer Gefecht zu setzen. Aufstrebende Dr. Strangeloves spielen seit Jahrzehnten in ihren wildesten Träumen mit diesem Szenario.
Wie aus sorgfältig bestätigten Quellen hervorgeht, herrscht in den höchsten Machtkreisen Russlands die Interpretation vor, dass es sich um eine PR-Aktion handelt, die eine harte – möglicherweise nukleare – Reaktion Russlands erzwingen soll, verbunden mit dem Rückzug Moskaus aus dem Istanbuler Kabuki.
Bislang ist die russische Reaktion recht methodisch: völliges Schweigen, eine umfassende Untersuchung und das Durchlaufen der Formalitäten in Istanbul.
Es steht jedoch außer Frage, dass die – unvermeidliche – Reaktion eine maximale Strategie erfordern wird. Wenn die Reaktion im Einklang mit Russlands eigener aktualisierter Nukleardoktrin steht, riskiert Moskau, die fast einstimmige Unterstützung des Globalen Südens zu verlieren.
Wenn die Reaktion halbherzig ausfällt, wird es massive innenpolitische Gegenreaktionen geben. Es herrscht nahezu Einigkeit darüber, dass „die Oreschniks freigelassen werden müssen“. Die russische Öffentlichkeit hat es satt, Zielscheibe wiederholter Terroranschläge zu sein. Die Stunde der Entscheidung rückt näher.
Das bringt uns zum ultimativen Dilemma. Die russische Führung überlegt, wie sie die kollektiven Kriegstreiber des Westens besiegen kann, ohne einen Dritten Weltkrieg auszulösen. Inspiriert von China könnte eine Lösung in einer Allianz aus einem Remix von Sun Tzu und Lao Tzu liegen. Es muss einen Weg – oder mehrere Wege – geben, um die Fähigkeit und den Willen eines strategielosen, nihilistischen Feindes zu zerstören, einen endlosen Krieg zu führen.
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* Anmerkung des Übersetzers: „Kabuki“ ist ursprünglich eine japanische Theaterform, die sich durch stilisiertes Spiel, aufwendige Kostüme und dramatische Gestik auszeichnet.
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Quelle: Strategic-Culture - Mit freundlicher Genehmigung übernommen - Die Übersetzung besorgte Andreas Mylaeus