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Antiwissenschaft grassiert in der besten Forschungsnation

Die Trump-Regierung verbannt Wörter wie «faktengestützt» auf eine schwarze Liste.
Ein Essay von Pulitzer-Preisträger Jared Diamond.
Tages-Anzeiger 12. 01. 2018
Die Trump-Regierung hat die staatliche amerikanische Gesundheitsbehörde CDC kürzlich angewiesen, eine Reihe von Begriffen aus allen offiziellen Budgetdokumenten zu streichen, die früher als unverdächtig galten. Diese schwarze Liste hat Überraschung und Protest ausgelöst. Die Regierungsanordnung stelle einerseits eine undemokratische Zensur von Sprache dar. Zudem enthalte sie Worte, die für die öffentliche Gesundheitsvorsorge zentral seien, aber auch grundsätzlich für die amerikanische Demokratie und sogar für konservative republikanische Werte. Zu den verbannten Begriffen gehört etwa das Wort «gefährdet». Aber ist es nicht gerade die Aufgabe der Gesundheitsbehörde, Krankheiten zu benennen, durch die Amerikaner besonders gefährdet sind?

Jared Diamond

Jared Diamond

Das Wort «Fötus» wird verboten

Ein anderes böses Wort ist «Vielfalt». Aber eine wirksame Gesundheitsvorsorge ist doch nur möglich, wenn man anerkennt, dass Menschen unterschiedlich und auch unterschiedlich anfällig sind. Frauen etwa sind durch Eierstockkrebs gefährdet, Männer nicht; alte Menschen durch Alzheimer, Babys nicht. Hellhäutige Amerikaner haben ein grösseres Hautkrebsrisiko als dunkelhäutige.

Zwei weitere Worte, die es auf die schwarze Liste geschafft haben, sind «faktengestützt» und «wissenschaftlich erwiesen». Aber Fakten und Wissenschaft sind doch gerade die Basis der modernen Medizin. Es ist die wissenschaftliche Forschung, welche die Fakten bewiesen hat, die heute allgemein akzeptiert sind. Zum Beispiel, dass kontaminiertes Wasser Krankheiten verursacht oder dass Antibiotika bestimmte Krankheiten heilen können. Und nur dank diesen Fakten liegt die durchschnittliche Lebenserwartung von Amerikanern  – republikanische Senatoren und Kongressabgeordnete eingeschlossen  – heute bei etwa 80 Jahren und nicht mehr bei knapp 50 wie noch vor zwei Jahrhunderten.

Der amerikanische Wissenschaftler Jared Diamond (80) ist einer der weltweit führenden Anthropologen und Evolutionsbiologen. Er war Professor an der Universität von Kalifornien in Los Angeles und wurde vor allem durch seine populärwissenschaftlichen Bücher bekannt, darunter «Der dritte Schimpanse», «Kollaps» oder «Vermächtnis», in denen er das Schicksal menschlicher Gesellschaften darstellt. Für sein Buch «Arm und reich» wurde er mit dem renommierten Pulitzer-Preis ausgezeichnet. (mma)
Quelle: Tages-Anzeiger
https://www.tagesanzeiger.ch/wissen/geschichte/wissenschaft-und-antiwissenschaft-in-den-usa/story/31325534

Buchempfehlung «Im Grunde gut»

Eine neue Geschichte der Menschheit
Von Rutger Bregman - übersetzt von: Ulrich Faure, Gerd Busse
Der Historiker Rutger Bregman setzt sich in seinem Buch mit dem Wesen des Menschen auseinander. Anders als in der westlichen Denktradition angenommen ist der Mensch nicht böse, sondern, so Bregman, im Gegenteil: von Grund auf gut.

Und geht man von dieser Prämisse aus, ist es möglich, die Welt und den Menschen in ihr komplett neu und grundoptimistisch zu denken. In seinem mitreißend geschriebenen, überzeugenden Buch präsentiert Bregman Ideen für die Verbesserung der Welt. Sie sind innovativ und mutig und stimmen vor allem hoffnungsfroh.

Buch Im Grunde gut

Hier finden Sie eine gute Rezension:

https://www.swr.de/swr2/literatur/rutger-bregman-im-grunde-gut-eine-neue-geschichte-der-menschheit-100.html

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Leseprobe

 RutgerBregman StephanVanfleteren
Rutger Bregman - Photo by Stephan Vanfleteren

Rutger Bregman, geboren 1988 in den Niederlanden, ist Historiker und einer der prominentesten jungen Denker Europas. 2017 erschien sein Bestseller «Utopien für Realisten», 2020 folgte «Im Grunde gut», das bisher in 44 Sprachen übersetzt wurde. https://www.rutgerbregman.com

 

 

Sind wir alle „im Grunde gut“?

Bregmans Buch ist eine phänomenale Aufzählung von Geschichten, wissenschaftlichen Untersuchungen und Metauntersuchungen zu der Frage, ob der Mensch im Grunde gut ist.
Von Wolf Schneider* am 11. März 2021
Der Mensch ist des Menschen Wolf. In jedem schläft ein Monster, das durch entsprechende Umstände nur aufgeweckt werden muss. So denken viele. Und Versuchsanordnungen wie das „Milgram-Experiment“ oder Wärter-Gefangenen-Experimente scheinen das Vorurteil zu bestätigen. Doch es kommt ganz darauf an, worauf man den Fokus legt. Rutger Bregman lenkt unseren Blick in seinem neuen Buch „Im Grunde gut“ auf Fälle, in denen sich Menschen besonders edel und gütig verhalten haben. Eine kleine Weltgeschichte des Guten. Wolf Schneider hat das Buch gelesen.

Buch Im Grunde gut
Rutger Bregmans Buch regt zum Nachdenken an. Es wurde in 44 Sprachen übersetzt

 (…)

Wer wagt Optimismus?

Nun betreten zwei Historiker die Bühne und lenken unsere Aufmerksamkeit auf genau diese Tatsachen. Der erste ist Harari, mit seinen Bestsellern aus den Jahren 2015, 16, 18 und 20. Über ihn habe ich hier im Blog schon viel geschrieben und Links zu Youtube-Filmen mit ihm gesetzt. Der zweite ist der Niederländer Rutger Bregman, der bisher vor allem durch seinen Einsatz für das bedingungslose Grundeinkommen auffiel, für das er in Utopien für Realisten (2017) warb, seinem ersten Buch auf Deutsch. Nun erschien im vergangenen Jahr Im Grunde gut  – eine neue Geschichte der Menschheit. Nachdem Harari dieses Buch empfohlen hatte, gab mir eine öffentliche Debatte der beiden den letzten Kick, es zu bestellen.

Sind wir gut oder schlecht? Ein Gespräch mit Rutger Bregman über die Natur des Menschen

Warum der Historiker an das Gute im Menschen glaubt – trotz Krieg und Folter.
Von Franziska Bulban, 10.03.2020, 12.30 Uhr, Dieser Beitrag wurde am 10.03.2020 auf bento.de veröffentlicht.

RutgerBregman StephanVanfleteren
Rutger Bregman

Menschen lügen und betrügen, sie bauen Massenvernichtungswaffen, sie schließen Grenzen vor Hilfsbedürftigen und spekulieren auf Grundnahrungsmittel. Menschen sind, so eine allgemeine Annahme, im Kern ihres Wesens nicht moralisch, sondern nur am eigenen Überleben und Gewinn interessierte Egomanen. 

Im März 2020 ist ein Buch erschienen, das mit diesem Menschenbild aufräumen will, "Im Grunde gut". Die These: Eigentlich sind Menschen ganz in Ordnung. Es sei nicht die sogenannte Zivilisation, die uns zwinge, nett zu sein. Sondern soziales Verhalten liege in unserer Natur. 

Der niederländische Autor, Rutger Bregman, 31, Historiker mit Thesen zur Gegenwart und Millennial mit Freude an der Boomer-Konfrontation, wurde vergangenes Jahr mit einer kleinen Ansprache so richtig berühmt. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos wich er vom geplanten Skript ab  – und sagte der anwesenden Finanzelite die Meinung:

«Ihr redet hier über Teilhabe und Gerechtigkeit. Aber keiner spricht über das eigentliche Problem: Steuerflucht.»

Spätestens dieser Auftritt machte ihn zu einem "Helden für viele junge Menschen" (Daily-Show-Host Trevor Noah) oder zumindest zu einem Vorzeige-Intellektuellen linker Millennials

Um die These von "Im Grunde gut" zu untermauern, führt Rutger ein ganzes Arsenal an Argumenten auf: rührende Beispiele der zwischenmenschlichen Hilfsbereitschaft nach großen Katastrophen, verhaltenspsychologische Experimente, die den Menschen im Vergleich zum Affen vor allem als soziales Lebewesen entlarven, und Untersuchungen über die Tatsache, dass erstaunlich viele Soldaten in Kriegen keinen einzigen Schuss abfeuern.

Wir haben mit Rutger darüber gesprochen, was es für unsere Politik und Gesellschaft  bedeuten würde, wenn wir an das Gute im Menschen glauben könnten  – und warum er fürchtet, dass CEOs daran kein Interesse haben.

bento: Rutger, im ersten Kapitel deines Buches schreibst du, ein deutscher Verlag hätte "Im Grunde gut" abgelehnt, weil Deutsche nicht an das Gute im Menschen glaubten. Was meinst du, woran liegt das?

Rutger Bregman: Wenn man behauptet, der Mensch sei "Im Grunde gut", ist die große Frage natürlich: Wie kommt es dann zu Krieg, zu Genoziden, zu Massenmorden  – oder, in Deutschland, wie erklärst du dir den Holocaust?

bento: Und?

Rutger: Ich stelle mir die Frage natürlich auch, ich widme ihr Hunderte Seiten. Es ist ironisch, dass ich ein Buch über das Gute im Menschen schreiben wollte und mich am Ende sehr viel mit den dunkelsten Stunden der Menschheit beschäftigt habe. Aber die Antwort: "Der Mensch ist einfach schlecht" erschien mir zu simpel. Also habe ich angefangen zu recherchieren.

bento: Wie bist du denn überhaupt auf die Idee gekommen, dass der Mensch gut sein könnte?

Rutger: In meinem vorangegangenen Buch, "Utopien für Realisten", ging es um alle möglichen Ideen, die Wirklichkeit werden könnten  – so wie das bedingungslose Grundeinkommen, zum Beispiel. Es gibt schon viele Experimente zu der Idee und immer wieder wurden lauter positive Effekte festgestellt. Wir könnten es einfach mal umsetzen.

Aber wann immer ich zum Beispiel mit meinen Lesern bei Veranstaltungen darüber sprach, habe ich am Ende über die Natur des Menschen diskutiert. Die Leute haben Sätze gesagt wie "Ich finde das total spannend. Aber es würde nicht funktionieren. Weil Menschen faul sind." Da habe ich gemerkt, dass man für alle Ideen, die mich interessieren, ein anderes, optimistischeres Bild vom Menschen brauchen würde.

bento: Also hast du dich auf die Suche nach Gründen für einen solchen Optimismus gemacht.

Rutger: Ja. Wissenschaftler der unterschiedlichsten Disziplinen, von Biologen über Archäologen bis zu Psychologen, haben sich von dem vorherrschenden zynischen Menschenbild entfernt. Ich habe ihre Untersuchungen in meinem Buch zusammengefasst, weil ich gemerkt habe, dass noch niemand die Verbindung zwischen den revolutionären wissenschaftlichen Entdeckungen der vergangenen 20 Jahre gezogen hatte. 

Es gibt gerade einen unübersehbaren Paradigmenwechsel. Wenn ich dieses Buch nicht geschrieben hätte, hätte es ein anderer getan.

bento: Du hast aber nicht nur positive Beispiele gesammelt. Du hast dich auch mit dem Teil der Wissenschaft beschäftigt, die unser negatives Bild des Menschen prägt. Dabei hast du vor allem eines entdeckt: Viele Fälschungen. Wie kannst du da noch an Wissenschaft glauben  – und neuere Forschung als Argument für dein Buch nutzen?

Rutger: Ja, zum Beispiel das Stanford-Gefängnis-Experiment, in dem Studierende zufällig in Wärter und Gefangene aufgeteilt werden, ist ein Witz, keine Wissenschaft. Das Experiment wurde abgebrochen, weil die Wärter die Gefangen missbraucht haben. Aber: Die Studenten wurden von Teilen des Forschungsteams aufgehetzt, das ganze war komplett inszeniert (American Psychologist). Die Ergebnisse, die ich jetzt benutze, sind von einer jüngeren Generation Wissenschaftler, die den alten Thesen noch mal nachgegangen sind. Ich glaube, Wissenschaft ist ein sich selbst reinigendes System.

bento: Woher willst du wissen, dass es nicht einfach um Zeitgeist geht? Dein Bias und der von den jungen Wissenschaftlern kann euch doch auch fehlleiten. 

Rutger: Ich würde nie behaupten, dass ich mir sicher bin. Aber ich habe versucht, ein Buch zu schreiben, das man auch in zehn oder zwanzig Jahren noch lesen kann. Da war ich nicht auf der Suche nach aufregenden neuen Studien, die keiner nachmachen kann. Ich habe mich mit Metaanalysen beschäftigt, die hunderte Studien zusammenfassen. Das ist in den Nachrichten oft anders  – dort widmet man spektakulären Studien viel Aufmerksamkeit.

Die Nachrichten sind einer der Hauptgründe, warum wir so fest daran glauben, dass der Mensch schlecht ist.

bento: Klar, Meldungen sind oft negativ. Aber viele positive Beispiele, die du erwähnt hast, kannte ich bereits. Die Geschichten der Hilfsbereitschaft in New Orleans nach Hurrikan Katrina sind zum Beispiel nicht neu. Das heißt: Das Wissen war schon vor deinem Buch öffentlich, es wurde auch in den Medien erzählt. Es scheint nur deutlich weniger Menschen zu interessieren.

Rutger: Ja, obwohl es hunderte Belege über den Zusammenhalt von Menschen nach Katastrophen gibt, glauben die meisten, dass Chaos herrschen würde. Jeder denkt, es gäbe ein Großes "alle gegen alle". Dabei stimmt das einfach nicht.

bento: Warum glauben wir dann so hartnäckig an unsere Angst?

Rutger: Menschen sind erstmal biologisch darauf ausgerichtet, dass Angst stärker wirkt als andere Gefühle. Klar, man hat in der Natur lieber einmal zu viel Angst vor der Schlange als einmal zu wenig.

Ich glaube aber auch, dass dieses Narrativ des bösen Menschen den Mächtigen in die Hände spielt. Denn wenn wir schlecht sind, dann braucht es Herrscher, CEOs und die Bürokratie, weil wir einander nicht vertrauen können

bento: Alles Strukturen der sogenannten Zivilisation. Du selbst beschreibst in deinem Buch den Übergang vom Leben der Jäger und Sammler hin zum sesshaften Leben als eine Katastrophe für den Menschen.

Rutger: Ja, das war unendlicher Mist: Mit der Sesshaftigkeit kamen Krankheiten, Kriege und Unterdrückung. Lauter Phänomene, die zuvor fast unbekannt waren. 

Aber besonders nach dem Zweiten Weltkrieg gab es große Fortschritte. Deshalb glaube ich, dass wir noch nicht wissen können, ob die Zivilisation ein Segen oder ein Fluch ist. Es ist noch zu früh, um das zu beurteilen. 

Aber ich bin überzeugt, wenn wir die großen Fragen unserer Zeit angehen wollen, sei es die Klimakrise oder Armut, dann brauchen wir in unserer zivilisierten Welt ein neues Menschenbild.

Denn woran man glaubt, macht einen riesigen Unterschied. Schickt man zum Beispiel Hilfe nach New Orleans  – oder das Militär? Glaubt man, dass wir gemeinsam ein Problem angehen  – oder dass die anderen uns nur ausnutzen wollen?

bento: Du schreibst, dein größtes Ziel mit diesem Buch sei es, das Wort "realistisch" im Bezug auf den Menschen neu zu definieren. Wie meinst du das?

Rutger: Ich glaube, die meisten Menschen setzen Realismus mit Zynismus gleich. Wenn jemand sagt, "da musst du realistisch sein", bedeutet das: "Mach dir keine großen Hoffnungen." Es sind Sätze, die alte Politiker zu jungen Aktivisten sagen. Sätze, um Menschen als naiv darzustellen. 

Ich möchte zeigen, dass eigentlich die Zyniker naiv sind. Wenn man sich all die Belege anschaut, die wir dafür mittlerweile haben, lässt sich diese Haltung sehr gut verteidigen. 

Quelle: https://www.spiegel.de/politik/sind-wir-gut-oder-schlecht-ein-gespraech-mit-rutger-bregman-ueber-die-natur-des-menschen-a-6668e37d-93e4-41ac-a380-b015743d892c

 

Wie der Mensch zum Menschen wurde

Neue Erkenntnisse über den Ursprung und die Zukunft des Menschen
von Richard E. Leakey und Roger Lewin – Hoffmann und Campe 1978
Dies ist eines meiner Lieblingsbücher. Es müsste zu den Grundlagen in der Ausbildung von Humanwissenschaftlern  – Psychologen, Pädagogen, Kinderärzten, Neurobiologen  – gehören und es sollte in keiner Bibliothek fehlen.

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