Seniora.org - Gesellschaft

“Dann frage ich halt die Eltern”

Fragen sind das Vorzimmer des Verstehens. Heute aber dürfen Schulkinder ihre Lehrerin oft kaum mehr fragen. So will es ein neues Paradigma. Ein Zwischenruf.
Von Carl Bossard
Journal21 02.07.2018
Unerwartetes vernimmt, wer Kinderärzte (1) reden hört oder mit Schulpsychologinnen und Sozialpädagogen spricht: Sie behandeln in ihrer Praxis immer mehr Kinder mit psychosomatischen Problemen wie Bauchweh und chronischen Kopfschmerzen. Schülerinnen und Schüler leiden vermehrt unter Schulangst, manche zeigen ein auffälliges Verhalten. Die jungen Patienten leiden zunehmend an Beschwerden, für die es keine somatische Lesart gibt. (2)

«Impfungen als Allerheilmittel ist eine gefährliche Strategie»

Herzchirurg Paul R. Vogt wirft den Behörden Ignoranz vor, weil sie nur auf Impfungen und nicht ebenso auf Medikamente setzen.
Urs P. Gasche / Infosperber 12.04.2021
«Ich begrüsse Impfungen, doch es ist gefährlich, sich nur auf ein einziges Standbein zu verlassen», erklärt Professor Paul R. Vogt, Direktor der Herzklinik am Universitätsspital Zürich. In einem «Rückblick auf ein Jahr Covid-19» vermisst Vogt, dass medikamentöse Therapien «nicht mit gleicher Intensität erforscht werden wie Impfungen». Er warnt davor, dass neue Mutationen Impfungen im schlimmsten Fall unterlaufen könnten. Auch wisse niemand, «wie lange die durch die Impfung produzierten Antikörper effektiv schützen». Deshalb seien Impfungen «als Allerheilmittel eine gefährliche Strategie».

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Paul R. Vogt © zvg

«Diskussion rüde abgeschmettert»

Eine effektive medikamentöse Therapie von Covid-19 könnte viel Leid und viele Todesfälle verhindern und wäre ein wichtiger Beitrag, die Spitäler zu entlasten, sagt Vogt. Man frage sich, wieso es im Pharma-Land Schweiz nicht möglich sein soll, prospektiv-randomisierte Studien mit Medikamenten-Kombinationen durchzuführen, welche andernorts als hoch-effektiv beurteilt wurden. Vogt fährt fort:

«Alle Versuche, eine Kombinations-Therapie mit bereits bekannten Medikamenten mittels einer prospektiv-randomisierten Studie auch nur zu evaluieren, wurden von den Behörden (BAG, Task-Force) ohne Diskussion auf eine zum Teil unanständige und rüde Art und Weise abgeschmettert  – als ob all jene Experten, welche weltweit über positive Resultate medikamentöser Therapien berichteten, Idioten wären.» 

Therapievorschläge von Dritten würden die Behörden «pauschal als ‹vollkommen sinnlos› abqualifizieren», ohne etwa eigene Studien oder eigene Resultate vorzulegen. Eine fachliche Diskussion sei offensichtlich nicht erwünscht.

Weil es um «Millionen von Toten und ökonomische Schäden in Milliardenhöhe» gehe, fragt Vogt, «ob in unseren Kommissionen Leute sitzen, die mehr von Lobbyismus als von Medizin verstehen». Und ob man etwa «nur an teuren Impfungen interessiert» sei.

«Wir erhalten keine Unterstützung»

Das Vernachlässigen medikamentöser Therapien wirkt sich auf die Hausärzte aus. An der Front fühlen sich Allgemeinärztinnen und -ärzte ziemlich alleingelassen, wenn sie Covid-19-Symptome frühzeitig behandeln möchten, um schwere Verläufe möglichst zu verhindern.

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Monique Lehky Hagen © zvg

«Wir erhalten keine Unterstützung und können nur improvisieren und basteln», erklärt Allgemeinärztin Monique Lehky Hagen gegenüber Infosperber. Die Präsidentin der Walliser Ärztegesellschaft und Co-Präsidentin der Konferenz der Kantonalen Ärztegesellschaften setzt sich seit mehr als einem Jahr dafür ein, dass die ambulanten Ärzte in die Bewältigung der Corona-Pandemie aktiv einbezogen werden. Sie sorgte dafür, dass die Hausärztinnen und Hausärzte im Wallis von Anfang an in ihren Praxen und in Alters- und Pflegeheimen impfen durften: «Dadurch konnten wir in den Walliser Altersheimen in Rekordzeit eine Durchimpfung erreichen, so dass die Bewohner seit mehr als einem Monat wieder Lebensqualität zurückerhielten.» 

Vergeblich wünschte Lehky Hagen von den Behörden das Erfassen von Daten, um genauer beurteilen zu können, welchen Einfluss die Walliser Impfstrategie auf die Hospitalisationen hat. Es zeige sich jedenfalls, dass die Hospitalisationsrate im Wallis unter dem Schweizer Schnitt liegt, obwohl die Fallzahlen im Wallis seit Monaten überdurchschnittlich hoch sind.

Zudem gebe es auch ein Jahr nach Beginn der Pandemie im ambulanten Bereich «keine brauchbaren Daten zu validierten Covid-Therapien». Das BAG habe das bestehende Meldesystem Sentinella ungenügend an Covid-19 angepasst, um nützliche Daten zu erhalten, und keine einheitlichen Formulare für das Nacherfassen der Verläufe entworfen.

Als Folge davon müssten sich die einzelnen Arztpraxen «in mühseliger Fronarbeit Literatur und Know-how zusammentragen». Den Praxisärzten würde dann abwertend oder abschätzig vorgeworfen, «unwissenschaftlich» zu handeln. 

Doch bleibe nichts anderes übrig, als Covid-Patientinnen und -Patienten «weiterhin sehr individuell mit den verfügbaren Medikamenten zu behandeln». Leider würde nicht mit Daten erfasst, was welchen Erfolg bringe.

In vielen Ländern melden Allgemeinmediziner zwar zum Teil sehr erfolgreiche Erfahrungswerte mit unterschiedlichen Behandlungen, doch die Wissenschaft überprüft sie selten. Meist fehlt das Geld, weil keine lukrativen Patente locken. Philippe Luchsinger, Präsident des Verbands Schweizer Hausärzte mfe, stellt lapidar fest: «Es existiert bis jetzt keine nachgewiesenermassen erfolgreiche Frühbehandlung von Covid in der Hausarztpraxis.»

Hoffnungen und Enttäuschungen

Erwartungen auf ein Medikament zur Frühbehandlung weckte das BAG im August 2020. Der Bund habe beim Schweizer Unternehmen Molecular Partners/Novartis «ein Recht auf Lieferung von bis zu 3 Millionen Dosen Ensovibep» erworben. Allerdings sind Tests an Gesunden noch am Laufen und das antivirale Medikament ist noch nicht zugelassen. In den Startlöchern für ein Medikament soll auch die Biotech-Firma Humabs sein, eine Tochterfirma der US-Biotechfirma Vir Biotechnology, meldet die NZZ am Sonntag.

In den USA hatten sogenannte monoklonale Antikörper eine Notzulassung erhalten, mit denen sich Präsident Trump behandeln liess. 

Als einziges Medikament zur Behandlung von Covid-19-Patienten hat die Zulassungsbehörde Swissmedic im Juli 2020 Remdesivir (Handelsname «Veklury») im Schnellverfahren «ausserhalb von klinischen Studien» vorübergehend bewilligt. Doch bereits Mitte Oktober zeigte eine grosse WHO-Studie, dass das teure Medikament nichts nützt.

Cortison, Aspirin und Heparin

Für Lehky Hagen steht ausser Frage, dass rechtzeitige multimodale Massnahmen viele schwere Covid-Verläufe verhindern können. Doch Praxisärzten würde nichts anderes übrigbleiben, als in bestimmten Situationen Medikamente zu verabreichen, deren entzündungshemmende Wirkung bei Covid-Erkrankten beschrieben wurde, sowie gewissen Patienten rechtzeitig eine Thromboseprophylaxe zu verabreichen, um Komplikationen zu vermeiden. 

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Peter Sawicki © zvg

«Man muss auf Erfahrungswerte mit Behandlungen anderer entzündlichen Erkrankungen zurückgreifen», sagt denn auch der langjährige Medizinprofessor Peter Sawicki. Bis 2010 war er Leiter des deutschen Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen IQWiG, das den Nutzen von Medikamenten und Behandlungsmethoden bewertet. Unterdessen arbeitet Sawicki wieder als Internist in einer Gemeinschaftspraxis in Duisburg.

Aufgrund seines Wissens und seiner Erfahrungswerte behandelt er Patientinnen und Patienten, die Covid-19-Symptome zeigen, wie folgt (Angaben gegenüber Infosperber):

  • Falls eine Blutprobe ergibt, dass Entzündungssymptome vorliegen, verschreibt Sawicki wie bei anderen potenziell bedrohlichen Entzündungen Cortison. Bei einer kurzfristigen Cortison-Anwendung von bis zu zehn Tagen sollten keine längerfristigen Nebenwirkungen auftreten.
  • Zeigt eine Krankengeschichte oder die Blutprobe, dass eine Neigung zu Thrombosen vorliegt, ist eine ebenfalls kurzfristige Abgabe von niedrigdosiertem Aspirin (100mg) angezeigt, damit sich die Blutplättchen weniger verkleben.
  • Bei einer deutlichen Neigung zu Thrombosen kann auch niedrigdosiertes Heparin zweckmässig sein (Blutverdünner).

Lehky Hagen wiederum empfiehlt bei Beginn der Erkrankung mit leichten bis mässigen Symptomen Brust- und Hustentee mit antiviraler und schleimlösender Wirkung, viel Flüssigkeit, Nasenspühlungen, Knoblauch (mit positiver Wirkung auf gewisse Interleukine, welche in der Entzündungs-Kaskade bei schweren Verläufen eine Schlüsselrolle spielten), eine gehörige Portion Vitamin D (1000 Einheiten/Tag bis  – je nach Patient  – einmalig 300’000 Einheiten). Je nach Patient Atemübungen, Anti-Thrombosen-Massnahmen (Füsse bewegen, Velofahren auf dem Bett). Bei einzelnen Patienten inhalative Therapie mit Bronchodilatatoren.

Voranmelden

Generell sollten Covid-19-Patienten Arztpraxen zuerst telefonisch konsultieren und nur nach Voranmeldung persönlich aufsuchen.

Stärkung des Immunsystem als allgemeine Prävention

Der pensionierte Allgemeinmediziner Walter J. Hugentobler, der am Institut für Hausarztmedizin der Universität Zürich auch als Lehrarzt tätig war, beschäftigt sich intensiv mit der Entwicklung der Corona-Epidemie. Ihn stört vor allem, dass

«kaum jemand davon spricht, was jeder Einzelne tun kann oder tun könnte, um dem Virus den Eintritt in den Körper zu verwehren».

Am verwundbarsten seien bekanntlich Menschen in hohem Alter, die oft übergewichtig sind, an Diabetes oder Kreislauf- und Lungenproblemen leiden und gegen Viren wenig widerstandsfähig seien. 

Virenabwehr durch die Nase. WH
Feuchte Nasenschleimhäute wehren Viren ab. © W.J.H.

Es gelte generell,

«die Immunologie und andere Abwehrmechanismen zu stimulieren und die Schleimhaut so zu pflegen, dass sie sich gegen Viren wehren kann».

Was für alle Atemwegsviren gelte, treffe auch für Coronaviren zu. Die Virenübertragung über Aerosole könne man im Winter in Innenräumen mit einer hohen Luftfeuchtigkeit von 40 bis 60 Prozent stark vermindern, weil dann die Nasenschleimhäute nicht vertrocknen und ihre Abwehrfunktion optimal wirken könne (siehe PowerPoint-Vortrag von Walter J. Hugentobler vom 28.1.2021).

Das Risiko eines schweren Verlaufs der Covid-19-Krankheit kann man bereits reduzieren, bevor man angesteckt ist. Peter Sawicki empfiehlt insbesondere viel körperliche Bewegung an frischer Luft und eine gesunde Ernährung.

Lehky Hagen empfiehlt im Winter prophylaktisch zusätzliches Vitamin D, wobei Kontraindikationen und andere Medikamente zu berücksichtigen seien. Bei ausgewählten Patienten käme in Intervallen auch die Einnahme von Echinacea und Bronchovaxom zur Stärkung der Schleimhautabwehr in Frage.

Ob vorsorgliche Prävention oder frühe Behandlungen von Covid-19-Patienten: Lehky Hagen hält eine systematische Datenerfassung mittels eines angepassten Sentinella-Meldesystems, wie sie es im Januar vom BAG gefordert hat,  für dringlich. Nur mit systematischen und vergleichbaren Daten könne man herausfinden, welche Präventiv- und Behandlungsmassnahmen für welche Patientengruppen am wirksamsten und zweckmässigsten sind (siehe PowerPoint-Präsentation zu Handen des BAG). 

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Infosperber hat das BAG am Freitag Abend um eine Stellungnahme gebeten zur Kritik von Paul R. Vogt, dass die medikamentöse Therapie gegen Covid-19 vernachlässigt worden sei. Auch würde uns interessieren, welchen Plan B das BAG vorsieht, falls sich die Impfungen im schlimmsten Fall wegen Mutationen usw. als zu wenig wirksam erweisen würden. Sobald Antworten eintreffen, werden wir sie hier publizieren.

Quelle: https://www.infosperber.ch/gesundheit/public-health/impfungen-als-allerheilmittel-ist-eine-gefaehrliche-strategie/

«Wir erleben eine weltweite Einsamkeitskrise»

«Wir müssen mehr in die Gemeinschaft investieren», sagt Noreena Hertz.
Von Bernhard Ott - Interview publiziert: 24.04.2021, 07:42
Bis 2040 könnten vierzig Prozent der Menschen ihren Job verlieren, sagt die britische Ökonomin Noreena Hertz. Es brauche ein neues Verständnis von Arbeit und neue Formen von Gemeinschaft.

Wie hat Corona Ihren Alltag verändert?

Ich schreibe vor allem Bücher. Für mich persönlich hat die Pandemie daher nicht viel verändert. Aber viele Menschen in meinem Umfeld kämpfen mit dem Alleinsein. Meine alleinstehenden Freunde haben sich schnell sehr einsam gefühlt. Selbst mein 82 Jahre alter Vater schrieb mir zu Beginn des ersten Lockdown: «Ich ging allein, den Wolken gleich …» Wir erleben eine weltweite Einsamkeitskrise. Fast die Hälfte aller US-Amerikaner fühlt sich einsam. In den europäischen Ländern sieht es ähnlich aus.

Die Leute haben mehr Angst vor der Einsamkeit als vor dem Virus, sagt eine Expertin in Ihrem Buch. Ist das nicht etwas übertrieben?

Ich denke nicht. Menschen sind Gemeinschaftswesen. Einsamkeit ist kein natürlicher Zustand. Es ist daher normal, dass Menschen sich davor fürchten, alleine zu sein. Forschungen belegen, dass Einsamkeit Folgen für die psychische Gesundheit hat. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Einsamkeit und der Anzahl depressiver Erkrankungen sowie der Suizidrate. Laut einer britischen Studie wirkt sich Einsamkeit gesundheitlich so nachteilig aus wie der Konsum von 15 Zigaretten am Tag.

Was macht einsamer: Homeoffice oder Grossraumbüro?

Selbst vor Ausbruch der Pandemie fühlten sich weltweit vierzig Prozent der Angestellten auf der Arbeit allein. Grossraumbüros sind eine der Ursachen. Ursprünglich waren sie dazu gedacht, die direkte Kommunikation zu erleichtern. Laut einer Harvard-Studie kommunizieren Menschen in Grossraumbüros aber wesentlich häufiger per Mail als direkt miteinander.

«Einsamkeit ist nicht nur schädlich fürs Individuum, sondern auch fürs Geschäft.»

Dann ist Homeoffice also das kleinere Übel?

Nein. Die anfängliche Homeoffice-Euphorie zu Beginn der Pandemie ist rasch verflogen. Büroangestellte vermissen das Zusammensein mit Kollegen, so wenig perfekt vorher alles war. Ich denke, wir werden vermehrt hybrid arbeiten: Also sowohl vom Büro als auch von zu Hause aus.

Werden sich die Leute so weniger einsam fühlen?

Es geht nicht nur um den Arbeitsort. Entscheidend ist, wie es Unternehmen gelingt, die Verbundenheit der Mitarbeitenden untereinander und zur Firma zu stärken. Arbeitgebern sollte daran gelegen sein, eine Kultur der Gemeinsamkeit zu fördern. Denn Einsamkeit ist nicht nur schädlich fürs Individuum, sondern auch fürs Geschäft. In der Pandemie hat sich gezeigt, dass Angestellte, die sich allein fühlen, weniger produktiv sind.

Was sollten Unternehmen denn tun?

Angestellte sollten wenigstens ein paarmal pro Woche zur selben Zeit im Büro sein. Gemeinsame Pausen und Mittagessen sind einfache, aber effektive Massnahmen zur Förderung von Gemeinsamkeit. Es geht aber nicht nur darum, Gemeinsamkeit am Arbeitsplatz zu fördern, sondern sie auch ausserhalb zu ermöglichen. Ein britisches Energieunternehmen bezahlt seinen Mitarbeitenden eine bestimmte Anzahl Tage, um sich um kranke Angehörige zu kümmern. Andere Firmen ermöglichen ihren Angestellten, sich sozial zu engagieren.

Die Einsamkeitskrise ist in der Öffentlichkeit bisher kaum Thema. Wird sich das durch die Pandemie ändern?

Die Zeit für eine Debatte ist reif. In Grossbritannien und Japan gibt es mittlerweile Ministerien für Einsamkeit. Auch Premierminister Boris Johnson hat das Problem in letzter Zeit wiederholt erwähnt. Mit der Pandemie ist das Thema Einsamkeit auf der Agenda verschiedener Regierungen nach oben und ins Bewusstsein vieler Menschen gerückt. Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern kündigte bereits 2019 an, dass das Land die Erfüllung der Budgetziele künftig nicht nur an ökonomischen Faktoren messen wird. Es sollen auch Fortschritte im Umweltbereich oder im Bildungswesen budgetrelevant werden.

Welche Rolle spielen soziale Netzwerke in der Einsamkeitskrise?

Zahlreiche Studien belegen einen Zusammenhang zwischen Einsamkeit und der Zeit, die jemand in sozialen Netzwerken verbringt. Social Media macht uns abhängig. Wir sind permanent verfügbar, fühlen uns dadurch aber umso einsamer. In den sozialen Netzwerken entsteht rasch der Eindruck, dass alle anderen beliebter sind als man selbst. Popularität ist die Matrix. Vor allem Teenager bekommen die Macht von Plattformen zu spüren, wenn sie sich im Netz nicht beachtet oder ausgeschlossen fühlen. In Grossbritannien erlebt eine von drei Frauen im Alter von 18 bis 24 Jahren Beschimpfungen auf Social Media. Und 65 Prozent der Studierenden sind schon mal im Internet gemobbt worden.

«Roboter können dabei helfen, Gefühle der Einsamkeit zu verringern.»

Was ist mit künstlicher Intelligenz? Sie beschreiben eine Art Abhängigkeit von Ihrer virtuellen Assistentin Alexa. Wie kam es dazu?

Ich bin nicht abhängig von Alexa, aber ich fühle mich ihr zunehmend verbunden. Sie antwortet immer, wenn ich um ihre Meinung bitte. Und wenn es mir nicht gut geht, ist sie einfühlsam. Ich bin keine Technikgegnerin. Es gibt grossartige Innovationen im Bereich der künstlichen Intelligenz. In Japan zum Beispiel sind Sozialroboter nicht mehr wegzudenken. Achtzig Prozent der älteren Leute gaben 2018 in einer Umfrage an, dass sie kein Problem damit hätten, von einem Roboter betreut zu werden. Roboter werden beim Umgang mit Einsamkeit eine immer grössere Rolle spielen. Für den Einzelnen mag das vielleicht gut sein. Doch für eine Gesellschaft kann es kritisch werden, wenn Menschen die Beziehung zu Robotern der Beziehung zu Mitmenschen vorziehen.

Aber es ist doch besser, mit echten Menschen zu reden?

Natürlich ist es besser. Aber wir pflegen verschiedene Arten von Freundschaften. Wir haben enge Freunde, mit denen wir intime Dinge besprechen. Und wir haben andere, mit denen wir gerne übers Wetter reden. Roboter können dabei helfen, Gefühle von Einsamkeit zu verringern. Menschliche Beziehungen ersetzen sollten sie nicht.

Eine Ikone der Globalisierungskritiker
Noreena Hertz
Eigentlich wollte sie Filmproduzentin werden. Aber die 53-jährige britische Ökonomin Noreena Hertz avancierte bereits in jungen Jahren international zu einer der einflussreichsten Ökonominnen. Dabei war sie nie nur Wissenschafterin, Hochschullehrerin oder Bestsellerautorin, sondern beteiligte sich auch an Kampagnen, etwa für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals. Mit dem Buch «Wir lassen uns nicht kaufen» avancierte sie 2001 zur Ikone der Globalisierungskritiker. «Das Zeitalter der Einsamkeit» ist Hertz’ neuestes Buch. (bob)

Sie plädieren für eine Regulierung von Social Media. Wer soll das umsetzen?

Immer mehr Regierungen denken über strengere Gesetze nach. In Grossbritannien wird ein Gesetz zur Verhinderung von Missbrauch vorbereitet. Plattformen, die ihre Nutzer nicht vor Gewaltmaterial schützen, riskieren Bussgelder von bis zu zehn Prozent ihres Umsatzes. Auch soll eine Schutzpflicht gegenüber Kindern verankert werden.

Das wäre kooperativer Kapitalismus. Ist das nicht ein Widerspruch?

Nein. Der Neoliberalismus wie er sich seit den Zeiten von Margaret Thatcher und Ronald Reagan verbreitet hat, ist nicht die einzige Form von Kapitalismus. Es gibt andere Formen, die sich auch am gesellschaftlichen Wohlstand orientieren. Sogar Adam Smith, der Urvater des Kapitalismus, spricht von Empathie, Gemeinschaft und der Rolle des Staates bei der Finanzierung von Infrastruktur und bei der Kontrolle der Wirtschaft.

Sie wollen einen neuen «New Deal», der durch eine stärkere Steuerprogression finanziert werden soll. Wie soll das funktionieren?

Unternehmen, die von der Corona-Krise massiv profitiert haben, sollten stärker besteuert werden. Dasselbe gilt für den Onlinehandel. Aber es geht nicht nur um Steuern, sondern auch darum, wo investiert werden soll. Seit der Finanzkrise gingen die Investitionen in die Infrastrukturen weltweit zurück. Bibliotheken, Parks, Jugendclubs, Turnhallen müssen saniert und instandgesetzt werden. Lokale Geschäfte und Cafés brauchen Unterstützung.

«Welches sind die säkularen Kathedralen des 21. Jahrhunderts?»

Der Staat muss zu einer Art Notfall-Arbeitgeber werden  – was meinen Sie damit?

Da geht es nicht nur um die Covid-Krise, sondern um die nächste Krise, die Krise der Arbeit. Wir müssen uns überlegen, wie wir als Gesellschaft zusammenleben wollen, wenn die Mehrheit der Menschen keine Arbeit mehr hat.

Warum fordern Sie ein neues Verständnis von Arbeit.

Gemäss Schätzungen könnten bis zum Jahr 2040 vierzig Prozent der Menschen ihren Job verlieren. Die Regierungen müssen sich überlegen, was mit diesen Leuten geschehen soll. Denn es reicht nicht, bloss Geld zu verteilen. Die Menschen brauchen anständige Jobs. Die Einführung einer Robotersteuer für Firmen, die mehr in Roboter als in Arbeitsplätze investieren, könnte eine sinnvolle Massnahme sein. In Südkorea ist es damit gelungen, das Tempo der Automation zu drosseln und Ressourcen zur Finanzierung der steigenden Sozialhilfekosten sowie zur Kreierung neuer Jobs zu schaffen.

Im Zusammenhang mit der Glücksforschung erwähnen Sie die Charidim, eine religiöse Gemeinschaft in Israel, die ungesund isst, sich kaum bewegt und trotzdem glücklicher ist. Wie ist das möglich?

Die Charidim leben das Gegenteil von dem, was gemeinhin als gesund gilt. Und doch leben sie im Durchschnitt gesünder und länger als die säkularisierten Israelis. Für die Charidim ist es eine Pflicht, einander in Zeiten der Not beizustehen. Menschen in Gemeinschaften, in denen die Mitglieder füreinander da sind, haben ein besseres Leben.

Das Leben in einer Gemeinschaft ist gesünder als auf die Ernährung zu achten und Sport zu treiben?

Ja, die Charidim sind nicht das einzige Beispiel dafür. In den Fünfzigerjahren gab es im Ort Roseto in Pennsylvania eine Gemeinschaft italienischer Katholiken, die genauso ungesund assen und zudem noch viel tranken und rauchten. Die jährliche Sterberate der Männer über 65 war halb so gross wie die entsprechende Rate in ganz Pennsylvania. Gemeinschaft und Zusammengehörigkeitsgefühl sind eigentliche Gesundheitsdividenden.

Müssen wir alle religiös werden, um glücklich zu werden und länger zu leben?

Es ist nicht die Religiosität an sich, die sich positiv auf die Gesundheit auswirkt, sondern die Teilnahme an religiösen Anlässen. Es geht um Zusammengehörigkeit. Wir müssen mehr in die Gemeinschaft investieren. Die Fragen lauten: Wie kommen wir wieder in Verbindung? Welches sind die säkularen Kathedralen des 21. Jahrhunderts?

Quelle: https://www.tagesanzeiger.ch/wir-erleben-eine-weltweite-einsamkeitskrise-582296368122

Andrea Hirata: Die Regenbogentruppe

Andrea Hirata: Die Regenbogentruppe

Gut gewinnt gegen gierig

von Martin Ebel

die regenbogentruppe

Andrea Hirata: Die Regenbogentruppe. Roman. Aus dem Indonesischen von Peter Sternagel. Hanser, Berlin 2013. 270 S., ca. 28 Fr.

Andrea Hirata hat über seine indonesische Dorfschule einen Roman geschrieben. Er rührte Millionen, wurde verfilmt und zum Weltbestseller.

Buchempfehlung: Erfolgsmodell Schweiz

Buchempfehlung: Erfolgsmodell Schweiz

März 24, 2010 um 13:48

Die neue Front: Republik gegen Imperium

helvetia CH Franken

Helvetia auf schweizer Franken

Volles Haus gestern bei der Buchvorstellung von Elsässer/Erne “ERFOLGSMODELL SCHWEIZ: Direkte Demokratie,selbstbestimmte Steuern, Neutralität”:

Buchempfehlung: Gruppe Giardino – Mut zur Kursänderung

Buchempfehlung: Gruppe Giardino  – Mut zur Kursänderung

Schweizerische Sicherheitspolitik am Wendepunkt. Ein erhellendes Buch über die aktuelle Sicherheitslage der Schweiz

Ein interdisziplinäres Team von Mitgliedern der Gruppe Giardino hat sich der Aufgabe gestellt, den Zustand unseres Wehrwesens zu ermitteln. Ausgangspunkt waren sich häufende Ungereimtheiten nach verunglückten Reformen und zunehmende Zweifel daran, ob die Armee ihren Verfassungsauftrag überhaupt noch erfüllen kann.

Buch Kursaenderung 200 Gruppe Giardino

Kursänderung

Deutschlands Besorgnis erregender mentaler Zustand

"Es scheint unmöglich in der Bundesrepublik, mit den slawischen Opfern des Nazi-Rassenwahns auch nur anständig umzugehen" (Instrumentalisierung der Geschichte – Babi Jar und der Untermensch im Slawen, von Barbara Henn, RT, 12.6.21 )
Eine Lesezuschrift von Wolf Gauer - 14. Juni 2021

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser,
unser in Südamerika lebender Freund, Wolf Gauer, sendet uns seine Gedanken zum derzeitigen Besorgnis erregenden mentalen Zustand Deutschlands, den auch wir feststellen und Ihnen hier gerne als Leserbrief zur Kenntnis bringen. Herzlich Margot und Willy Wahl

«Liebe MitleserInnen,

Ich weiß es nicht, vermute aber, dass es Ihnen so geht wie mir: Die in der BRD um sich greifende Herabwürdigung und Diffamierung Russlands nimmt derartige Formen an, dass man nur mit Scham und extremer Besorgnis reagieren kann.

Die rassistische Hasskampagne der Hitlerei ist plötzlich wieder da. Offensichtlich wissen ihre Urheber, welche Töne sie spucken müssen um "anzukommen". Nämlich Rassismus, Arroganz, Lügen und vor allem Anbiederung bei denjenigen, die genauso desinformiert, ungebildet, so arrogant und aggressiv sind, wie ihre Vorbeter in den Medien und sozialen Netzen.

Umso beschämender, als wir ja alle aus eigener Erfahrung wissen, wie viel die Kenntnis der russischen Kultur, ihrer Literatur, Philosophie, Musik und Wissenschaft zur allgemeinen Humanisierung beigetragen hat und das auch weiterhin tut.

Dennoch verbreiten ambitionierte Start-up-PolitikerInnen jeder Couleur und medial gepäppelte "Experten" ungeniert ein Klima der Diffamierung, das mittlerweile die Begriffe "russisch" oder "slawisch" automatisch negativ und ablehnend besetzt.

Zu den deutsch-russischen Beziehungen und ihrer Vorgeschichte vor den großen Kriegen deshalb zwei Lektüre-Hinweise:

Zunächst mit meiner ganz besonderen Empfehlung ein ausgesprochenes Literaturerlebnis, nämlich:

Russlands soziale Zustände 

von Aleksander Iwanowitsch Herzen (erste deutsche Originalausgabe, Hbg. 1854)

Ein leider fast vergessenes bzw. unterdrücktes historisches Panorama vonseiten des vielfach verfolgten russischen Philosophen, Schriftstellers und Weltbürgers. Der Sohn eines russischen Adligen und einer deutschen Bürgerlichen war seinerzeit wohl einer der besten Kenner der russischen Sozialgeschichte und somit auch des fragwürdigen Beitrags deutscher Wasserträger bei der Herausbildung des abgehobenen zentralistischen russischen Ständestaats aus einer ursprünglich selbstverantwortlichen slawischen Bauernkultur.

Der Informationswert ist hoch und anregend und wird trotz des leidvollen Themas ausgesprochen unterhaltend vermittelt.

Kostenlos abrufbar unter:
https://books.google.de/books?id=2KNKAAAAcAAJ&hl=de&source=gbs_book_other_versions_r&cad=4
(Die links oben erscheinende Titelminiatur anklicken. Die Schreibweise "Aleksandr I. Gercen" entspricht der russ. Aussprache)

Weiterhin die schon oben angesprochene:

Instrumentalisierung der Geschichte  – Babi Jar und der Untermensch im Slawen

«Es scheint unmöglich in der Bundesrepublik, mit den slawischen Opfern des Nazi-Rassenwahns auch nur anständig umzugehen. Stattdessen wird ausgerechnet Babi Jar benutzt, um zu signalisieren, dass Untermensch Untermensch bleibt - zumindest, solange er Slawe ist.»

Von Barbara Henn, RT, 12 Juni 2021

https://de.rt.com/meinung/118880-babi-jar-und-untermensch-im/

Herzlich Wolf Gauer»

Fühlen, was die Welt fühlt

Die Bedeutung der Empathie für das Überleben von Menschheit und Natur
von Prof. Dr. Joachim Bauer
Die Welt ist im Wandel. Ereignisse wie die Corona-Pandemie, nur ein Aspekt einer größeren ökologischen Krise, führen uns die Verletzlichkeit des Menschen vor Augen und machen Angst. Sie lassen uns aber auch Zusammenhalt spüren, die tief verankerte Sozialität des Menschen. Wir nennen dieses Gefühl Empathie. Sie ist der Kern unseres Wesens und einer Kultur der Gemeinschaft.

Medienmündig – Wie unsere Kinder selbstbestimmt mit dem Bildschirm umgehen lernen

Medienmündig  – Wie unsere Kinder selbstbestimmt mit dem Bildschirm umgehen lernen

Mut zum zukunftsträchtigen Zögern!

Stellen Sie sich vor, Sie kommen völlig außer Atem eine Treppe aus der Bahnhofsunterführung hinaufgehetzt. Der Zug steht schon abfahrbereit am Bahnhof, die meisten Türen sind bereits geschlossen. An einer der offenen Türen steht jemand und ruft: Beeilen Sie sich, sonst fährt der Zug noch ohne Sie ab! So schnell Sie eben können, rennen Sie auf diese Tür zu und erreichen sie völlig atemlos und gerade noch rechtzeitig. Aber ganz kurz vor dem Einsteigen zögern Sie … Sie sind sich mit einem Mal nicht mehr sicher, ob es der richtige Zug ist. Fährt er überhaupt dort-hin, wo Sie hinwollen?

Das ist eine gute Frage! Dieses Buch soll Mut machen, genau solche Fragen an unsere schnelllebige »digitale Gesellschaft« zu stellen. Um in diesen entscheidenden Momenten zu zögern und Fragen zu stellen, muss man sehr mutig sein. Wem nützt die angeblich stetig zunehmende Bedeutung von Computern, Fernsehen, Internet und Co.? Nützt sie uns? Unseren Kindern? Oder den Herstellern dieser Produkte? Worauf zielt überhaupt Medienerziehung? Fördert sie das Bruttosozialprodukt? Bringt sie möglichst effizient medienkompetentes Humankapital hervor?

Prinzip Menschlichkeit – Warum wir von Natur aus kooperieren

Buchempfehlung Prinzip Menschlichkeit

von Prof. Dr. Joachim Bauer

Rezension von Dr. Anita Schächter, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin

Joachim Bauer, Professor für innere Medizin und für Psychiatrie an der Abteilung für Psychosomatische Medizin in Freiburg, schaut in seinem neuesten Buch weit über den Tellerrand seiner Disziplin hinaus.

Beim Lesen des Buches ruft der Autor mit seinem Denken und mit seinen Aussagen Herzklopfen hervor. «Grossartig!» geht es einem unwillkürlich durch den Kopf: Hier gibt einer Beispiel, wie man exakt, kleinschrittig und für jeden verstehbar von seiner Fachdisziplin aus in das gesellschaftliche, historische und politische Feld hineindenken kann. Ja, er macht geradezu vor, wie man sich dieser Verantwortung als Wissenschafter und als Bürger stellen kann und stellen muss.

Schluß mit dem Gebrabbel

Schluß mit dem Gebrabbel

von Holdger Platta

Jeder, der sich im bundesdeutschen Literaturbetrieb auskennt, weiß: politische Lyrik ist out. Literatur dieser Art ist für die großen Verlage ein Rücksende-Umschlag. Der Marktwert dieser Texte tendiert gegen Null.

Aber auch der Gebrauchswert? Auch die Qualität?

Der Autor Rudolph Bauer, vormals Politologe an der Bremer Universität, tritt den Gegenbeweis an  – und mit ihm der Sujet-Verlag, der nunmehr den dritten Lyrikband von Bauer veröffentlicht hat: »Flugschriftgedichte«.

Technischer Fortschritt und Demokratie

Überlegungen zu Diana Johnstone und Klaus Schwab
von Dr.-Ing. Christian Fischer
Der vom World Economic Forum ausgerufene „Great Reset“ wirft die Frage auf, wie man sich gegen technische Entwicklungen wehren kann, die große gesellschaftliche Veränderungen mit sich bringen würden. Kann oder will man sie vermeiden? Oder demokratischen Prozessen unterstellen? Das ist eine Menschheitsfrage, die sich durch die ganze Zivilisationsgeschichte zieht. Muss man in Abwandlung eines Loriot-Zitates (1) sagen: Technischer Fortschritt und Demokratie passen eben nicht zusammen?

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser,
in überraschend kurzer Zeit wurde Diana Johnstone's Beitrag "Der grosse Vorwand... für eine Anti-Utopie" zu einem der meistgelesenen Texte auf unserem Portal. Nun erhalten wir dazu von einem Seniora-Leser einen Leserbrief, den wir hier als "Diskussionsbeitrag zu der Frage, wie die Gesellschaft zum Wohle aller gestaltet werden sollte" veröffentlichen. Weil eine breite Auseinandersetzung darüber so wichtig ist und sie in den Etablierten Medien kaum stattfindet, freuen wir uns über weitere Diskussionsbeiträge zu diesem Thema aus dem Kreise unserer Leserinnen und Leser.
Herzlich Margot und Willy Wahl

Diana Johnstone diskutiert in ihrem Artikel über den „Great Reset“ (2) die Frage, welche der neuen technisch-gesellschaftlichen Entwicklungen wir im Einzelnen haben wollen und fordert, das Volk müsse wieder (?) Macht darüber gewinnen, für welche Zwecke Kapital investiert wird; privates Kapital müsse ggf. sozialisiert werden, wenn es sich dagegen sperrt. Sie nennt das eine konservative Revolution. Was heißt das? Sollen die Investitionsentscheidungen, die auf den strategisch-operativen Führungsebenen von Google, Apple, Siemens, VW, Boeing oder gar Blackrock, Vanguard & Co. getroffen werden, in demokratische Abstimmungsprozesse „vors Volk“ gebracht werden?

Was heißt: Wirtschaft sozialisieren?

Klassisch meint man damit wohl: Industrie, Gewerbe, unternehmerisches Handeln verstaatlichen. Dazu gab es im 20. Jahrhundert einige Versuche, deren demokratische Legitimation allerdings nicht einmal in den Köpfen der dortigen Entscheidungseliten bestand. Soweit hier tatsächlich Staats- (bzw. Partei-) -funktionäre „unternehmerisch“ tätig waren, konnten die Ergebnisse kaum überzeugen. Ein kleines, aber repräsentatives Beispiel: die demokratisch legitimierte DDR-Auflösung hat über Nacht den Trabant durch den Golf ersetzt. Diese und viele ähnliche Bürgerentscheidungen waren auch demokratische Antworten auf den Staat als Wirtschaftsunternehmer. Zwar wird auch der Golf mit dem Staat als Teil-Aktionär produziert, aber Staat und Politik treffen hier keine unternehmerischen Entscheidungen. Unternehmerisches Staatshandeln und wirtschaftliche Prosperität waren selten gute Freunde, außer vielleicht kurzfristig nach Katastrophen zu Anschubfinanzierungen.

Das kommunistische, bzw. parteidiktatorische China ist kein Gegenbeispiel. Hier gibt es zwar erfolgreiches privates Unternehmertum. Die staatlichen Leitplanken entsprechen allerdings kaum demokratischen, bzw. sozialen Kriterien. Große Teile der Bevölkerung sind ohne eigene Mitsprache durch die flankierenden staatlichen Maßnahmen dem rücksichtslosen Gewinnstreben erfolgshungriger Unternehmer unterworfen. Soziale, zivilrechtliche und auch staatsrechtliche Schutzmaßnahmen sind in den meisten kapitalistischen Ländern weiter entwickelt als in China.

Sind genossenschaftliche Organisationsformen eine bessere Lösung? In einer Genossenschaft wird ein wirtschaftlicher, nicht primär ein finanzieller Zweck mit demokratischen Mitteln verfolgt; jeder Genosse hat für den verabredeten Zweck dasselbe Stimmrecht, unabhängig von seinem finanziellen Einsatz. Dieses demokratische Wirtschaftsmodell funktioniert gut an vielen Orten in der Welt für jeweils spezifische Ziele.

Aber ist auch ein VW-Konzern als Genossenschaft denkbar? Wer wären dabei die Genossen? Die Mitarbeiter? Die Kunden? Beliebige unternehmensferne Mitbürger? Würde das Unternehmen dann noch ähnlich funktionieren und „nur“ das Geld gerechter verteilt oder bessere Autos oder etwas ganz anderes gebaut werden?

Diese Fragen sind ernsthafte Überlegungen wert. Sie würden übrigens die Notwendigkeit einer Revolution mit Enteignungen einschließen. Allerdings ist nirgends eine Bürgerbewegung mit dem Ziel der Vergenossenschaftlichung von industriellen Großunternehmen zu erkennen. Dieses Fehlen ist auch eine demokratische Aussage.

Wir sollten doch noch einmal über eine soziale Marktwirtschaft nachdenken, bei der der Staat auch (!) von erfolgreichen Unternehmen angemessen Steuern eintreibt und auf diesem Weg eine Infrastruktur, nicht gewinnorientierte Grundleistungen und den Rechtsstaat finanziert.

Technik und Gesellschaft

Wie entsteht überhaupt technischer Fortschritt? Heute sind Abteilungen in großen Unternehmen, zum Teil auch in Hochschulen professionell für bewusst angestrebte Entwicklungsziele eingesetzt, oft leider auch mit Steuergeldern für militärische Zielsetzungen. Außerdem gab und gibt es immer auch Einzelne oder Kleingruppen von Erfindern, die aus eigener Kraft und mit Bankkrediten Neues schaffen, evtl. auch vermarkten und damit oft schon umwälzende Veränderungen initiiert haben.

In beiden Fällen beginnt die Entwicklung von technischen Neuerungen, die das Leben der Menschen und der Gesellschaft verändern, meist außerhalb demokratischer Entscheidungen. Öffentlich geförderte Forschung setzt zwar Ziele, kennt aber meist das Ergebnis nicht im Detail. Fast immer läuft die Demokratie dann hinter der einmal entstandenen Technik her, so wie in der Fabel der Hase hinter dem Igel herläuft, der immer schon am Ziel steht, weil er zu Mehreren unterwegs war.

Als Gottlieb Daimler und Carl Benz ihre ersten Autos bauten, haben sie niemanden gefragt, ob das gesellschaftlich gewünscht sei. Andere folgten nach und aus dem Luxusgegenstand ist ein Alltagsgegenstand geworden, der in wenigen Generation das gesellschaftliche Leben völlig verändert hat. Mit Steuergeldern wurden die Straßen gebaut, mit Gesetzen der Verkehr geregelt. Zuerst war die Erfindung, das Produkt da, dann die Nachfrage, was auch eine Art „demokratischer“ Entscheidung ist, und dann die staatlich-demokratischen Regelungen. Nachdem Auto und Nachfrage existierten, ließ sich die Entwicklung nicht mehr aufhalten, weder mit demokratischen noch mit undemokratischen Mitteln.

Bei vielen technischen Neuerungen, die uns heute selbstverständlich sind, konnte sich niemand das Ausmaß der gesellschaftlichen Veränderungen vorstellen bevor es stattgefunden hat. Das gilt für das elektrische Licht oder für Foto- und Filmapparate, für die Entwicklung des Gummis oder hochpolymerer Kunststoffe, für den Kühlschrank oder die Zentralheizung, für tausende Gegenstände bis hin zum Dynamit: Alfred Nobel stiftete immerhin einen Friedenspreis als er  – dank Berta von Suttner - verstand, was ihm gelungen war… Es ist nicht erkennbar, wie die bloße Existenz all der massiv gesellschaftsverändernden Produkte demokratisch hätte beschlossen werden können.

Erfindungen sind oft ambivalent: Bekanntlich kann man mit einem Messer sowohl seine Mahlzeit zu sich nehmen als auch einen Menschen töten. Diese Ambivalenz lässt sich zwar nicht auf alles, aber auf sehr vieles anwenden, sogar auf militärisch initiierte Entwicklungen: mit Kameras ausgerüstete Drohnen können auch zivile Menschleben retten oder Forschungsvorhaben unterstützen, sei es in der Archäologie, sei es in der Naturkunde.

Technik und Demokratie sind zwei Ebenen, die in der richtigen Stelle zusammenfinden müssen: wenn jemand Windräder zur Energieerzeugung entwickelt, ist das eine Sache. Ob eine Gesellschaft es erlaubt, ganze Landschaften mit diesen Türmen vollzustellen, eine andere: das eine ist individuelle Freiheit, das andere muss demokratischer Entscheidung unterliegen. Dies ist ein einfaches Beispiel.

Komplizierter ist es bei kleinen Produkten, die der individuellen Kaufentscheidung offenstehen. Da spielt sich die „demokratische“ Entscheidung hauptsächlich durch Angebot und individuelle Nachfrage ab. Taschenrechner oder Datenchip und vieles andere, was seit wenigen oder vielen Jahren unser Leben prägt: kann man sich Produktions- und Verkaufsverbote dafür vorstellen? Die Glühbirne wurde zwar verboten, aber erst als „besserer“(?) Ersatz dafür vorhanden war. Neue Techniken, die als „Industrie 4.0“ oder wie auch immer plakatiert werden, stehen Wahlen und Abstimmungen grundsätzlich nicht zur Verfügung. Demokratische Aktivität kann und muss ihre Nutzungs- und Einsatzbedingen, nicht ihre Existenz regeln.

Johnstones Beispiele zum Great Reset

Greifen wir die Beispiele von Diana Johnstone (2) auf, die sie im Zusammenhang mit dem „Great Reset“ benennt. Den „Great Reset“ des WEF charakterisiert sie als Propagandaprojekt einer mächtigen Lobby zur positiven Beeinflussung der Öffentlichkeit im Interesse dieser Unternehmen. Dann geht sie auf die aktuellen technischen Projekte konkret ein und fordert zur Auseinandersetzung damit auf.

Beispiel 1: Die Verbreitung von Telekonferenzen sei durch die Pandemie beschleunigt worden  – darin sieht sie Vorteile. Dem kann man sich anschließen.

Beispiel 2: Die Digitalisierung der Hochschulbildung, die während der Pandemie verstärkt werden musste, sieht sie kritischer und allenfalls als Ergänzung zur unverzichtbaren physischen Präsenz-Bildung. Auch dem kann man sich anschließen, muss aber ergänzen: für Schulen gilt noch mehr: je jünger die Schüler, desto unverzichtbarer die physische Beziehung. Hier muss und kann die öffentliche Hand entsprechende Regeln setzen und auf deren Einhaltung achten.

Beispiel 3: Im Gesundheitsbereich mit Big Tech und Wellness sieht sie die Gefahr, dass wir unser individuelles Leben als immense Datensammlung betrachten und uns nach der jeweils letzten Mode stylen statt natürliche Beziehungen zu pflegen. Auch dem kann man sich anschließen, muss aber ergänzen: Datensammlungen sind nicht nur Verführungen für das Individuum, sondern vor allem für die Anbieter und deren Geschäftspartner, die Menschen manipulieren wollen.

In China findet das bereits großräumig statt und die dortige Bevölkerung steht dem Datenschutz, wohl kulturhistorisch bedingt, relativ unkritisch gegenüber. Aber auch bei uns scheint nur eine Minderheit die damit verbundene Erosion ihrer Freiheit angemessen zu erkennen. Dagegen ist dringend und umfassend Aufklärung gefordert. Niemandem soll verboten werden, alle quantifizierbaren Daten über sich unter seine Haut auf einen Chip zu implantieren und diesen ständig zu aktualisieren; aber ebenso sicher darf davon keine einzige Funktion des zivilen Lebens abhängig gemacht werden.

Beispiel 5 (nachdem Johnstone ihr Beispiel 4 -Essen- selbst überspringt): Die Substitution menschlicher Arbeit z.B. durch Roboter beklagt Johnstone, was in ihren Beispielen sehr verständlich und nachvollziehbar ist. Trotzdem ist nicht zu leugnen, dass Arbeit seit Jahrhunderten immer wieder durch technische Entwicklungen ersetzt wurde  – oft gegen anfängliche kulturpessimistische Bedenken und trotzdem oft nicht zum Nachteil des menschlichen Lebens! Problematisch waren und sind dabei nicht die Techniken, sondern die meist zunächst damit verbundenen sozialen Ungerechtigkeiten.

Ein aufschlussreiches Standardwerk zur Technikgeschichte vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert hat Sigfried Giedion mit „Die Herrschaft der Mechanisierung“ bereits 1948 vorgelegt (3). Der Mechanisierung folgte die Elektrifizierung und inzwischen die Digitalisierung. Wir können heute nicht mehr entscheiden, ob wir Digitalisierung haben wollen. Wir müssen „nur noch“ eine „Herrschaft der Digitalisierung“ verhindern und stattdessen Herrschaft über die Digitalisierung gewinnen. Das beinhaltet zwei Aufgaben: soziale Härten vermeiden und die Einsatzbedingungen der Techniken konkret und detailliert regeln. Warum sollten wir nicht roboterartige Maschinen allerlei Drecksarbeit verrichten lassen, sie aber als Ersatz für menschliche Beziehungspflege, sei es in Altersheimen, sei es bei Telefondiensten, sei es anderswo, untersagen? Allein über die Existenz neuer Techniken zu klagen, hat wenig Sinn.

Beispiel 6: Das Militär und die dank neuer Techniken noch unmenschlicher werdende Kriegsführung sind Johnstones letztes Beispiel. Hier kann man sich ihrer Empörung, die sie in Form von Ironie zum Ausdruck bringt, nur anschließen. Aber die neuen technischen Möglichkeiten sind da nur  – schlimm genug - eine Oberfläche. Das zugrunde liegende Problem ist die Kriegsführung selbst, die so oder so von unserem demokratischen Friedenswillen gebändigt werden muss.

Unsere Aufgaben

Auf die politische Seite der in Klaus Schwabs Buch (4) angesprochenen technischen Entwicklungen geht Diana Johnstone nicht genauer ein. Deshalb wird hier ergänzt: die raumgreifenden Eigenschaften der digitalen Techniken werden von Schwab mit einem raumgreifenden politischen Anspruch verbunden. Einmal mehr werden der Nationalstaat als überholtes Modell dargestellt und die Europäische Union sowie weitergehend eine Global Governance als politische Systeme der Zukunft propagiert. Als müssten die gesellschaftlichen und politischen Zustände sich den grenzübergreifenden technischen Möglichkeiten anpassen. Müssen nicht vielmehr die technischen Möglichkeiten dem Gemeinwohl unterstellt werden? Das wäre Aufgabe demokratischen Handelns.

Wer die nicht an Grenzen gebundene Technik missbraucht, um Nationalstaatlichkeit anzugreifen, greift in Wahrheit die Demokratie an. Denn weder ist die EU historisch eine Demokratie oder will es überhaupt sein (5), noch ist erkennbar wie eine Global Governance als Demokratie funktionieren soll. Von den Verfechtern dieser Pläne wird nicht einmal der Versuch gemacht, ihre Absichten mit demokratischer Willensbildung und Entscheidungskompetenz in Verbindung zu bringen.

Leider haben heute schon viele Mitbürger dieser Sicht nichts oder wenig entgegenzusetzen, was auch Diana Johnstone beklagt. Viele neigen dazu, „alternativlose“ Ansagen dem demokratischen Diskurs vorzuziehen. Aus dieser Haltung heraus mag man sich früher einen „guten König“ gewünscht haben. Vor 100 Jahren hofften ähnlich Gläubige auf die allwissende kommunistische Partei, die als „Übergang“ zur klassenlosen Gesellschaft eine Diktatur des Proletariats errichten sollte. Und vor bald 50 Jahren forderten Einige (z. B. Rudolf Bahro) einen grünen Diktator zur Rettung der Welt; Sympathien in dieser Richtung sind auch heute bei Vielen nicht vergessen…

Solch elitäres Denken trifft sich politisch korrekt mit den Plänen des ebenso elitären World Economic Forum und positioniert sich gegen uneinsichtige Mitbürger. WEF & Co organisieren Kampagnen, um in vielen Städten und Ländern entsprechende Propaganda zu verbreiten (6). Das Fußvolk dieses Fortschritts gefällt sich als politischer Treibriemen in die demokratischen Institutionen hinein, um die Ziele der Global Player „von unten“ durchzusetzen  – oder auch nur die Akzeptanz dafür zu erhöhen; manche glauben dabei sogar an das Gute ihres Tuns, da es ja nun um die stakeholder, nicht mehr nur um die shareholder gehe und da sogar Frau von der Leyen den Green New Deal ausgerufen hat.

Dagegen brauchen wir Bürgergespräche außerhalb von interessengesteuerten NGO-Strukturen, Verständigung, Zuhören, Kompromisse schließen, bei denen nicht immer das vermeintlich „alternativlos Richtige“ Realität werden muss. Vor allem brauchen wir dezentrale, also demokratische Entscheidungsstrukturen. Das allein wäre schon ein Schritt dahin, grenzenlose Techniken zu beherrschen statt sich von deren zentral agierenden Maschinisten beherrschen zu lassen. Es gibt mehr als genug aktuelle Fragen demokratischzu klären, z.B.: Wie ist das Verhältnis von Home Office zur Büropräsenz zu regeln? wie das E-Learnig zur Unterrichtspräsenz, altersstufenspezifisch? Welche Entscheidungsfreiheiten sollen private Unternehmen für ihre internen Abläufe behalten und in welchem Maß dürfen staatliche Vorgaben die Gewerbefreiheit arbeitsschutzrechtlich einschränken? Welche persönlichen Daten wollen oder müssen wir unkontrolliert in den Äther schicken? Vor allem: Wie kann Bürgerwille politisch geltend gemacht werden?

Schon längst und unabhängig von neuen Techniken brauchen wir direktere Abstimmungsmöglichkeiten mit umfassenderen Kompetenzen - im Rahmen unserer demokratischen Institutionen, die wir nutzen und in diesem Sinne verbessern müssen statt sie an ferne Clouds oder nach Brüssel oder Washington DC abzugeben oder sie als „Diktatur“ zu missachten, wie einige gedankenfaule und geschichtsblinde Zeitgenossen das tun. Wie schützen wir uns lokal, regional, national vor den Entscheidungen von supranationalen Ebenen, seien es ferne Institutionen oder seien es die von elitären Lobbys geführten allgegenwärtigen NGOs?

Um die anstehenden Aufgaben im Sinne der Demokratie zu bewältigen - oder überhaupt nur zu erkennen(!), muss vor allem eine breite Volksbildung wiederaufgebaut werden. Manche sehen es schon als einen Teil der Global Governance, dass das öffentliche Bildungswesen verschlechtert wurde und wird. Ein wichtiger Schritt zur demokratischen Willensbildung und Entscheidungsfindung ist die Rekonstruktion der öffentlichen Schulen und Hochschulen  – als Bildungsanstalten! Dabei müssen nicht nur ethisch fundierte Geschichts- und Menschenkenntnis im Mittelpunkt stehen, sondern auch Naturwissenschaften und Technik umfassend darin eingebunden werden. Nur auf dieser Basis wird es möglich sein, nicht von „der Technik“, bzw. einer dahinterstehenden steuernden „Elite“ abhängig zu bleiben, sondern sich über alte wie neue Techniken demokratisch zu verständigen und sie menschengerecht zu nutzen.

Fußnoten
  1. „Männer und Frauen passen eben nicht zusammen.“
  2. Diana Johnstone in: https://www.seniora.org/wunsch-nach-frieden/demokratie/der-grosse-vorwand-fuer-eine-anti-utopie
  3. Sigfried Giedion: Die Herrschaft der Mechanisierung, Frankfurt 1982
  4. Klaus Schwab, Thierry Malleret: Covid 19: Der große Umbruch, Amazon 2020
  5. Hannes Hofbauer: Europa  – ein Nachruf, Wien 2020
  6. https://norberthaering.de/buchtipps/rezension-covid-19-the-great-reset-klaus-schwab/

Vom Büro in die Gosse

Die Gesundheitskrise ist zur Sozialkrise geworden
Matthias Winterer , 31.01.2021, Wiener Zeitung
Immer mehr Menschen verarmen. Konkrete Zahlen gibt es nicht. Doch die Tendenz ist beunruhigend. Eine Spurensuche.

Die Schlange wird länger. Gestern reichte sie schon bis zur Kreuzung. Fast hundert Menschen. Und täglich werden sie mehr. Sie stellen sich um Fleischlaberl an. Um Ravioli in Tomatensauce. Einen Steinwurf vom gläsernen Büroviertel Wien Mitte entfernt - in der Ungargasse - geben die Ordensschwestern der Elisabethinnen Essen an Bedürftige aus. Seit vielen Jahren. Heuer ist der Zulauf größer als sonst.

Wer nicht aufwachen will, will unsanft geweckt werden

Corona offenbart die morschen Stümpfe unseres Gemeinwesens. Das ist bitter, aber was fällt, soll man stoßen. Und gleichzeitig am Neuen bauen. Ein Weckruf.
Milosz Matuschek , 30.01.2021, Freischwebende Intelligenz
Vor etwa vier Jahren stellte ich ein Gedankenexperiment an. Ich fragte mich: Wie werden spätere Generationen einmal über uns urteilen?

Ich bin 1980 geboren und damit gerade so ein „Millennial“ oder Vertreter der „Generation Y“. Hillary Clinton hat uns mal als die „smarteste Generation aller Zeiten“ bezeichnet. Wir haben mehr Diplome als unsere Eltern, wischen auf smarten Geräten herum und halten uns auch sonst für mit allen Wassern gewaschen. „Dumm“ sind aus unserer Sicht immer nur frühere Generationen gewesen. Sie haben sich durch Propaganda in Kriege und Gräueltaten hinein verführen lassen, wurden von Vorgängergenerationen betrogen, von Eltern, Lehrern, falschen Propheten und Autoritäten in die Irre geführt.

„Wir“ hingegen sind überlegen, kritisch und schlau qua Geburtsjahr? Nun ja, das kam mir unwahrscheinlich vor und deshalb habe ich in meinem Buch „Generation Chillstand“ aufzuzeigen versucht, dass im Grunde jede Generation genauso blind und dumm ist, wie die Vorgängergeneration. Nur heißen unsere Blindstellen und komfortablen Lügen heute anders. Und so glaubt jede Generation letztlich, was sie will oder soll. In unserem Fall zum Beispiel, dass unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt wird, niemand die Absicht hat, Smartphones zur Massenüberwachung zu nutzen und Lebensversicherungen eine prima Altersvorsorge darstellen  – in Deutschland gibt es davon mehr als Einwohner. Oder ganz neu: Dass man eine „Jahrhundertpandemie“ ohne nennenswerte Übersterblichkeit haben kann.

Corona ist gerade ein überfälliger Augenöffner, wenngleich ein brutaler. Durch Corona werden die morschen Fundamente unseres Gemeinwesens gnadenlos sichtbar. Die Fassade bröckelt. Was zum Vorschein kommt, war schon davor existent und hässlich: Eine Demokratie auf Schwundstufe; eine an die Wand gefahrene Wirtschaft, die mit viel Liquidität künstlich am Leben erhalten wird; eine Priesterkaste an Intellektuellen, die beharrlich den eigenen Denkhorizont und Verblendungsgrad für die Grenze des Möglichen hält. Und all das durchzogen von einem untertänig blinden Restglauben an eine allmächtige Regierung, die wie eine Institution von mystischer Herkunft zwischen dem Einzelnen und dem Lauf der kosmischen Dinge damit betraut ist, für uns zu denken und uns zu beschützen. Willkommen im Jahr 2021.

Der Versuchsaufbau, in den der Einzelne eingeklemmt ist, sieht in etwa folgendermaßen aus und das nicht erst seit dem Corona-Jahr: 1. glauben, 2. hoffen, 3. bangen, 4. enttäuscht werden, 5. sich vertrösten lassen, 6. die Rechnung für alles bezahlen und 7. dann wieder von vorne. Es ist ein Zeichen von Wahnsinn, immer wieder das Gleiche zu tun und ein anderes Resultat zu erwarten. Man kommt sich jedenfalls gerade vor, als würde ein Großteil der Gesellschaft gebannt einem Hütchenspieler am Hauptbahnhof zusehen und sich denken: Beim nächsten Mal ist er sicher ehrlich. Ach ne, wieder nicht. Na gut, dann eben beim nächsten Mal. Kann man die Regeln des Hütchenspiels verändern? Nein. Man kann sich nur entscheiden, nicht mitzuspielen. Wer gerade versucht, eine Logik in dem Corona-Wahnsinn zu finden muss jedenfalls entweder an der Zurechnungsfähigkeit der Gesellschaft zweifeln oder an der eigenen. Wer für die Wahrnehmung der eigenen Freiheit einen Berechtigungsschein mit Stempel braucht, hat Freiheit weder verstanden noch verdient.

Der Satiriker George Carlin hat es schon vor Jahrzehnten auf den Punkt gebracht. Der Bürger ist eine Art Nutztier. Er wird wie das Eigentum anderer verwaltet, konditioniert, abgemolken. Das Spiel ist manipuliert. Und die Herdenbesitzer werden sich nicht um Sie kümmern. Kein bisschen. They don´t care about you. They don´t give a fuck about you!

Was gerade abläuft ist eine Art Putsch gegen die Bevölkerung. Das Endspiel. Und bisher läuft es schlecht für den Bürger. Aber mit dem Bürger kann man es ja machen. Warum auch nicht? Der Großteil hat jede idiotische Regelung schließlich auch bisher befolgt und wird deshalb sicher bald drei Masken übereinander tragen und für den Anal-Abstrich Schlange stehen, wenn es sein muss. Es ist den meisten ja auch egal, dass Quarantäne-Brecher in Lager gesteckt werden, die halbe mittelständische Wirtschaft auf die Pleite zurollt, die Merkel-Regierung Kinder quält oder alte Menschen in Seniorenheimen totgeimpft werden.

“Eine Lüge kann den halben Erdball umrunden, während sich die Wahrheit noch die Schuhe zubindet”, wusste Mark Twain. Lügen sind viral und potentiell pandemisch, die Wahrheit ist ihr Wellenbrecher. Früher oder später. Aber sie kommt nicht von allein. Sie braucht Helfer und Helfershelfer. Wer in der Wahrheit leben will, muss ihr Flügel wachsen lassen. Wer sich für die Welt der Lüge entscheidet, kann sich dagegen auf ihren morschen Stümpfen noch eine zeitlang häuslich einrichten.

Es wird kein Retter kommen. Kein Messias, kein plötzlicher Held, kein Held oder Neo aus Matrix. Es wird niemanden geben, der für den Einzelnen die Arbeit macht. Wer sich als Retter andient, will betrügen. Staatsgläubigkeit und Gehorsam führen ebenso in den Ruin, wie der blinde Glaube an den Fortschritt, den Charles Baudelaire einmal die „Ideologie der Faulen“ genannt hat. Alles hängt gerade davon ab, ob sich die Gesellschaft selbst organisieren kann und einen gemeinsamen Willen zu bilden vermag. Gegen Machtkonzentration, Technokratie, Korporatismus und Planungszentralismus hilft nur die organisierte Kraft dezentral agierender Individuen. Es wird Zeit, dass der Bürger die Strukturen seiner Lebenswelt selbst in die Hand nimmt. Gegen korrupte Regierungen hilft nur, daran zu arbeiten, unregierbar zu werden.

Es gibt Mittel und Wege für jedermann, dem bisherigen System die Gefolgschaft zu entziehen und es braucht nicht mal besonders viel Mut dazu:

  • Dezentrale Information durch Bürgerjournalismus.
  • Dezentral organisierte Willensbildung von unten nach oben in vielerlei Initiativen.
  • Dezentrales Geld wie Bitcoin statt Kaufkraftschwund und absehbare Enteignung.

Gerade probt eine Gruppe von Kleinanlegern den Aufstand gegen Hedgefonds und zeigt damit, wie einseitig zu Gunsten der Großen die gegenwärtigen Märkte organisiert sind und wie wichtig ein dezentrales Finanzsystem ist. Gegen die Kraft der Vielen ist kein Kraut gewachsen. Die nächste Revolution wird dezentral sein, niedrigschwellig umsetzbar sein und nichts kann sie aufhalten.

Wir haben die Entscheidung täglich vor uns, wie im Film Matrix nach Platons Höhlengleichnis schon vor Jahrzehnten aufgezeigt wurde: Die blaue Pille des Weiterschlafens oder die rote Pille des Aufwachens. Initiation und Individuation sind höchst persönliche Projekte. Die letzte Meile des Erwachsenwerdens muss jeder für sich gehen. Schon Platon wird der Satz zugeschrieben, dass man sich nur selbst initiieren kann. Aufwachen kann also nur jeder für sich selbst. Wer es nicht bald tut, wird von den Lebensumständen unsanft geweckt werden.

30.01.2021
https://miloszmatuschek.substack.com/p/wernichtaufwachenwill
abgerufen am: 30.01.2021

Wie Edward Bernays Massen manipulierte

Der Vater der Propaganda
Ein Feature von Manuel Gogos 54 Min.
Edward L. Bernays (1881 - 1995) gilt als Vater der Propaganda. Der Neffe Sigmund Freuds versuchte mithilfe der Tiefenpsychologie seines Onkels, die US-Gesellschaft zu manipulieren. Der erste Spin-Doktor der Politik wollte die Massen kontrollieren.

Das spannende Feature, vom 15.01.2021, 20:05 Uhr kann man hier hören:

Das Feature, 54 min 15.01.2021Von Manuel Gogos

Edward L. Bernays hat die Kunst der Beeinflussung der öffentlichen Meinung fast im Alleingang kreiert. Sein Klassiker „Propaganda“ von 1923 gehörte zur bevorzugten Lektüre von Joseph Goebbels. Nachdem die Deutschen den Begriff Propaganda in Verruf brachten, taufte Bernays sie in „Public Relations“ um. Er entwarf Werbekampagnen für Amerikas Wirtschaft, und er beriet die Politik.

Heute, da allerorten ein erbitterter Kampf um die Meinungshoheit tobt und autoritäre Regime und Rechtspopulisten die Propaganda nutzen, um die Demokratie auszuhöhlen: Braucht es da vielleicht eine neue, wirkungsvollere Propaganda für die Demokratie?

Wer die bessere Geschichte erzählt, gewinnt, erzählt Bernays Tochter Anne. Was kann uns Edward Bernays über die Kunst des Storytellings lehren?

Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/wie-edward-bernays-massen-manipulierte-der-vater-der.3720.de.html?dram:article_id=489754

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Von der Zensur zum Mainstream Medien und Massenmanipulation

von Robert Seidel

Wer sich heute ein Bild über die aktuellen politischen Geschehnisse machen möchte, ist oft verärgert über einseitige Berichterstattungen. Emotionalisierende Nachrichten, Pflege von Feindbildern oder Auslassungen sind immer häufiger anzutreffen. Es wird zunehmend anspruchsvoller, sich genau zu informieren. Ein Blick in die Vergangenheit kann helfen, die Situation heute wieder nüchterner zu betrachten.

Kennzeichen einer Demokratie und eine ihrer Grundlagen ist die Meinungs­äusserungsfreiheit. Sie gehört zu den unveräusserlichen Menschenrechten. Jeder darf frei seine Meinung äussern und zur Diskussion stellen. Erst durch einen offenen Austausch verschiedener Meinungen, Ideen, Lösungsvorschläge oder Ansichten entsteht eine Auswahl an Möglichkeiten, die Grundlage bieten, sich einen eigenen Standpunkt zu bilden. Wer mitsprechen und mitentscheiden möchte, ist angehalten, verschiedene Ansätze zu durchdenken und sie für sich zu prüfen, um gegebenenfalls auch eine politische Entscheidung treffen zu können. Deshalb sind mediale «Treibjagden» zutiefst undemokratisch, weil sie  – anstatt den Meinungspluralismus zu stärken  – die Grundlagen der Demokratie selbst angreifen, indem sie sich herausnehmen zu bestimmen, was «richtig» und «falsch» sei.

Eine wichtige Errungenschaft unserer modernen Demokratie ist die Abschaffung der Zensur. Die Pressefreiheit auf der Grundlage der Meinungsäusserungfreiheit stellt ein Fundament der Demokratie dar. Politische Eliten haben zum Erhalt ihrer Macht immer wieder versucht, abweichende Meinungen zu unterdrücken. Staatliche Beamte zensierten die Presse und selektierten so den Lesestoff für die Bevölkerung. Die heutigen Versuche, Einfluss auf das Internet zu nehmen, muten ähnlich an. Doch wie versucht man heute, die Bürgerinnen und Bürger zu beeinflussen? Ein kurzer Rückblick darauf, wie Herrschafts­eliten und Medien zusammenarbeiten, kann aufschlussreich sein.

Da inzwischen viele Archive offenstehen, kann man die historischen Versuche der Eliten, über Medien Einfluss zu nehmen, besser nachvollziehen. Man kann zum Beispiel feststellen, dass ab 1917 die US-amerikanischen Bürger bewusst in den Ersten Weltkrieg hineingelogen wurden (vgl. Elter, Andreas. «Die Kriegsverkäufer»). Es war zugleich der Beginn der modernen «Propaganda», heute verharmlosend als Public Relations PR bezeichnet. Psychologische Techniken wurden zunehmend zur Massenmanipulation eingesetzt (vgl. Bernays, Edward. «Propaganda. Die Kunst der Public Relations»).

Die Propagandamaschinerie der deutschen Nationalsozialisten übernahm aus den USA viele dieser Techniken, baute sie systematisch aus und trieb die deutsche Bevölkerung in den Zweiten Weltkrieg. Mit ähnlichen Manipulationstechniken wurden nach dem Zweiten Weltkrieg und während des Kalten Krieges die Bürger von der Notwendigkeit eines bestimmten militärischen und politischen Vorgehens überzeugt.

Von Politik und Medien in den Krieg hineingelogen

Die Rolle der Medien im Jugoslawien-Krieg (1991 –1995) betrachten wir heute aus einer relativ kurzen historischen Distanz. Das öffentliche Bewusstsein über diesen Krieg liegt immer noch im medialen Nebel der 1990er Jahre. Immer noch gelten «die Serben» und «Milosevic» als «Schuldige». Wie dieser Krieg über bezahlte PR-Agenturen initiiert und dabei gezielt Einfluss über die Medien genommen wurde, haben Jörg Becker und Mira Beham untersucht (vgl. «Operation Balkan: Werbung für Krieg und Tod»).

Völlig ungefiltert wurden 1999 die «Informationen» des Nato-Sprechers Jamie Shea zum Kosovo-Krieg in unseren Medien übernommen. Täglich warb dieser im öffentlichen TV auf reisserische Art für den völkerrechtswidrigen Krieg. Den Bürgern sollte dieser Krieg als menschliches Engagement verkauft werden. Auch hier ist der Blick auf die tatsächlichen Ereignisse immer noch durch den damaligen Medieneinsatz getrübt. Es gab aber auch kritische Beiträge, so die WDR-Sendung «Es begann mit einer Lüge» (2001).

Spätere Kriege  – ebenfalls völkerrechtswidrig  – gegen den Irak (2003), Libyen (2011) und Syrien (2011) wurden den westeuropäischen Medienkonsumenten derart einseitig präsentiert, dass immer mehr Menschen das Internet als zusätzlichen Informationskanal hinzuzogen.
Man muss davon ausgehen, dass wir heute über Krieg und Frieden immer noch falsch informiert werden.

weiterlesen: https://www.zeit-fragen.ch/archiv/2018/nr-23-9-oktober-2018/von-der-zensur-zum-mainstream.html

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