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Friede oder Atomkrieg

07. April 2013

Friede oder Atomkrieg

von Albert Schweitzer

«Weil offenbar ist, ein wie furchtbares Übel ein Krieg in unserer Zeit wäre, darf nichts unversucht bleiben, ihn zu verhindern.

Wir haben uns in den beiden letzten Kriegen grausiger Unmenschlichkeit schuldig gemacht und würden es in einem kommenden noch weiter tun. Dieses quälende gemeinsame Erlebnis muss uns dazu aufrütteln, alles zu wollen und zu schaffen, was eine Zeit heraufführt, in der Kriege nicht mehr sein werden.

Es sind noch viele Menschen in der Welt, die es nicht begreifen, dass der Gebrauch der grausigen Atomwaffen, über die wir verfügen, es nicht erlaubt, einen mit ihnen geführten Krieg in Betracht zu ziehen. Sie leben dahin von einem Tag zum andern, ohne sich von der Gefahr, die dem Frieden droht, Rechenschaft zu geben.

Es gibt auch noch Verherrlicher des Krieges. Sie denken immer noch an den durch die Begeisterung oder durch die Notwehr einigermassen idealisierten Krieg. Die Millionen von Menschenleben, die Kriegen geopfert würden, ziehen sie nicht in Betracht. Über Kriegsfriedhöfe mit Tausenden und Tausenden von Kreuzen sollten sie wandern, von der Frage begleitet und gequält, warum die, die hier miteinander begraben sind, eigentlich miteinander leiden und sterben mussten. Ein Patriotismus, der menschlich empfindet und weitsichtiger ist als der bisherige, muss aufkommen.

Das Ziel, auf das von jetzt bis in alle Zukunft der Blick gerichtet bleiben muss, ist, dass die Entscheidung in völkerentzweienden Fragen nicht mehr Kriegen überlassen bleibt, sondern in friedlichen Auseinandersetzungen gefunden werden muss. Der Krieg ist etwas geworden, das nicht mehr in Betracht kommen kann. Vor unserer Zeit, als die Waffen noch begrenzte Wirkung hatten, konnte der Pazifismus als Utopie belächelt werden. In der heutigen aber, die über Waffen verfügt, die Millionen von Menschen in einer einzigen Schlacht vernichten können und eine tödliche Giftatmosphäre erzeugen, ist der Friede eine dringende Notwendigkeit geworden.

Die Stimme von Menschen zu hören, die wahrhaftig mit dem Kommen des Friedens beschäftigt sind, ist eine Wohltat in unserer Zeit. Das Humanitätsideal in der Welt zu Ehren zu bringen, ist das, was not tut. Es ist dies eine geistige Politik, die mit allem politischen Planen und Handeln zusammengehen muss. Durch sie wird eine geistige Verbundenheit zwischen den Völkern geschaffen.

Zurzeit haben wir die Wahl zwischen zwei Risiken. Das eine besteht in der Fortsetzung des unsinnigen Wettrüstens in Atomwaffen und der damit gegebenen Gefahr eines unvermeidlichen und baldigen Atomkrieges, das andere in dem Verzichten auf Atomwaffen und in dem Wollen und Hoffen, dass die Völker des Ostens und des Westens dazu kommen können, in Frieden nebeneinander zu leben. Das erste enthält keine Möglichkeit einer gedeihlichen Zukunft. Das zweite tut es. Wir müssen das zweite wagen.

Die Theorie der Aufrechterhaltung des Friedens durch die gegenseitige Abschreckung stetig fortschreitender atomarer Aufrüstung kann bei der in der heutigen Zeit bestehenden Kriegsgefahr nicht mehr in Betracht kommen. Sie ist untauglich geworden. Ein Geist wahren Menschentums muss entstehen, wenn wir nicht an dem Geiste der Unmenschlichkeit, der heute in der Welt das Wort führt, zugrunde gehen wollen.

Entscheidendes für die Sache der Erhaltung des Friedens muss bald in Angriff genommen und geleistet werden.»

Entnommen aus: «Was heisst Ehrfurcht vor dem Leben? Begegnungen mit Albert Schweitzer.» Neues Leben Verlags GmbH, Berlin 2005. ISBN 3-355-01709

Quelle: Nr.44 vom 31.10.2006
www.zeit-fragen.ch

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